Skifahrer neben einer Liftanlage
ORF.at/Christian Öser
Ski-Lockdown

Debatte für Italiens Außenminister „surreal“

Der italienische Außenminister Luigi Di Maio, Spitzenpolitiker der stärksten Regierungspartei Fünf Sterne, hat die Diskussion über ein Skiurlaubsverbot während der Weihnachtszeit als „surreal“ bezeichnet. „Nicht Ski fahren zu dürfen, ist kein Opfer. Diese Diskussion über den Winterurlaub ist surreal“, so Di Maio.

„Wir müssen die letzten Opfer bringen, um die Epidemie zu besiegen. Wir schließen die Skianlagen, um Menschenansammlungen zu vermeiden. Wir schließen jedoch nicht die Grenzen. Wer nach Österreich oder in die Schweiz zum Skiurlaub fährt, muss sich einer Quarantäne unterziehen. So schützen wir diejenigen, die zu Hause geblieben sind“, so Di Maio im Interview mit dem TV-Kanal Rete 4.

Laut Verkehrs- und Infrastrukturministerin Paola De Micheli sind die Bedingungen für einen Winterurlaub über die Weihnachtsfeiertage nicht vorhanden. „Um den Wintertourismus kreisen Aktivitäten, die zu einem Anstieg der Ansteckungen führen könnten“, argumentierte die Ministerin.

Der italienische Außenminister Luigi Di Maio
Reuters/Guglielmo Mangiapane
Italiens Außenminister Di Maio will keine Grenzen schließen, aber Skianlagen auch nicht öffnen

Kompatscher pflichtet De Micheli bei

„Es ist mir klar, dass sich die Betreiber der Skianlagen strikt an die Anti-Covid-Maßnahmen halten, doch während der Urlaubszeit kommt es zu mehr sozialen Kontakten, was zu einem Anstieg der Infektionen führen kann, wie bereits die hohe Zahl der Ansteckungen während der Sommerzeit bewiesen hat“, sagte De Micheli.

Diese Ansicht teilt auch der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher. „Tausende Arbeitsplätze hängen vom Wintertourismus ab. Daher müssen wir uns weiter anstrengen, um die Infektionen zu drücken und den Neustart zu ermöglichen. Der Neubeginn des Tourismus hängt von der Entwicklung der Epidemie in Italien und in Europa ab“, sagte Kompatscher.

Skiurlaubsstreit geht weiter

Seit Tagen wird bereits über die kommende Skisaison diskutiert – konkret darüber, ob es eine geben soll oder nicht. Am Freitag kritisierte der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) scharf, weil der die Schließung der Skigebiete bis in den Jänner hinein gefordert hatte. Mit dem Ruf Deutschlands nach einer europaweiten Debatte melden sich nun auch weitere Länder zu Wort, die ihre, meist recht kleinen, Skigebiete öffnen könnten – und das, obwohl eine EU-Regelung dazu eigentlich kein Thema ist.

In der Schweiz, selbst ja nicht EU-Mitglied, wird betont, das eine Schließung der Skigebiete in diesem Winter kein Thema sei. „In der Schweiz sind Bundesrat, Behörden und die Tourismusbranche überzeugt, dass der Schweizer Weg – für den Moment – richtig ist und die Wintersaison sicher stattfinden kann“, sagte Markus Berger, Sprecher von Schweiz Tourismus, am Donnerstag.

Debatte über Absage der Skisaison

Die heimischen Skigebiete sehen ungewissen Wochen entgegen. Einerseits hoffen sie derzeit darauf, nach dem Lockdown in Österreich rasch wieder aufsperren zu können, und bereiten sich auf den Saisonstart vor. Andererseits kommen aus Italien und Deutschland Forderungen, die Skianlagen europaweit erst im neuen Jahr in Betrieb zu nehmen.

Bundesrat und Gesundheitsminister Alain Berset (SP) sagte am Donnerstag, dass die Schweizer Skigebiete offen bleiben – mit „guten Schutzkonzepten und einer strikten Umsetzung“. Auch bei einer Pressekonferenz von Experten des Bundes am Freitag wurde dieser Standpunkt bestätigt.

Schweiz mit scharfen Regeln und Sanktionen

Virginie Masserey, Leiterin der Sektion Infektionskontrolle im Bundesamt für Gesundheit (BAG), sagte, Wintersportorte müssten die gleichen Regeln wie die Städte umsetzen. Ergänzt wurde, dass die Kantone dafür verantwortlich seien, grobe Verstöße müssten harte Konsequenzen haben, und Skigebiete, die gegen die Regeln verstoßen, würden schnell geschlossen.

In Schweizer Medien hieß es zuletzt, man habe beim Wintersport vielleicht einen Wettbewerbsvorteil, wenn andere Skigebiete zunächst geschlossen bleiben. Allerdings wurde auch daran erinnert, dass bis vor Kurzem extrem hohe Infektionszahlen verzeichnet worden seien und man recht langsam auf dem Weg der Besserung sei. Der Schweizer Kurs der Pandemiebekämpfung ist nicht unumstritten, Experten sprechen von einem „Slowdown“ und nicht von einem Lockdown.

Finnland meldet sich zu Wort

Deutschland, Italien, Frankreich und zuletzt auch Belgien sprechen sich gegen die Öffnung von Skigebieten aus, mit der Ankündigung der deutschen Kanzlerin Angela Merkel (CDU), sich um eine europäische Koordination zu bemühen, wurde eine EU-Debatte losgetreten – und das, obwohl es aus Brüssel postwendend hieß, dafür sei man nicht zuständig.

„Ich denke, wir alle erinnern uns noch sehr gut daran, dass Skiferien die Ausbreitung des Virus in Europa verursacht haben. Man muss kein Virologe sein, um zu wissen, dass diese Urlaube ein sehr großes Risiko darstellen“, sagte Belgiens Premier Alexander De Croo am Freitag. Laut der Zeitung „La Libre“ wandte er sich bereits an die Schweiz mit der Bitte, Lifte wieder zuzumachen. Die Botschaft der belgischen Behörden sei klar, so „La Libre“, man solle auf Skiurlaub verzichten. De Croo: „Ich würde ja gerne einen Schlussstrich unter dieses Katastrophenjahr ziehen. Aber ich möchte nicht, dass Weihnachten den Beginn einer neuen Katastrophe markiert.“

Am Freitag meldete sich etwa Finnland zu Wort: Eine Schließung von Skigebieten wäre ein „tödlicher Schlag“ für die heimische Tourismusindustrie. Eine Schließung wäre „sehr eigenartig“, da die Coronavirus-Verbreitung in Finnland „lange nicht so schlimm“ wie in anderen europäischen Ländern sei, sagte ein Sprecher des finnischen Wirtschaftsministers Mika Lintilä gegenüber der Nachrichtenagentur AFP am Freitag. Lintilä argumentierte, die Mehrheit der Besucher von Skigebieten in Finnland seien inländische Touristen. Eine Schließung von Apres-Ski-Treffs könne er hingegen nachvollziehen.

Auch andere Länder wollen öffnen

Auch andere EU-Länder wollen ihre Skigebiete öffnen – oder diskutieren gerade über eine Öffnung. Tschechien und Slowenien etwa wollen ihre Liftanlagen in Betrieb gehen lassen. Auch aus Bulgarien ist Ähnliches zu hören. In den wenigen spanischen Skigebieten hoffen die Seilbahnbetreiber ebenso auf die Öffnung wie in der Slowakei. Noch unklar ist die Situation in Polen.

Nun bleibt abzuwarten, ob sich noch mehr Länder an einer EU-weiten Debatte, oder eigentlich Scheindebatte, beteiligen und positionieren. Fakt ist einerseits, dass es kein EU-Machtwort geben wird, und andererseits, dass in den meisten dieser Länder mit kleinen Skigebieten der Wintertourismus vor allem für einheimische Urlauber eine Rolle spielt – und keineswegs derart wirtschaftlich ins Gewicht fällt wie in Österreich.

Platter gegen Söder

Hier wurde der Ton Deutschland gegenüber unterdessen rauer: „Wenn es die Infektionszahlen zulassen, werden wir uns das Skifahren auch von Bayern nicht nehmen lassen“, erklärte Landeshauptmann Platter in einer Aussendung. Das müsse auch Söder zur Kenntnis nehmen. Er halte generell wenig davon, „Politik auf Kosten anderer Regionen“ zu machen, so Platter in Richtung des bayrischen Nachbarn: „Dabei verlieren am Ende des Tages alle“ – mehr dazu in tirol.ORF.at.

Söders Replik war nur auf den ersten Blick versöhnlich: Er bat Österreich zwar um Verständnis, erklärte aber gleich danach, dass „Ischgl nicht vergessen“ sei. Die Entscheidung, Reisende, die für weniger als 48 Stunden zu Zwecken des Skifahrens oder anderer Freizeitaktivitäten aus Deutschland nach Österreich fahren, nach ihrer Rückkehr in eine zehntägige Quarantäne „ohne Entschädigung“ zu schicken, richtete sich nicht gegen jemanden, sondern werde im Interesse eines „erhöhten Sicherheitslevels“ ergriffen. In Bayern würden die Betreiber der geschlossenen Wintersporteinrichtungen wie Seilbahnbetreiber „sehr großzügig“ entschädigt, fügte Söder hinzu. Möglicherweise würde so etwas auch in Österreich helfen.

Kurz: „Treffen selbst die Entscheidung“

Auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) streifte am Freitag das Thema nach einer Videokonferenz mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die Diskussion über eine Schließung der Skigebiete in dieser Wintersaison „war kein Thema“ in der Konferenz, sagte Kurz. „Es gibt auch keinen Druck auf Österreich. Wir treffen selbstverständlich selbst die Entscheidung, wann wir wie öffnen.“ Diese hänge ja auch vom Infektionsgeschehen in Österreich ab.

Es gebe zwar Politikbereiche, in denen die Europäische Union koordinativ tätig werden sollte, sagte Kurz. Was sie aber sicher nicht machen könne, sei zu regeln, „wann Fußball gespielt werden darf, wo man Laufen gehen darf und wann man Ski fahren gehen darf“.