Trum-Anhänger und Polizeikräfte ziehen an einer Absperrung
AP/John Minchillo
Nach Kapitol-Sturm

Polizei unter Druck, FBI ermittelt

Der Sturm auf das US-Kapitol durch Unterstützer des scheidenden Präsidenten Donald Trump lässt neben internationalem Entsetzen auch eine scheinbar überforderte Polizei zurück. Erst mit Hilfe der Nationalgarde konnte die US-Capitol-Police das Gebäude wieder sichern. Das FBI sammelte unterdessen Hinweise zu Teilnehmern und Teilnehmerinnen, die selbst zahlreiche Fotos und Videos im Internet veröffentlichten.

Im Material, das in Sozialen Netzwerken kursierte, war zu sehen, wie Trump-Anhänger die Kapitol-Polizei überrannten, Türen und Fenster einschlugen und im Sitzungssaal und in Abgeordnetenbüros für Bilder posierten. Erst nach einigen Stunden wurden sie von einem großen Aufgebot von Sicherheitskräften aus dem Gebäude gedrängt. Sie hinterließen verwüstete Büros. Es gab über 68 Festnahmen. In den meisten Fällen lautete der Vorwurf auf unerlaubtes Betreten bestimmter Bereiche, in manchen Fällen gehe es aber auch um Körperverletzung oder unerlaubten Waffenbesitz.

Das FBI richtete für seine Ermittlungen zu Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Sturms eine Website für Hinweise ein. Die US-Bundespolizei bietet dort seit der Nacht zum Donnerstag die Möglichkeit, Videos und Fotos von Straftaten hochzuladen. Da viele Personen trotz des Coronavirus-Risikos zumeist keine Masken trugen, sind auf den Fotos und Videos meist Gesichter klar zu erkennen.

Polizeikräfte drängen Trump-Anhänger zurück, nachdem diese das Kapitol in Washington gestürmt haben
APA/AFP/Roberto Schmidt
Absperrungen wurden durchbrochen – die Nationalgarde und die Polizei von DC musste anrücken

„Chaos“ und „Versagen“

Trump-Unterstützer, die nach dem Sturm von Medien interviewt wurden, sagten, dass sie stolz darauf seien, Chaos hinterlassen zu haben. Als „Chaos“ und „Versagen“ betitelten auch Kommentatoren weltweit die Ereignisse von Mittwoch, insbesondere das Auftreten der Polizei des Kapitols. Die Mitglieder der Polizei sind eigentlich darauf trainiert, Demonstranten und Demonstrantinnen auf Abstand zum Kapitol zu halten. Ihre Aufgabe ist es, den Kongress und die im Kongress verweilenden Mitglieder des Senats und Repräsentantenhauses zu schützen. Laut „Foreign Policy“ arbeiten für die Kapitol-Polizei 1.800 Männer und Frauen.

Es ist unklar, wie die Kapitol-Polizei nicht in der Lage war, den Kongress zu schützen. Die Vorsitzende des Verwaltungsausschusses des Repräsentantenhauses, Zoe Lofgren, die die Aufsicht über die Einheit hat, sagte, dass es eine Überprüfung der Sicherheitsverletzung geben wird, berichteten US-amerikanische Medien. Die Vorsitzende des House Financial Services, Maxine Waters, forderte ebenfalls eine Überprüfung. Der Demokrat Timothy Ryan schlug einen Wechsel an der Spitze der Polizeieinheit vor.

Der Kapitol-Polizeichef, Steven Sund, verteidigte seine Beamten und Beamtinnen. Sie hätten „tapfer“ gehandelt. Die Randalierer hätten die Polizei „aktiv angegriffen“ und zum Beispiel Metallrohre oder chemische Reizstoffe benutzt. Die Belagerung war „anders als alles, was ich in meinen 30 Jahren in der Strafverfolgung hier in Washington erlebt habe“, sagte Sund. Die Handlungen seiner Polizei seien angesichts der Situation, in der sie sich befand, „heldenhaft“ gewesen. Einem Sprecher der Polizei vom Freitag zufolge wird Sund am 16. Jänner aus seinem Amt ausscheiden. Zwei weitere hochrangige Sicherheitskräfte hätten ebenfalls ihren Rücktritt eingereicht, berichtete das Magazin „Politico“.

„Gründlich aufarbeiten, was falsch gelaufen ist“

Ein Polizist des Kapitols gab einen tödlichen Schuss ab, teilte Sund zuvor mit. Der Beamte habe im Gebäude seine Dienstwaffe gezückt und die Frau getroffen. „Sofort wurde medizinische Hilfe geleistet und die Frau ins Krankenhaus gebracht, wo sie später ihren Verletzungen erlag.“ Der Beamte sei – wie in solchen Fällen vorgeschrieben – bis auf Weiteres vom Dienst entbunden worden, der Vorfall werde untersucht. In der Nähe des Kongress-Sitzes seien außerdem zwei Rohrbomben gefunden und entschärft worden. Sie seien „tatsächlich gefährlich“ gewesen.

Insgesamt sind vier Menschen gestorben. Bei der Frau, die infolge einer Schussverletzung starb, handelte es sich um eine 35-Jährige aus Maryland. Die drei Menschen, die bei nicht näher definierten „medizinischen Notfällen“ ums Leben kamen, waren im Alter von 34 bis 55 Jahren. Sie kamen aus Georgia, Alabama und Pennsylvania. Am späten Donnerstagabend (Ortszeit) wurde von der Polizei bekanntgegeben, dass auch ein Polizist seinen Verletzungen erlegen ist.

Gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters sagte Terrance Gainer, einer der ehemaligen Chefs der Kapitol-Polizei, dass die Truppe von den Anhängern überrannt wurde. „Nachdem sie die Treppe verloren hatten, verloren sie auch Türen und Fenster“, so Gainer. Man müsse nun „gründlich aufarbeiten, was falsch gelaufen ist“. Der Abgeordnete Vincente Gonzalez beklagte, dass es offensichtlich keine ausreichenden Planungen für so einen Fall gegeben habe. Der Senator von Hawaii, Brian Schatz, forderte eine „Generalüberholung“ der Polizei.

Medienberichten zufolge hat die Polizei trotz der Vorzeichen und des Aufrufs von Trump an seine Anhänger, gegen den Ausgang der Wahl am 3. November zu protestieren, andere Sicherheitskräfte oder das Heimatschutzministerium im Voraus nicht um Unterstützung gebeten. Die Nationalgarde wurde erst nach über einer Stunde mobilisiert – inzwischen hatten die Demonstranten und Demonstrantinnen bereits die Barrikaden überwunden. Im Gegensatz dazu hatte die Trump-Regierung bei den Protesten gegen Polizeibrutalität im vergangenen Sommer noch dafür gesorgt, dass die Sicherheitskräfte des Bundes verstärkt ausrückten.

Experten gehen mit Polizei hart ins Gericht

Seit Wochen wurden Medienberichten zufolge bereits Pläne über einen Sturm des Kapitols geschmiedet. In Sozialen Netzwerken wurde über die „Besetzung am 6. Jänner“ gesprochen, schreibt etwa die US-Senderkette Public Broadcasting Service (PBS) am Donnerstag. Nur eine „dünne Mannschaft“ habe sich mit „ein paar Schutzschilden“ gegen die Masse entgegengesetzt, heißt es. Dass manche Polizisten bzw. Polizistinnen Selfies mit den Demonstranten machten, wird in Sozialen Netzwerken eifrig diskutiert.

Trump-Anhänger im Kapitol in Washington
AP/Manuel Balce Ceneta
Dass es die Trump-Anhänger in das Kapitol geschafft haben, ist für viele schockierend

Der ehemalige Kapitol-Polizist Larry Schaefer betonte, dass seine ehemaligen Kollegen im Umgang mit aggressiven Menschenmengen erfahren seien. Über die Maßnahmen am Mittwoch sei er aber selbst verblüfft gewesen. „Es ist nicht eine spontane Demonstration, die gerade aufgetaucht ist“, sagte Schaefer. Es sei eine Masse gewesen, die schon in der Vergangenheit gezeigt habe, dass sie gewaltbereit ist. „Warum hat sich die Polizei nicht darauf vorbereitet?“, fragte er.

Laut der Nachrichtenseite Bloomberg seien die örtlichen Behörden schon in „höchster Alarmbereitschaft“ gewesen. „Sie wussten, dass diese Gruppe kommen würde. Sie wussten, dass es enorm sein würde, aber sie haben keine Vorbereitungen getroffen, um die Menge zu kontrollieren, wie Zäune, Barrikaden und Zementstrukturen, um den Verkehr und den Menschenfluss zu verhindern“, wird Timothy Dimoff, ein ehemaliges Mitglied der US-Spezialeinheit SWAT, von Bloomberg zitiert.

Offene Fragen nach Kapitol-Sturm

Einen Tag nach dem Ansturm auf das US-Kapitol ringt das Land um Fassung. Viele Fragen sind offen. Der Ruf nach Konsequenzen für Noch-US-Präsident Donald Trump wird lauter. Sogar Vertreter aus den eigenen Reihen fordern ein Amtsenthebungsverfahren.

Sicherheitschef vor Rauswurf

Aber nicht nur für die Kapitol-Polizei wird die Luft dünner. Auch der Sicherheitschef des US-Senats, Mike Stenger, steht unter Kritik. Der demokratische Senatsfraktionschef Chuck Schumer kündigte an, Stenger zu entlassen. Er werde ihn feuern, sobald die Demokraten dank der Stichwahlsiege im Bundesstaat Georgia die Mehrheit im Senat in diesem Monat übernommen haben, wenn Stenger seinen Posten bis dahin nicht selbst schon geräumt habe, teilte Schumer dem Magazin „Politico“ mit.