Blumen und ein handgemaltes Tribut an die verstorbene US-Höchstrichterin Ruth Bader-Ginsburg
Reuters/Carlos Barria
USA

Ginsburgs Tod stellt Wahlkampf auf den Kopf

Der Tod der bereits zu Lebzeiten legendären US-Höchstrichterin Ruth Bader Ginsburg dürfte weitreichende Folgen für die US-Innenpolitik haben. Die Vakanz im Supreme Court, der in umstrittenen gesellschaftspolitischen Fragen oft das letzte Wort hat, verändert vor allem die Ausgangslage im US-Präsidentschaftswahlkampf radikal.

Zwei US-Höchstrichter konnte US-Präsident Donald Trump seit 2016 ernennen, beide werden dem konservativen Lager zugeordnet: Neil Gorsuch und Brett Kavanaugh, der in seinem Nominierungsverfahren mit den schweren Vorwürfen sexueller Belästigung und versuchter Vergewaltigung konfrontiert war, die er vehement zurückwies. Trump hat damit eines seiner zentralen Wahlversprechen für eine seiner wichtigsten Wählergruppen, die Evangelikalen, erfüllt.

Von den neun Richtern des Supreme Courts, der oft mit knapper Mehrheit entlang ideologischer Linien entscheidet, werden nun noch drei klar dem liberalen Lager zugerechnet. Ginsburg galt als prominenteste Vertreterin des liberalen Flügels.

Republikaner reagieren rasch

Unmittelbar nach dem Tod der seit Jahren krebskranken liberalen Richterin Ginsburg, die als eine der wichtgisten Vorkämpferinnen für Frauenrechte gilt, kündigten die Republikaner an, das Nominierungsverfahren jedenfalls noch vor den Präsidentschafts- und Kongresswahlen am 3. November zu starten.

McConnells Volte

Der republikanische Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, betonte, er werde den Ernennungsvorschlag, der vom Präsidenten kommt, jedenfalls im dafür zuständigen Senat zur Abstimmung bringen. Allerdings ließ er zunächst offen, ob das vor oder nach der Wahl geschehen soll. Das Pikante daran: Es war McConnell und die republikanische Mehrheit im Senat, die Trumps demokratischen Amtsvorgänger Barack Obama de facto daran hinderten, nach dem Tod von Höchstrichter Antonin Scalia im Februar 2016 einen neuen Richter zu ernennen.

Obama ernannte zwar einen – zentristischen – Kandidaten, doch McConnell verweigerte das nötige Ernennungsverfahren im Senat. Nun – deutlich kürzer vor der Wahl – zählen die Argumente von damals, die Entscheidung müsse man dem nächsten Präsidenten überlassen, offenbar nicht mehr.

Trump bereits gerüstet

McConnell betonte unter anderem, die Lage sei anders, weil – im Gegensatz zu 2016 – derzeit eine Partei, die Republikaner, sowohl den Präsidenten wie die Mehrheit im Senat stellten. Diese ist allerdings mit 53 von 100 Sitzen hauchdünn und eine erfolgreiche Nominierung damit alles andere als gesichert, da mehrere republikanische Senatorinnen und Senatoren um ihre Wiederwahl bangen müssen – und teils auch um demokratische Wählerinnen und Wähler buhlen müssen.

Am engsten dürften die Rennen für die derzeitigen Senatorinnen Susan Collins in Maine und Martha McSally in Arizona sowie für Senator Lindsey Graham in South Carolina sein. Trotz des Appells von McConnell, sich noch nicht festzulegen, sprach sich Collins am Samstag gegen eine Nachbesetzung vor der Wahl aus. Das sei eine Frage der „Fairness gegenüber dem amerikanischen Volk“, so Collins auf Twitter.

Der 78-jährige McConnell, der wohl erfahrenste und mit allen taktischen Wassern gewaschene erzkonservative Senator wird damit erneut zur zentralen Figur in der US-Innenpolitik. Trump und die Republikaner hatten sich laut „New York Times“ jedenfalls bereits auf das Politmatch nach Ginsburgs Tod vorbereitet. So habe Trump in den letzten Wochen die Liste möglicher Kandidatinnen und Kandidaten für den Supreme Court aktualisiert. Und der republikanische Senator Graham, Vorsitzender des Justizausschusses, der das vorentscheidende Kandidatenhearing abhält, sprach sich ebenfalls für ein rasches Vorgehen aus – obwohl auch er 2016 anders argumentiert hatte.

Mischt Karten im Wahlkampf neu

Die Möglichkeit, das politische Gewicht im Höchstgericht zu verändern, ist eine der wichtigsten Motivatoren in den USA, wählen zu gehen. Hier halten Trump und die Republikaner vorerst jedenfalls fast alle Trümpfe in ihren Händen. Das Tauziehen um die Nachfolge wird aber sowohl die republikanische wie die demokratische Wählerschaft stärker mobilisieren.

Für Trump ist es die einzigartige Gelegenheit, die Wahl von einer Abrechnung mit ihm und vor allem mit seinem Umgang mit der Pandemie und den Protesten gegen Rassismus zu einer Wahl über die Zukunft des Höchstgerichts zu machen. Wenig verwunderlich daher, dass er umgehend deutlich machte, dass er die Stelle der verstorbenen Verfassungsrichterin noch in seiner auslaufenden Amtszeit neu besetzen möchte. Er appellierte am Samstag an die Republikaner, schnell dafür zu sorgen.

„Es wird eine Frau“

Bei einem Wahlkampfauftritt im US-Bundesstaat North Carolina legte sich Trump fest: „Es wird eine Frau sein.“ Er Trump nannte auch zwei Namen, jene der Bundesrichterinnen Amy Coney Barrett und Barbara Lagoa. Seine wahrscheinlichste Wahl sei Barrett aus Chicago, berichtete unter anderem der Fernsehsender ABC unter Berufung auf Regierungskreise. Sie ist als klare Abtreibungsgegnerin bekannt – ein zentrales Thema für die Konservativen in den USA.

Verfassungsrichter werden in den USA auf Lebenszeit ernannt. Mit ihrem Alter von 48 Jahren hätte Barrett potenziell eine lange Zeit im Supreme Court vor sich. Nach Ginsburgs Tod wäre sie zudem die dritte Frau in der neunköpfigen Richterriege.

Biden hält dagegen

Die Demokraten forderten dagegen mit Nachdruck, die Nachfolge Ginsburgs erst in der nächsten Präsidentenamtszeit zu regeln. „Ohne Zweifel sollten die Wähler den Präsidenten aussuchen, und der Präsident sollte den Richter dem Senat vorschlagen“, sagte Trumps Herausforderer Joe Biden. Die Präsidentenwahl ist am 3. November, die Vereidigung des Siegers am 20. Jänner 2021.

Mit Blick auf McConnells Weigerung, Obamas Kandidaten 2016 im Senat zu befragen und über ihnen abstimmen zu lassen, rief der demokratische Minderheitsführer im Senat, Chuck Schumer, die Republikaner auf, erst unter dem nächsten Präsidenten über die Nachbesetzung zu entscheiden. Er wiederholte dabei wortwörtlich McConnells Worte von 2016.

Trauer um Ruth Bader Ginsburg

Ruth Bader Ginsburg war die erste Frau am Amerikanischen Höchstgericht. Über 20 Jahre lang war sie Höchstrichterin und eine Ikone des liberalen Amerikas. Nun ist sie im Alter von 87 Jahren an Krebs gestorben. Die Debatte über ihre Nachfolge ist kurz nach ihrem Tod bereits voll im Gange.

Idol der Bürgerrechtsbewegung

Mit ihrem jahrzehntelangen Kampf für die Gleichberechtigung der Frauen, für Minderheiten und gegen Diskriminierung wurde Ginsburg zu einer Justizikone und einem Idol der Bürgerrechtsbewegung. Bereits in den 1970er Jahren war sie als Juristin vor dem Obersten Gericht erfolgreich gegen Regeln vorgegangen, die Frauen diskriminierten.

Zu den wichtigsten Folgen gehört, dass sich im Supreme Court die Lesart durchsetzte, dass der 14. Zusatzartikel zur US-Verfassung auch die Gleichberechtigung der Frauen schützt. Auf dieser Basis konnte Diskriminierung von Frauen als verfassungswidrig angeprangert werden.