Containers im Hafen von Felixstowe (Großbritannien)
Reuters/Peter Cziborra
Brexit-Unsicherheit

Containerchaos in britischen Häfen

Die zähen Verhandlungen über einen Brexit-Handelspakt sorgen – noch dazu in Kombination mit der CoV-Pandemie – für veritable Probleme im Frachtgeschäft. Seit Wochen verstopft ein Containerstau die britischen Häfen – enorme Verzögerungen sind mittlerweile die Regel und treiben die Transportkosten in die Höhe.

In Häfen wie dem wichtigen Containerhafen Felixstowe an der Nordsee und Southampton am Ärmelkanal stapeln sich seit Wochen die Container weit über das normale Maß hinaus. Viele Unternehmen versuchen, vor Ablauf der Brexit-Übergangsphase am 31. Dezember ihre Lagerbestände aufzufüllen. Auf den Autobahnen kommt es zu langen Lkw-Staus.

Händler in Großbritannien hätten es schwer, ihre Lagerbestände für die Weihnachtszeit aufzubauen, so die Verbände des Landes. Vor allem Spielzeughersteller warnten bereits vor Wochen. Teilweise würden Sendungen nun in andere Häfen umgeleitet, man rechne aber damit, dass der Druck auf die britischen Häfen zu Jahresbeginn weiter zunehmen werde.

Zusätzliche Staugebühren

Zudem schießen die Transportkosten in die Höhe: Teilweise würden für Container 25 Prozent mehr verlangt als eine Woche zuvor, Häfen verlangten zudem Staugebühren. Unternehmen hätten bereits Hunderttausende Pfund verloren. „Diese Probleme müssen dringend angegangen werden. Eine Untersuchung würde die notwendige Kontrolle liefern, um unsere Häfen wieder frei fließen zu lassen“, sagte die Chefin des Handelsverbands BRC, Helen Dickinson.

Nach einem herausfordernden Jahr seien die Unternehmen nicht in der Lage, höhere Lieferkosten auszugleichen, so Dickinson einer Mitteilung vom Donnerstag zufolge. „Die Zeche zahlen die Verbraucher.“ Weihnachtspakete könnten sich verspäten, und Händlern bleibe keine andere Wahl, als die Preise zu erhöhen. Gemeinsam mit dem Verband der Lebensmittel- und Getränkehersteller forderte der BRC das Parlament zu einer Untersuchung der Lage auf.

Hafenverband fordert zusätzliche Mittel

Der Hafenverband BPA betonte hingegen, es handle sich nicht um eine rein britische Problematik. Es gebe keinen Grund für die Regierung, sich einzuschalten. „Die Häfen, die Container und Lastwagen abfertigen, sind zu dieser Jahreszeit immer schwer beschäftigt, und derzeit bewältigt die Mehrheit höhere Mengen“, so der Verband.

Dennoch fordert der BPA mehr Geld, um rechtzeitig die nötige Grenzinfrastruktur sicherzustellen. „Diese Infrastruktur wird benötigt, unabhängig davon, ob es zu einem Brexit-Handelspakt kommt oder nicht“, sagte BPA-Chef Richard Ballantyne. „Wir fordern die Regierung dringend auf, weitere Mittel bereitzustellen, damit alle Häfen im ganzen Land für den Brexit bereit sind.“

Neuwagen und Container im Hafen von Southampton (England)
APA/AFP/Adrian Dennis
In Southampton stauen sich Container und Neufahrzeuge, die auf einen Weitertransport warten

Kent will nicht „Klo Englands“ werden

Wie wichtig die Anpassung der Infrastruktur in und rund um die Häfen ist, zeigt sich am Beispiel Kents. Die Grafschaft im Südosten Englands fürchtet, sie werde in Fäkalien untergehen, berichtete der „Guardian“. Tausende Lkw-Fahrerinnen und -Fahrer würden sich in der Umgebung erleichtern, wenn sie stundenlang auf die Überfahrt warten müssten. Schon jetzt seien die Hauptstraßen Kents mit Urinflaschen und Exkrementbeuteln übersät.

Das Problem werde nach dem 31. Dezember noch viel schlimmer werden. Mike Sole, Stadtrat in Canterbury, sagte, er mache sich Sorgen: „Kent könnte zum Klo Englands werden, nicht zum Garten Englands. Und wir sind alle darauf vorbereitet, dass es noch viel ärger wird."

Die Regierung in London versprach tragbare Toiletten für diesen Problemfall, doch die Gewerkschaft Unite geht laut „Guardian" davon aus, dass das nicht ausreichen werde. „Das Hauptanliegen ist das Wohl unserer Fahrer, aber auch das Wohl der Anrainer. Es wird nicht schön sein, wenn Tausende von Lkw-Fahrern möglicherweise die Büsche rund um Lkw-Parks nutzen. Alles, was wir brauchen, ist eine richtige Toilette und Waschgelegenheit. Die Zeit für die Installation ist nicht im Jänner, sondern jetzt“, sagte Phil Silkstone von Unite.

Aus der lokalen Verwaltungsbehörde hieß es dazu, derzeit entstehe ein entsprechendes Verkehrsmanagementsystem. Im Rahmen dieser laufenden Arbeit stelle die Regierung sicher, dass an diversen Standorten in Kent Toiletten bereitgestellt würden.

Zähes Ringen um Handelspakt

Großbritannien ist am 1. Februar aus der EU ausgetreten, bis zum Jahresende bleibt das Land aber auf dem EU-Binnenmarkt und in der Zollunion. Doch in dieser Übergangsphase gelang es beiden Seiten bisher nicht, sich auf ein Handelsabkommen zu verständigen. Ohne Einigung würden im beiderseitigen Handel zum Jahreswechsel Zölle erhoben – mit gravierenden Folgen für die Wirtschaft.

Die Verhandlungen sind zäh – mehrere Ultimaten verstrichen bereits. EU-Unterhändler Michel Barnier meldete dennoch am Donnerstag „gute Fortschritte“. Doch blieben „letzte Stolpersteine“, so Barnier auf Twitter. „Wir werden nur einen Deal unterzeichnen, der die EU-Interessen und -Prinzipien schützt.“

Der britische Staatsminister Michael Gove sagte am Donnerstag im britischen Parlament, man verhandle weiter, um zu klären, ob eine Einigung möglich sei oder nicht. „Selbst wenn die Ergebnisse später kommen, als wir uns das gewünscht hätten, werden wir nach meiner Überzeugung alles tun, um ein gutes Freihandelsabkommen im Interesse des gesamten Vereinigten Königreichs zu sichern“, sagte Gove. Zudem sagte er, im Fall eines No-Deal-Brexits würden EU-Fischerboote zunächst keinen Zugang mehr zu britischen Gewässern haben.

EU-Parlament setzt neue Frist bis Sonntag

Das EU-Parlament setzte EU und Großbritannien am Donnerstag erneut eine Frist. Dann müsse ein Abkommen vorliegen, damit es durch das Parlament vor dem Jahresende noch „vernünftig“ geprüft werden könne, sagte der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion, Manfred Weber (CSU). „Das Abkommen ist zu wichtig, um es im Eiltempo durch das Parlament zu bringen.“

„Wir können keine Blankoscheck für unsere Zukunft ausstellen“, sagte ÖVP-Delegationsleiterin Angelika Winzig. „Das Europaparlament steht bereit, kauft aber nicht die Katze im Sack“, sagte der ÖVP-Europaabgeordnete Lukas Mandl.

„Wir geben Boris Johnson bis Sonntag, um eine Entscheidung zu treffen“, sagte der Chef der Liberalen, Dacian Ciolos. „Die Unsicherheit, die als Folge des Kurses des Vereinigten Königreichs über Bürgern und Firmen hängt, wird unerträglich.“

Die grüne Ko-Fraktionsvorsitzende Ska Keller hingegen hielt die Zeit nach Sonntag bereits für zu kurz, um das Hunderte Seiten starke Abkommen zu prüfen. „Eine Woche reicht einfach nicht“, sagte sie. „Wir haben noch nicht einen einzigen Teil des Textes vorliegen.“