Frau mit MN-Schutz in einer Fußgängerzone, davor leere Sesseln und Tische eines Restaurants
APA/AFP/Christof Stache
Teil-Lockdown

Schwerer Schlag für deutsche Wirtschaft

Die Ankündigung eines teilweisen Lockdowns ab kommender Woche in ganz Deutschland hat in vielen Branchen einen erneuten Aufschrei ausgelöst. Die zweite CoV-Welle droht nun zu einer Welle an Insolvenzen vor allem in der Gastronomie und Tourismuswirtschaft zu führen, Zehntausende Arbeitsplätze sind bedroht. Die Regierung verspricht unbürokratische Hilfe.

„Der Winter wird schwer. Vier lange schwere Monate. Aber er wird enden.“ Mit diesen Worten verdeutlichte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Krise in einer Regierungsansprache am Donnerstag. Die Maßnahmen seien jedoch geeignet, erforderlich und verhältnismäßig. Merkel sprach von einer dramatischen Lage und einer historischen Krise.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) erklärte am Donnerstag, er rechne trotz allem nicht mit einem länger andauernden Wirtschaftsabschwung. Die neuen Maßnahmen hätten zwar Auswirkungen auf die Wachstumsdynamik. Zugleich sei das Wirtschaftswachstum im dritten Quartal aber „schneller wieder in Gang gekommen, als wir geglaubt haben“.

Bis zu zehn Milliarden Hilfen

Für die von den Schließungen erfassten Unternehmen und Betriebe – aber auch Soloselbstständige – will der Bund im Gegenzug eine „außerordentliche Wirtschaftshilfe“ gewähren, um sie für finanzielle Ausfälle zu entschädigen, erklärte Altmaier gemeinsam mit Finanzminister Olaf Scholz (SPD).

Der Erstattungsbetrag beträgt hierbei 75 Prozent des entsprechenden Umsatzes des Vorjahresmonats für Unternehmen bis 50 Mitarbeiter. Die Prozentsätze für größere Unternehmen sollen dem Beschlusspapier von Bund und Ländern zufolge nach Maßgabe der Obergrenzen beihilferechtlicher Vorgaben ermittelt werden. Die Finanzhilfe soll ein Volumen von bis zu zehn Milliarden haben.

Außerdem sollen die bisherigen Überbrückungshilfen für die Betriebe verlängert und die Konditionen für die am stärksten betroffenen Bereiche verbessert werden. Zudem wird der Schnellkredit der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) für Beschäftigte mit weniger als zehn Beschäftigten angepasst.

Gastronomie besonders stark betroffen

Vor allem deutschen Gastronomen und Hoteliers stehen erneut schwere Wochen bevor. „Es ist mehr als konsequent, dass hier eine Entschädigung erfolgt, wenn unsere Branche geschlossen wird, damit die allgemeine Wirtschaft keinen Lockdown erfährt und Schulen geöffnet bleiben“, sagte die Hauptgeschäftsführerin des Hotel- und Gaststättenverbands, Ingrid Hartges, am Donnerstag der dpa.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel bei ihrer Rede im Bundestag
AP/Markus Schreiber
Der Winter werde lang, werde aber enden, so Merkel in ihrer Regierungsansprache

Handel darf öffnen

Anders als während der ersten Hochphase der Coronavirus-Krise im Frühjahr bleiben aber sämtliche Geschäfte geöffnet. Einkaufen ist also weiterhin möglich, nicht nur in Supermärkten. Doch angesichts der ebenfalls beschlossenen Einschränkungen touristischer Angebote kritisierte der Handelsverband Deutschland (HDE) die Beschlüsse von Bund und Ländern.

„Wenn die Geschäfte als Einzige geöffnet sind, alle anderen Branchen rundherum schließen müssen und die Menschen zu Hause bleiben, dann sind die Händler in einer sehr schwierigen Lage“, teilte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth am Mittwochabend mit. „Einkaufen ist auch in der Pandemie sicher, der Einzelhandel ist kein Hotspot.“ Genau das lässt sich aus Sicht der Politik aber nicht mehr eindeutig nachvollziehen. Bei rund 75 Prozent der Neuinfizierten lasse sich nicht mehr klar zuordnen, wo diese sich angesteckt hätten, sagte Merkel.

Arbeitslosen- und Kurzarbeitszahlen werden steigen

Die Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt, die sich zuletzt deutlich verbessert hatte, droht nun wieder zu kippen. Laut Bundesagentur für Arbeit (BA) sei zu erwarten, dass die neuen Eindämmungsmaßnahmen wirtschaftliche Auswirkungen hätten und „in der Folge über 100.000 Jobs kurzfristig verloren gehen“. Auch die Zahl der Kurzarbeiter werde erneut „deutlich steigen“.

Insgesamt rechnen die BA-Experten nach eigenen Angaben zwar mit erheblichen Folgen in der Dienstleistungsbranche mit Ausnahme des Handels, der nicht von den rund vierwöchigen Schließungen im November betroffen sein wird. Einen schweren Wirtschaftseinbruch wie im Frühjahr erwarten sie aber nicht. Es gebe inzwischen Erfahrungen mit der Situation, es gebe eine klare zeitliche Begrenzung und nach Ende des Maßnahmen könne „zumindest in Teilen eine relativ zügige Gegenbewegung erwartet werden“.

Analysen der ORF-Korrespondentinnen aus Berlin und Paris

Birgit Schwarz und Cornelia Primosch analysieren die Maßnahmen, die in Deutschland und Frankreich gesetzt werden.

Industrie hofft auf baldige Maßnahmenlockerungen

Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Dieter Kempf, erwartet wegen der neuerlichen Einschränkungen des öffentlichen Lebens einen schwierigen November für die Wirtschaft. Vor allem die Verbraucherstimmung werde stark beeinträchtigt sein. „Auch wenn ein kompletter Lockdown richtigerweise ausgeschlossen wird, werden die Maßnahmen die vorübergehende konjunkturelle Erholung dämpfen. Deshalb ist die anvisierte Überprüfung in zwei Wochen so wichtig, um Maßnahmen anzupassen und möglicherweise in einigen Bereichen zu erleichtern.“

Der Präsident des Bundesverbands der mittelständische Wirtschaft, Mario Ohoven, will überprüfen lassen, ob der „Lockdown light“ verhältnismäßig und verfassungskonform ist. „Am Ende könnte die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts stehen.“ Bei den getroffenen Maßnahmen gehe es um die wirtschaftliche Existenz von ganzen Berufsgruppen sowie Millionen von Selbstständigen.

Kulturbranche verzweifelt

Scharfe Kritik kam auch aus der deutschen Kulturbranche, die für mindestens ein Monat komplett lahmgelegt wird. Kulturinstitutionen müssen ebenso wie Freizeit– und Sporteinrichtungen für den kommenden Monat schließen. Der Kinoverband sprach von einer „Katastrophe“, der Schauspielverband warnte vor einem „kulturellen Kahlschlag“.

Der Bundesverband Schauspiel (BFFS) kritisierte die geplante Schließung von Theatern als unsinnig. „Gerade kleinere und nicht öffentlich geförderte Häuser werden diesen erneuten und vollkommen unnötigen Schlag vor den Bug nicht überleben“, hieß es in einem offenen Brief, den der Schauspielverband online veröffentlichte.

Was die Kinos betrifft, sagte Christian Bräuer, Vorsitzender der AG Kino, gegenüber dem „Spiegel“ (Onlineausgabe): „Eine zweite Schließung führt uns in die Katastrophe. Das bringt Verwerfungen mit sich, die gar nicht absehbar sind und die weit über die Zeit der Schließung hinausführen. Bei uns geht es um die Existenz.“

„Die Nachricht ist schockierend für alle Kulturschaffenden. Den Theatern und Opern, denen ohnehin schon viele Einnahmen weggebrochen sind und die sich dem Finanzierungsvorbehalt ihrer klammen Träger ausgesetzt sehen, gehen die umsatzstärksten Wochen verloren“, hieß es in einem Kommentar der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ).