Staatsanwaltschaft Wien
ORF.at/Patrick Wally
Anschlag in Wien

U-Haft für acht Festgenommene beantragt

Die Staatsanwaltschaft Wien hat – vorerst – U-Haft für acht der 16 nach dem Wiener Attentat Festgenommenen beantragt. Ein Mann wurde auf freien Fuß gesetzt, bei den weiteren ist die Entscheidung noch nicht gefallen. Für Debatten sorgt unterdessen weiter die Frage, ob man einer Warnung der Slowakei leichtfertig zu wenig nachgegangen ist.

Jene Männer, für die U-Haft beantragt wurde, seien dringend verdächtig, einen Tatbeitrag geleistet oder selbst das Verbrechen der Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung bzw. kriminellen Organisation begangen zu haben, teilte Sprecherin Nina Bussek Donnerstagabend mit.

Bei fünf Beschuldigten ist die Sachverhaltsprüfung noch nicht abgeschlossen – und zwei Festgenommene wurden bisher noch gar nicht in die Justizanstalt überstellt. Über die acht U-Haft-Anträge der Staatsanwaltschaft wird am Freitag das Wiener Straflandesgericht entscheiden. Ein Beschuldigter wurde auf freien Fuß gesetzt, da sich der Tatverdacht nicht erhärtete.

Acht vorbestraft

Zuvor hatte es geheißen, 14 Männer seien festgenommen worden, Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) sprach in einer Pressekonferenz dann von 15. Acht davon waren bereits vorbestraft, teilte Nehammer mit. Die Ermittlungen seien aber „bei Weitem“ nicht abgeschlossen. Der Innenminister betonte eine gute Zusammenarbeit mit den internationalen Partnerbehörden. Auch mit dem FBI gebe es eine „intensive“ Kooperation. Es gebe zwei Ermittlungsstränge, wobei einer in die Schweiz führt, wo bereits Personen festgenommen wurden. Ein weiterer Strang führe in ein Land, das Nehammer wegen laufender Ermittlungen nicht nennen wollte.

Festnahmen: Acht Personen vorbestraft

Bei jenen Personen, die nach dem Terroranschlag in Wien festgenommen worden sind, handelt es sich um junge Männer zwischen 18 und 28 Jahren. Acht Personen sind vorbestraft.

Hergang rekonstruiert

Bisher bekannt: Am Montag erreichte um 20.00 Uhr ein Notruf die Polizei. Binnen neun Minuten wurde der Täter erschossen. „In vier Stunden konnte die Identität des Täters festgestellt werden“, sagte Nehammer. Wegen des Sprengstoffgürtels am Täter, der sich später als Attrappe herausgestellt hat, konnten sich die Beamten und Beamtinnen nicht sofort nähern. Wenig später habe man den Täter „total untersucht“, wie der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, Franz Ruf, ergänzte. Noch in derselben Nacht habe es 18 Hausdurchsuchungen gegeben.

Allerdings kam parallel aus Deutschland von Innenminister Horst Seehofer die Meldung, dass der Wiener Attentäter Verbindungen nach Deutschland gehabt habe. „Wir haben durch den Fall in Wien auch Bezüge nach Deutschland hin zu Gefährdern, die rund um die Uhr überwacht werden“, sagte er.

Ruf führte weitere Details zum Hergang der Aktion aus: So sei der erste Schuss eines Beamten um 20.03 Uhr gefallen. Das sei jener Polizist gewesen, der im Verlauf des Feuergefechts verwundet wurde. Anschließend habe es fünf weitere Feuergefechte gegeben, bis der Täter unterhalb des linken Schulterblattes getroffen wurde, „ein Durchschuss“, sagte der Generaldirektor. Von den Festgenommenen wurden vier wegen terroristischer Straftaten, zwei wegen unterschiedlicher Gewaltdelikte und zwei wegen Mordversuchs in Linz verurteilt.

Generaldirektor für öffentliche Sicherheit Franz Ruf
APA
Ruf schilderte, wie der Täter am Montag erschossen wurde

Schreiben aus Slowakei Mitte Oktober

Der Wiener Polizeipräsident Gerhard Pürstl wehrte sich gegen Vorwürfe, dass die Sicherheitsbehörden Informationen über den Täter, die man vor der Tat aus der Slowakei erhalten hatte, „ignoriert“ hätten. „Bitte, es soll niemand versuchen, einen Kriminalroman von hinten zu lesen zu beginnen“, sagte Pürstl. Nach dem Schreiben am 23. Juli über den versuchten Munitionskauf habe der Verfassungsschutz Ermittlungen aufgenommen, und es sei in „kurzer Zeit“ gelungen, die Täter zu identifizieren.

Die Information teilte man den slowakischen Behörden mit, aber dann habe es längere Zeit gedauert, bis diese bestätigen konnten, dass es sich um den späteren Täter handelt. Der Verfassungsschutz habe aber schon währenddessen eine Gefährdungsbewertung durchgeführt. Ruf konkretisierte, dass am 16. Oktober ein Schreiben aus der Slowakei eintraf, wobei aber „nicht abschließend geklärt“ werden konnte, ob es sich tatsächlich um jene Person handelt, die der Verfassungsschutz anhand der Informationen der Slowakei identifizierte.

Gefährdungsbewertung war nicht abgeschlossen

Pürstl betonte, dass bei Verdachtsmomenten nicht sofort tiefgreifende Maßnahmen gesetzt werden können. „Wir müssen als Staatsschutzbehörde einmal eine entsprechende Beurteilung der Gefahrenlage vornehmen“, dafür gebe es standardisierte Programme, die in den Monaten August und September durchlaufen wurden, ebenso sei der Staatsschutz nach Einlangen der Informationen sofort tätig geworden.

Dadurch hätten sich weitere Ermittlungsschritte ergeben. „Ich kann nur so viel sagen, dass diese Einschätzung, die da getroffen wurde, nicht dazu geführt hätte, dass unmittelbar und zeitnah etwaige Festnahmen oder dauernde Observationen möglich gewesen wären“, betonte Pürstl. Eine Gefährdungseinschätzung sei auch immer eine Prognose und somit niemals hundertprozentig zutreffend, sagte der Polizeipräsident.

Nach Erhalt des Schreibens sei jedenfalls die Risikobewertung intensiviert worden. Der Attentäter habe außerdem handelsübliche Munition kaufen wollen, was kein Strafrechtsdelikt darstellt. Wie die APA am Donnerstag erfuhr, gehen bei den Staatsschützern jedes Jahr rund 1.000 Informationen mit solch sensiblem Inhalt aus dem Ausland ein, die überprüft werden müssen.

Berichte: Täter erfuhr von Großrazzia

Seit Tagen berichten Medien über Details des Einsatzes. So sei etwa schon länger geplant gewesen, für jenen Dienstag – den Tag nach dem Attentat – unter dem Decknamen „Ramses“ Razzien in der Islamistenszene durchzuführen. Es wird spekuliert, dass der Terrorist davon Wind bekommen und deshalb den Anschlag durchgeführt habe. Nehammer hat die Berichte weder bestätigt noch explizit dementiert.

Wiener Polizeipräsident Gerhard Pürstl
APA
Laut Pürstl darf man einen Kriminalroman nie von hinten zu lesen beginnen

Am Dienstag um 3.00 Uhr hätten nach Informationen der APA zahlreiche Beamte von Spezialeinheiten wie WEGA, Cobra und die Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Straßenkriminalität (EGS) in Wien, Niederösterreich und Oberösterreich in Aktion treten sollen. Weil sich die Spezialkräfte bereits am Abend vorbereitet haben, waren sie laut Medienberichten so schnell am Tatort in der Wiener City.

Laut Berichten wird vermutet, dass ein Dolmetscher die Aktion verraten habe. Daraufhin habe der Attentäter seinen Plan in die Tat umgesetzt. Ermittler meinten etwa in der Gratiszeitung „Heute“, dass es sich bei dem Anschlag um eine „Hauruckaktion“ gehandelt habe. Laut „Kleiner Zeitung“ waren die nun 15 Festgenommenen nach dem Attentat nicht Ziel der Razzia. „Heute“ und „Kurier“ schreiben allerdings, dass Freunde des 20-Jährigen auf der Liste der Aktion „Ramses“ gestanden seien.

Doskozil: Nachrichtendienste zusammenlegen

Neben der FPÖ hatte zuletzt auch ein Grünen-Politiker den Rücktritt von Nehammer gefordert – und zwar von den Wiener Grünen: Martin Margulies, Gemeinderatsmandatar und Budgetsprecher in der Landespartei, machte auf dem Kurznachrichtendienst Twitter seinem Ärger Luft. In der Nachricht fragte er: „Warum ist @karlnehammer noch im Amt?“ In weiterer Folge übte Margulies scharfe Kritik am Minister: „Er hat seine Abteilungen nicht im Griff. Ein erkennbarer Terrorangriff wurde nicht verhindert. Vier Menschen starben. Und das alles wird bekannt innerhalb von 48 Stunden. Was kommt da noch?“

Unterdessen sprach sich der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) für eine Zusammenlegung der drei Nachrichtendienste aus. „Einer reicht. Einer, der gut aufgestellt ist“, sagte Doskozil in einem Interview in der „Presse“ (Freitag-Ausgabe). In der „Kronen Zeitung“ meinte Doskozil, wären die Geheimdienste dem Hinweis besser nachgegangen, dass der spätere Attentäter Munition kaufen wollte, dann könne man „mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass dieses Attentat nicht passiert wäre.“

Reform des Verfassungsschutzes

Nehammer hatte bereits am Mittwoch – nachdem er Fehler des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) zugegeben hatte – eine Reform des Verfassungsschutzes angekündigt. Die Neuaufstellung ist aber schon länger in Planung. Auch Nehammers Vorvorvorgänger, FPÖ-Klubchef Herbert Kickl, hatte in seiner Amtszeit öfters die Reform angekündigt. Kickl, unter dessen Ära auch die Razzia im BVT stattfand, begründete das damals mit Missständen im Staatsschutz.

BVT soll neu aufgestellt werden

Nach dem Terroranschlag in Wien zeigen sich Schwachstellen des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Dieses soll laut Innenministerium nun komplett neu aufgestellt werden. Zuletzt wurde Kritik laut, da die Information, dass der Attentäter in der Slowakei Munition kaufen wollte, nicht weitergeleitet wurde.

Ersteintreffende Polizisten ohne Sturmgewehr

Obwohl der Attentäter recht schnell ausgeschaltet werden konnte, waren nicht alle ersteintreffenden Beamte mit Sturmgewehren ausgerüstet. Statt eines Sturmgewehrs hatten sie nur Glock-Pistolen dabei, wie der Chef der Wiener Polizeigewerkschaft, Gerhard Zauner (FCG), gegenüber der APA einen „Kurier“-Bericht bestätigte. Der Grund: Wegen der Coronavirus-Krise konnten noch nicht alle Beamten und Beamtinnen auf die Handhabe des Sturmgewehrs eingeschult werden.

Aufgrund der Pandemie wurden einige Polizeischulungen ausgesetzt und nur die wichtigsten durchgeführt, berichtete Zauner. „Wünschenswert“ wäre eine flächendeckende Ausstattung, das bedeutet für den Gewerkschafter „in jedem Streifenwagen zwei“. Laut Zauner ist eine ausreichende Anzahl dieser Präzisionswaffen vorhanden, jedoch erfolgt die Vollausstattung erst, wenn alle geschult worden sind. Das sollte bis Ende des Jahres abgeschlossen sein und somit die Waffen an die Beamten übergeben werden.

In Wien etwa sind nur 14 Stadtpolizeikommandos damit ausgerüstet. Damit sind aber nicht die Sondereinheiten wie Cobra und WEGA gemeint. Am Montagabend waren die ersteintreffenden Beamten deshalb noch ohne Sturmgewehr unterwegs. Erst Beamte der Wiener Einsatzgruppe Alarmabteilung (WEGA) konnten den Täter dann „ausschalten“. Die Sturmgewehre seien durchschlagskräftiger und viel präziser vor allem auf die Distanz, sagte Zauner. „Und die Reichweite ist bei einem solchen Einsatz ausschlaggebend“, sagte der Gewerkschafter. Die Glock sei eher für Kurzdistanzen gedacht.