Frau mit Schutzmaske in Lissabon
Reuters/Rafael Marchante
„Katastrophenfall“

Portugal verschärft CoV-Maßnahmen stark

Portugal hat lange als Musterland in Sachen geringer Coronavirus-Zahlen in Europa gegolten. Doch auch dort steigen die Infektionszahlen stark, weshalb das Land am Donnerstag den „Katastrophenfall“ ausrief. Dieser gilt 15 Tage und ermöglicht es der Regierung, bei Bedarf Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und andere einschneidende Maßnahmen durchzusetzen. In vielen europäischen Ländern ist die Lage kritisch.

Regierungschef Antonio Costa zog Konsequenzen aus der Lage: So sollen sich in der Öffentlichkeit nur noch maximal fünf Menschen versammeln dürfen, bei privaten Feiern solle die Höchstzahl der Teilnehmer auf 50 reduziert werden, außerhalb der eigenen Wohnung sollten Masken obligatorisch und bei der Arbeit und in Schulen die Coronavirus-App namens „Stay Away“ („Halte Abstand“) Vorschrift werden. Das Parlament muss den Maßnahmen zustimmen.

Die Zahl der registrierten Neuinfektionen binnen 24 Stunden stieg am Mittwoch in dem Land mit 10,3 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern auf 2.072, das war der höchste Wert seit Beginn der Pandemie. Die Gesamtzahl der Fälle kletterte den amtlichen Angaben zufolge auf mehr als 91.000. Die Zahl der Menschen, die mit Covid-19 starben, stieg um sieben auf 2.117.

Covid-Station in der tschechischen Stadt Slany
Reuters/David W Cerny
Tschechien und viele weitere europäische Länder befürchten eine Überlastung des Gesundheitssystems

Besonders betroffen sind der Norden und der Großraum Lissabon. Sorge bereitet vor allem die Tatsache, dass die Zahl der in Krankenhäusern behandelten Covid-19-Patientinnen und -Patienten in etwas mehr als einem Monat von gut 300 auf nun fast 1.000 in die Höhe schoss.

Tschechien und Slowenien erreichen Höchstzahl

Auch anderswo in Europa ist die Lage bedenklich. Trotz verschärfter Maßnahmen steigen die Zahlen in Tschechien weiter. Am Mittwoch wurden 9.544 neue Fälle verzeichnet, wie das Gesundheitsministerium in Prag am Donnerstag bekanntgab. Das war der höchste Wert an einem Tag seit Beginn der Pandemie. Die Gesamtzahl der jemals Infizierten stieg damit auf knapp 140.000. Rund 2.700 Menschen werden im Krankenhaus behandelt. Die Zahl der Todesfälle stieg auf 1.172.

Die Regierung kündigte an, rund 4.000 Krankenhausbetten zu kaufen, um unter anderem in Messehallen Behelfseinrichtungen für einen möglichen Ansturm aufzubauen. Seit Mittwoch sind alle Restaurants, Gasthäuser und Bars geschlossen. Der Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit ist verboten. Alle Schulen haben Fernunterricht eingeführt. Es dürfen sich sowohl drinnen als auch draußen nur noch maximal sechs Menschen treffen. Sport- und Kulturveranstaltungen sind untersagt. Die Maskenpflicht wurde ausgeweitet. Der EU-Mitgliedsstaat hat knapp 10,7 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner.

In Slowenien wechseln ab Montag die älteren Volks- und alle Oberstufenschüler in den Onlineunterricht. Das sehen neue Einschränkungen der dortigen Regierung vor. Es sind zudem in sieben Regionen des Landes Versammlungen von mehr als zehn Personen verboten. Außerdem gilt eine Maskenpflicht in Außenbereichen. Die Regierung reagiert damit auf steigenden Zahlen bei neuen Fällen. So wurden zuletzt 745 weitere Positivtests gemeldet. Damit steigt die Gesamtzahl in dem Land mit zwei Millionen Einwohnerinnne und Einwohnern auf 10.683. Bisher starben 176 Menschen, die positiv getestet wurden.

Keine Treffen mehr zwischen Haushalten in London

In der britischen Hauptstadt London gelten ab Samstag ebenfalls schärfere Regeln. Angesichts rapide steigender Infektionszahlen dürfen sich Angehörige verschiedener Haushalte in Innenräumen nicht mehr miteinander treffen, wie der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan bekanntgab. Auch Treffen in Pubs und Restaurants sind nicht erlaubt. Es werde ein „schwieriger Winter“ für die Hauptstadt mit ihren rund neun Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern. Draußen sind weiterhin Treffen mit bis zu sechs Personen erlaubt.

Etliche Londoner Bezirke hatten in den vergangenen Tagen die Schwelle von 100 Fällen pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner überschritten. Khan sprach sich für einen nationalen Lockdown von wenigen Wochen aus, um die Pandemie effektiver einzudämmen. Premier Boris Johnson hält jedoch bisher an seinem regionalen Stufensystem fest.

Deutsche Regierung ruft zu „viel mehr“ Vorsicht auf

Angesichts einer Rekordzahl an neuen Infektionen rief die deutsche Bundesregierung eindringlich zu mehr Disziplin und Vorsicht auf. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und die 16 Ministerpräsidenten beschlossen Kontaktbegrenzungen für alle Regionen, in denen die Zahl der Coronavirus-Neuinfektionen über 50 Fälle pro 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner in einer Woche hinausschießt. Schon bei 35 Fällen sollen erste Maßnahmen greifen.

Leere Restaurants in Berlin
Reuters/Hannibal Hanschke
In Berlin ist in Restaurants und Bars deutlich weniger los

Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn forderte mehr Achtsamkeit bei privaten Feiern, bei denen es zuletzt verstärkt Ansteckungen gegeben habe. Den Bürgerinnen und Bürgern müsse klar sein, dass sie heute entscheiden, ob Weihnachten in gewohnter Form stattfinden könne. „Wenn wir gemeinsam aufeinander achtgeben“, dann seien auch keine weiteren Maßnahmen nötig. Das deutsche Robert-Koch-Institut (RKI) meldete am Donnerstag 6.638 neue Positivtests in dem Land. Die Zahl ist so hoch wie noch nie seit dem Ausbruch der Pandemie. Bisher wurde der höchste Wert mit 6.294 Fällen am 28. März erfasst. Zugleich starben 33 Menschen, die positiv getestet wurden. Damit stieg die Zahl der Todesfälle in Deutschland auf insgesamt 9.710.

Italien erwägt beschränkte Lockdowns

Indes erwägt ein weiteres Nachbarland Österreichs strengere Regeln. Nachdem Italien am Mittwoch 7.332 Neuinfektionen verzeichnete, so viele wie noch nie binnen 24 Stunden, prüft die Regierung in Rom die Möglichkeit, auf lokaler Basis beschränkte Lockdowns einzuführen. Die Maßnahme könnte Provinzen der Lombardei und der süditalienischen Region Kampanien betreffen, in denen die Zahl der Infektionen stark gestiegen ist. „Es ist offenkundig, dass uns der Zuwachs bei der Zahl der Neuansteckungen Sorge bereitet. Das regionale Gesundheitsnetz hält jedoch der Lage Stand“, so Regionenminister Francesco Boccia nach Medienangaben.

Premier Giuseppe Conte betonte, er wolle seinem Land einen neuen Lockdown nach jenem im März und April ersparen, doch alles hänge vom Verhalten der Bürgerinnen und Bürger ab. Prioritär sei es jetzt, die Zunahme der Ansteckungen zu stoppen. „Wenn die Zahl der Personen auf den Intensivstationen steigt, sind wir erneut in Schwierigkeiten“, so Conte.

Frankreich verhängt teils nächtliche Ausgangssperre

Frankreich verhängte unterdessen aus denselben Gründen eine nächtliche Ausgangsbeschränkung in Paris und acht weiteren Städten. Sie gelte zwischen 21.00 und 6.00 Uhr, und zwar von Samstag an für vier Wochen, sagte Präsident Emmanuel Macron am Mittwoch im Fernsehen. Betroffen seien neben dem Großraum Paris unter anderem Marseille, Grenoble, Lyon und Toulouse. „Wir sind in einer zweiten Welle. Wir müssen reagieren“, sagte Macron. „Wir haben die Kontrolle nicht verloren.“ Die Situation sei aber besorgniserregend. Ein landesweiter Stillstand des öffentlichen Lebens sei dennoch nicht vorgesehen.

22.591 Neuinfektionen wurden laut Gesundheitsministerium registriert – damit stieg die Zahl der Ansteckungsfälle binnen 24 Stunden auf 779.063. Es ist das dritte Mal in sechs Tagen, dass die Zahl der neuen Ansteckungsfälle über 20.000 liegt. Angesichts dieser Entwicklung rief die Regierung den öffentlichen Gesundheitsnotstand aus. Wer gegen die nächtliche Sperre verstößt, riskiert eine Strafe von 135 Euro. Reisen zwischen den französischen Regionen und der öffentliche Personenverkehr sind nicht beschränkt. Familientreffen sollten auf sechs Personen begrenzt werden.

Rasante Ausbreitung

Europaweit breitet sich das Coronavirus derzeit schneller aus als je zuvor. Viele Länder sträuben sich noch gegen rigorose Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie wie im Frühjahr. In Frankreich und Spanien gibt es aber bereits wieder regionale Ausgangssperren. Portugal hat einen landesweiten Katastrophenfall ausgerufen. Auch in Deutschland mahnt die Politik zu erhöhter Vorsicht.

Ziel sei es, die täglichen Neuinfektionen von 20.000 auf rund 3.000 zu drücken und die Zahl der Intensivpatienten und -patientinnen in den Krankenhäusern zu verringern, sagte Macron. Mehr als 9.100 Menschen liegen nach Behördenangaben derzeit wegen Covid-19 in Spitälern. Eine Überlastung des Gesundheitssystems wird befürchtet. Frankreich ist weltweit das neunte Land, das mehr als 33.000 Todesfälle in Zusammenhang mit dem Coronavirus zu beklagen hat.