UN-Generalsekretär Antonio Guterres
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UNO-Klimagipfel

Guterres für Ausrufung des „Klimanotfalls“

Fünf Jahre nach der Einigung auf das Klimaabkommen der Vereinten Nationen hat UNO-Generalsekretär Antonio Guterres alle Staaten der Welt aufgefordert, den „Klimanotfall“ zu erklären. Dieser solle so lange gelten, bis CO2-Neutralität erreicht sei, so Guterres am Samstag zum Auftakt eines eintägigen digitalen Klimagipfels.

In Paris hätten die Staaten versprochen, den Temperaturanstieg so nah bei 1,5 Grad wie möglich zu begrenzen, sagte Guterres. Aber die dort gemachten Zusagen beim Klimaschutz reichten nicht aus, und nicht einmal diese würden eingehalten. Wenn die Weltgemeinschaft nicht umsteuere, gehe es wohl auf einen katastrophalen Temperaturanstieg um mehr als drei Grad noch in diesem Jahrhundert zu. „Kann irgendjemand noch leugnen, dass wir vor einem dramatischen Notfall stehen?“, fragte Guterres.

38 Staaten hätten den „Klimanotfall“ bereits erklärt, sagte Guterres. Damit trügen sie der Dringlichkeit und dem Risiko Rechnung. „Ich bitte alle anderen dringend, sich dem anzuschließen.“ Die Welt sei nicht zum Scheitern verdammt. Viele Städte, Regionen und Staaten haben schon den Klimanotfall oder auch -notstand ausgerufen, das Europaparlament hat ihn im November 2019 für die ganze EU erklärt. In aller Regel ist das ein symbolischer Akt, der die Dringlichkeit der Klimakrise unterstreicht.

Der Aufschwung nach der Pandemie biete eine Gelegenheit, Wirtschaft und Gesellschaft auf einen „grünen Pfad“ zu führen. „Aber das passiert noch nicht“, mahnte Guterres. In ihren Konjunkturpaketen gäben die wirtschaftlich starken G-20-Staaten 50 Prozent mehr für Bereiche aus, die mit der Produktion und dem Verbrauch von Kohle, Öl und Erdgas zu tun hätten, als für klimafreundliche Energie. „Das ist nicht akzeptabel“, urteilte der UNO-Generalsekretär.

Von der Leyen betont ernste Absichten der EU

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte beim digitalen Gipfel, dass es der EU ernst damit sei, „unsere Wirtschaft auf einen nachhaltigeren Weg zu bringen“. Aber Europa sei für weniger als zehn Prozent der weltweiten Treibhausgase verantwortlich.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) erklärte in seinem Videoredebeitrag, dass jeder Einzelne dazu beitragen könne, „dass die grüne Wende gelingt – aber gemeinsam werden wir stärker sein“. Die grüne Transformation bezeichnete er als „Chance für uns alle, aus der aktuellen Krise gesünder, stärker und innovativer hervorzugehen“. Dabei würden „wirtschaftliche Stärke und ein erfolgreicher grüner Übergang“ Hand in Hand gehen, so der Bundeskanzler. Er lobte zudem die österreichischen Anstrengungen im Kampf gegen den Klimawandel.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte 500 Millionen Euro zu, um ärmere Länder beim Klimaschutz zu unterstützen. „Alle Staaten müssen notwendige Klimaschutzinvestitionen finanzieren können“, sagte Merkel in einer Videobotschaft. Der französische Premier Emmanuel Macron forderte ein Umdenken im Finanz- und Wirtschaftsbereich. „Wir müssen die öffentlichen und privaten Geldflüsse massiv umlenken, um sie mit den Zielen des Pariser Klimaabkommens in Einklang zu bringen.“ Die Wirtschaft solle entkarbonisiert werden – also von der Nutzung kohlenstoffhaltiger Energieträger abkehren.

China zu weiteren Zusagen bereit

Chinas Präsident Xi Jinping kündigte unterdessen weitere Anstrengungen seines Landes an. Bis 2030 werde China seine CO2-Emissionen pro Bruttoinlandsprodukt-Einheit um mehr als 65 Prozent im Vergleich zu 2005 mindern, so Xi am Samstag. Der Anteil nicht fossiler Energien am gesamten Energieverbrauch solle auf etwa 25 Prozent ansteigen. Zudem soll aufgeforstet und die Wind- und Solarkraft weiter ausgebaut werden. China ist das Land mit dem weltweit größten Treibhausgasausstoß.

„China hält seine Zusagen immer ein“, sagte Xi Jinping. Man werde entschlossene Schritte gehen, um die angekündigten Ziele zu erreichen. Bereits im September hatte China angekündigt, „vor 2060“ die Klimaneutralität zu schaffen und „vor 2030“ den Höhepunkt beim Treibhausgasausstoß zu überschreiten – nicht erst „um 2030“, wie China im Pariser Klimaabkommen zugesagt hatte. Beides bekräftigte der Präsident beim UNO-Gipfel. Klimaneutralität heißt, dass nicht mehr Treibhausgase ausgestoßen werden, als Natur oder auch technische Lösungen binden können.

Scharfe Kritik von Aktivisten

Die Klimaaktivistin Greta Thunberg ging mit dem digitalen Klimagipfel hart ins Gericht. „Beim Climate Ambition Summit feiern Anführer ihre schamlosen Schlupflöcher, leeren Worte, unzureichenden Fernziele und den Raub heutiger und künftiger Lebensbedingungen – und nennen es ‚Ehrgeiz‘“, schrieb die Schwedin am Samstag auf Twitter. „Es gibt keine Klima-Anführer. Die einzigen, die das ändern können, seid ihr und ich. Zusammen.“

Auch andere Klimaschützer äußerten Kritik an den Ankündigungen von mehr als 70 Staats- und Regierungschefs. „Es ist sehr enttäuschend, dass heute fast nichts dazu zu hören war, wie endlich das notwendige Geld für Klimaschutz und Anpassung im Globalen Süden zusammenkommen soll“, sagte etwa David Eckstein von der Organisation Germanwatch.

Dagegen befand Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan, das virtuelle Treffen sei dem nicht einmal nahe gekommen, was es brauche – nämlich „Führung, die auf die Wissenschaft hört und Emissionen drastisch beschränkt, um allen überall – vor allem unserer Jugend – eine faire Chance auf eine grüne und friedliche Welt zu geben“. Vielen Staaten fehle offenbar immer noch der Mut, sich gegen die Öl-, Kohle- und Gasindustrie zu stellen.

Auswirkungen der Pandemie „vernachlässigbar“

Um das vor fünf Jahren im Pariser Klimaabkommen festgelegte Ziel von 1,5 Grad zu erreichen, müssten die Emissionen nach Angaben des UNO-Klimaprogramms (UNEP) bis 2030 jährlich um 7,6 Prozent sinken. In diesem Jahr wird aufgrund der Pandemie voraussichtlich ein siebenprozentiger Rückgang der CO2-Emissionen erreicht. Ohne eine schnelle und umfassende Abkehr von fossilen Brennstoffen seien die Auswirkungen dieses Rückgangs jedoch „vernachlässigbar“, warnte die UNEP. Damit lasse sich die Erderwärmung bis 2050 nur um 0,01 Grad begrenzen.

Die fünf Jahre seit der Unterzeichnung des Abkommens waren nach UNEP-Angaben die wärmsten seit Beginn der Aufzeichnungen. Heuer führten riesige Waldbrände etwa in Sibirien, Kalifornien und Australien, Dürren sowie eine heftige Hurrikansaison der Menschheit vor Augen, was eine außer Kontrolle geratene Erderwärmung anrichten kann. UNEP-Chefin Inger Andersen rief die Staaten zu einem ökologisch nachhaltigen Wiederaufbau nach der Krise auf. Das könnte „einen großen Teil der Treibhausgasemissionen eindämmen und dazu beitragen, den Klimawandel zu verlangsamen“, erklärte sie. Demnach könnten die für 2030 erwarteten Emissionen auf diese Weise um bis zu 25 Prozent reduziert werden.

Rauchende Schlote einer Fabrik
APA/AFP/Ina Fassbender
Die Treibhausgasemissionen stiegen 2019 auf ein Rekordhoch von 59,1 Gigatonnen CO2-Äquivalente

Dafür müssten die Staaten jedoch stärker auf erneuerbare Energien umsteigen, emissionsfreie Technologien und Infrastrukturen unterstützen, Subventionen für fossile Brennstoffe zurückfahren, keine neuen Kohlekraftwerke genehmigen und Wälder wieder aufforsten, heißt es in dem Bericht. Experten halten einen Wiederanstieg der Kohlendioxidemissionen im Jahr 2021 jedoch für unvermeidlich.

„Die Pandemie ist eine Warnung, dass wir dringend von unserem zerstörerischen Wachstumspfad abkommen müssen, der die drei globalen Krisen Klimawandel, Biodiversitätsverlust und Umweltverschmutzung vorantreibt“, sagte Andersen. „Sie ist aber auch eine klare Chance, unser Klima und die Natur auf Jahrzehnte hinaus zu schützen.“

2019 wurden laut dem UNEP-Bericht durch Emissionen 59,1 Gigatonnen CO2-Äquivalente freigesetzt – 2,6 Prozent mehr als im Vorjahr. Der Anstieg sei größtenteils auf eine Zunahme von Waldbränden zurückzuführen. In der Pflicht stehen aber auch private Verbraucher: Rund zwei Drittel der globalen Emissionen gehen auf den Konsum von Privatleuten zurück. Dabei produziert das reichste Prozent der Weltbevölkerung mehr als doppelt so viele Treibhausgase wie die ärmsten 50 Prozent – und trägt damit besondere Verantwortung.

EU einigte sich auf neue Klimaziele

Die Europäische Union verschärfte vorige Woche ihr Klimaziel für 2030 deutlich. Um mindestens 55 Prozent soll der Ausstoß von Treibhausgasen unter den Wert von 1990 sinken. Das beschloss der EU-Gipfel nach langem Ringen Freitagfrüh. Bisher galt ein Ziel von minus 40 Prozent.

Der Einigung waren stundenlange Verhandlungen gerade mit osteuropäischen Ländern wie Polen, Tschechien und Ungarn vorausgegangen, die mehr finanzielle Hilfe für den Übergang von ihrer kohlegestützten Energieerzeugung zu nicht fossiler Stromproduktion gefordert hatten. Dass das Klimaziel keine leichte Hürde und die Debatte über das ambitionierte Ziel lang wird, zeichnete sich schon im Vorfeld des Gipfels ab.