Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen
APA/AFP/Olivier Hoslet
Brüssel

Gipfel der großen Entscheidungen

27 Regierungen so weit zu bringen, dass sie sich auf eine Position einigen, ist nicht nur langwierig, kompliziert und mit Kompromissen verbunden: Es bietet auch selten den Paukenschlageffekt, den man sich von großen Entscheidungen erwartet. Trotzdem: Wenn ein EU-Gipfel der letzten Jahre wichtig war, dann war es dieser.

Gleich mehrere „heiße Eisen“ wurden auf dem Marathongipfel zumindest entscheidend weitergeschmiedet: das riesige CoV-Hilfspaket und die neue Finanzierungsform, der ab 2021 gültige mehrjährige Budgetrahmen für die EU, dazu eine zumindest gewisse Einhegung Ungarns und Polens in puncto Rechtsstaatlichkeit, das verschärfte Klimaziel und zusätzliche Sanktionen gegen die Türkei.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bezeichnete die Ergebnisse des Marathongipfels in Brüssel als beeindruckend und hob vor allem den EU-Haushalt, die Wiederaufbauhilfen und das neue Klimaziel für 2030 hervor: „Was für ein Triple, das ist beeindruckend. Und das ist ein guter Tag heute für Europa“, sagte von der Leyen am Freitag an die deutsche Kanzlerin Angela Merkel gerichtet.

Die Einigung auf das 1,8 Billionen Euro schwere Finanzpaket für die kommenden Jahre wäre ohne die „beständige Führung“ Merkels unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft nicht möglich gewesen. „Dafür sind wir sehr dankbar.“

Michel: Zentimeter für Zentimeter

Deutschland hat seit Juli turnusgemäß für sechs Monate den Vorsitz der EU-Staaten inne. Auf dem EU-Gipfel rangen die EU-Staats- und -Regierungschefs bis Freitagvormittag mehr als 21 Stunden vor allem um ein schärferes Klimaziel für 2030. In der Früh einigten sie sich dann darauf, dass der Ausstoß von Treibhausgasen um mindestens 55 Prozent unter den Wert von 1990 sinken soll. Bereits am Donnerstag wurde ein Durchbruch im EU-Haushaltsstreit mit Polen und Ungarn erzielt.

Auch EU-Ratschef Charles Michel bedankte sich bei Merkel für die Arbeit während der deutschen Ratspräsidentschaft. Es sei eine sehr persönliche Freude gewesen, in den vergangenen Monaten quasi täglich mit ihr zusammenzuarbeiten, um die nötigen Entscheidungen Zentimeter für Zentimeter voranzutreiben, so Michel.

Merkel: „Das war ein Riesenstück Arbeit“

Merkel selbst zeigte sich am Freitag zufrieden mit der mühsam ausgehandelten Verschärfung des EU-Klimaziels. „Dafür hat es sich auch gelohnt, eine Nacht nicht zu schlafen“, sagte sie am Freitag nach den mehr als 21-stündigen Verhandlungen beim EU-Gipfel. „Ich möchte mir nicht ausmalen, was gewesen wäre, wenn wir ein solches Ergebnis nicht hätten erreichen können.“

„Wir hatten sozusagen zum Ende uns noch eine Menge aufgehoben für den letzten Rat“, sagte Merkel nach dem letzten Gipfel unter der aktuellen deutschen Ratspräsidentschaft. „Ich bin sehr erleichtert.“ Ihr sei vor allem ein „Stein vom Herzen gefallen“, dass beim Haushalt ein Kompromiss gelungen sei. „Das war ein Riesenstück Arbeit.“

Merkel räumt auch ein: „Vieles nicht erreicht“

Allerdings räumte Merkel auch ein, dass während der deutschen Ratspräsidentschaft nicht alles gelungen sei. Als Beispiel nannte sie den anhaltenden Streit mit der Türkei über Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer. „Wir hatten uns hier etwas mehr vorgenommen, das will ich ganz offen sagen“, sagte die deutsche Kanzlerin mit Blick auf das Verhältnis zu Ankara. Auch andere Vorhaben sind laut Merkel wegen der Pandemie liegen geblieben. Man habe „vieles von dem, was wir uns vorgenommen haben, nicht erreicht“.

Kurz zufrieden

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) zeigte sich zufrieden mit den EU-Gipfelbeschlüssen zu Klimaschutz, EU-Budget, Türkei und Terrorismus. „Die Europäische Union ist jetzt handlungsfähig“, lobte Kurz am Freitag die Lösung im EU-Budgetstreit. Zum Klimaziel betonte der Kanzler, Österreich habe schon jetzt im Regierungsprogramm ambitioniertere Klimaziele als die EU vorgesehen.

„Ich halte es für einen großen und wichtigen Schritt“, sagte Kurz in Hinblick auf die vom EU-Gipfel vereinbarte 55-prozentige CO2-Reduktion bis 2030. Gleichzeitig müsse die EU wichtige Maßnahmen ergreifen, um die Wettbewerbsfähigkeit in Europa nicht zu gefährden. Österreich reduziere aktiv Emissionen im Verkehr und durch Gebäudesanierung, sagte Kurz. Viele Maßnahmen seien noch in Planung, um einen Beitrag zur Erreichung des EU-Klimaziels zu leisten.