Gesundheitsminister Rudolf Anschober
ORF
CoV-Streit mit Tirol

Anschober lässt weitere Schritte prüfen

Der Streit über verschärfte CoV-Maßnahmen für Tirol geht in die nächste Runde. Sah es am Montag erst danach aus, als gebe der Bund sich mit dem zuvor präsentierten Maßnahmenpaket des Landes zufrieden, so verschärfte Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) am Abend im ZIB2-Interview die Gangart. Er sagte, dass er unter anderem ein Freitesten für die Ausreise aus jenen Tiroler Regionen prüfen lasse, die besonders von der Mutation B.1.351 betroffen sind.

Hintergrund ist die in Tirol mittlerweile 293-mal festgestellte Virusvariante B.1.351. Diese Variante, erstmals entdeckt in Südafrika, dürfte ansteckender sein und kann der Antikörperantwort des menschlichen Immunsystems zumindest teilweise entkommen – was unter anderem die Wirksamkeit der bisher erhältlichen Vakzine mindern kann. Seit einigen Tagen wurden von Fachleuten rasche Maßnahmen gefordert. In Tirol verweist man darauf, dass die Fallinzidenz im Land keine Isolation oder ähnliche Maßnahmen hergeben würde.

Der Bund sieht das anders. Kurz nachdem Tirol ein eigenes Maßnahmenpaket präsentiert hatte, sprach die Regierung eine Reisewarnung aus, die Juristen als überhaupt nicht verbindlich bezeichneten – mehr dazu in tirol.ORF.at . Anschober begründete das am Abend damit, dass es rechtlich nicht so leicht sei, beispielsweise Quarantänemaßnahmen zu verordnen.

Anschober pocht auf Rechtssicherheit

Am Dienstag würden erneut Juristen in seinem Auftrag beraten, was man tun könne, sagte der Minister. „Ich stehe für Gesundheitsschutz, aber auch für Rechtssicherheit“, sagte Anschober, der ob der „aufgeheizten Stimmung“ in Tirol mit „Dutzenden, wenn nicht Hunderten Klagen“ gegen etwaige schärfere Maßnahmen rechnet. „Alles, was rechtlich möglich ist, werden wir machen, egal ob Tirol da ja sagt oder nein“, sagte er zudem.

Gesundheitsminister Anschober: „Können nicht zur Tagesordnung übergehen“

Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) über den Konflikt mit dem Land Tirol.

Der Minister zeigte sich zwar froh über die Maßnahmen – darunter das Vorschreiben negativer Antigen-Tests für die Seilbahnbenützung – diese seien aber zu wenig. Von Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) wolle man „mehr, mehr, mehr“ an Maßnahmen haben, so Anschober. Konkret meinte er lückenlose Testungen in den besonders betroffenen Gebieten, gemeint ist wohl der Bezirk Schwaz.

Da Platter hier die Verantwortung nicht wahrgenommen habe, müsse man schauen, wie man das durchsetzen könne. Anschober sieht hier als Möglichkeit, dass man sich bei der Ausreise aus einer Risikoregion „heraustesten“ muss.

„Rülpser aus Wien“

Platter stieß sich zuvor am Begriff der Reisewarnung, habe der entsprechende Appell doch eigentlich gar keine Auswirkung. Der Tiroler Wirtschaftsbund-Obmann Franz Hörl (ÖVP) sprach in der ORF-Sendung „Tirol heute“ gleich von einem „Rülpser aus Wien“. Viel entscheidender seien für Tirol ohnehin Reisewarnungen aus den Hauptmärkten, also Deutschland und den Niederlanden.

Platter war am Montag vor dem Bund in die mediale Offensive gegangen und hatte ein eigenes Maßnahmenpaket präsentiert. Dieses beinhaltet unter anderem einen Aufruf an die Bevölkerung zur allgemeinen Mobilitätseinschränkung, flächendeckende PCR-Tests in Bezirken mit hoher 7-Tage-Inzidenz sowie die Vorschreibung von negativen Antigen-Tests für die Seilbahnbenützung – mehr dazu in tirol.ORF.at . Selbst das zu erreichen dürfte kein Kinderspiel gewesen sein. Es sei ein großes Stück Arbeit gewesen, dass diese Testregelung durchgesetzt wurde, berichtete Anschober.

Tirol will Hilfe bei Grenzkontrollen

In einem weiteren Punkt wendet sich das Land unterdessen mit der Bitte um Unterstützung an Innenministerium und Verteidigungsministerium – und zwar für strenge Kontrollen der Grenzen im Zuge der verschärften Einreiseverordnung und verschärfte Kontrollen zur Einhaltung der Covid-19-Maßnahmen wie Maskenpflicht, Abstandsregeln und Ausgangsbeschränkungen durch die Polizei. Die Reaktion von Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) folgte prompt. Sie kündigte an, ab Mittwoch 150 Soldaten an der Staatsgrenze in Tirol im Einsatz zu haben.

Das an Osttirol grenzende Kärnten reagierte am Montag auf die Reisewarnung und die damit verbundenen Empfehlungen. So werden drei zusätzliche Teststraßen insbesondere für Berufspendler in Oberkärnten eingerichtet. Wie Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) in einer Aussendung sagte, werden die Teststraßen in den Gemeinden Lesachtal, Winklern und Oberdrauburg „raschestmöglich“ mit Hilfe des Bundesheeres organisiert. Von Reisen nach Tirol riet Kaiser – wie auch der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner – ab – mehr dazu in kaernten.ORF.at und vorarlberg.ORF.at.

„Rechtlich ist das genau gar nichts“

Juristen hielten die Reisewarnung der Bundesregierung zuvor für überhaupt nicht verbindlich. „Rechtlich ist das genau gar nichts“, kritisierte etwa der Verwaltungsjurist Karl Stöger. Es handle sich lediglich um eine Empfehlung, die der Steigerung der Aufmerksamkeit dienen solle.

Für den auf Medizinrecht spezialisierten Juristen ist dieser Schritt ein „Akt politischer Verzweiflung“: „Man kann nur hoffen, dass es aus epidemiologischer Sicht nicht ein Schuss in den Kopf wird“ – mehr dazu in tirol.ORF.at . Auswirkungen habe die Reisewarnung für Tirol allenfalls für Touristen aus dem Ausland, wenn etwa nach dem Konsulargebührengesetz Kostenersatz für eine mögliche Rückholung schlagend wird.

Schon vor wenigen Tagen stellte Peter Bußjäger vom Institut für öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungslehre in Innsbruck, die Rechtsverbindlichkeit einer Reisewarnung für ein Bundesland infrage. Rechtliche Verbindlichkeit hätte die Regierung auf Basis des Covid-19-Maßnahmengesetzes erzielen können, so Stöger – etwa durch Verkehrsbeschränkungen, wie sie im Fall Tirols schon einmal galten. Effektiv seien Restriktionen nur dann, wenn Verbindungslinien konsequent unterbrochen würden. Stöger: „Es ist eine Frage des politischen Willens.“

Kritik der Opposition

Kritik kam am Montag von der SPÖ: „Wo ist jetzt eigentlich der ach so harte Krisenmanager Sebastian Kurz?“, fragte Gesundheitssprecher Philip Kucher. „Monatelang inszenierte er sich als Kapitän eines Schiffes, aber kaum gibt es parteiinternen Gegenwind, gibt er das Ruder aus der Hand und versteckt sich unter Deck“, so Kucher.

FPÖ-Chef Norbert Hofer warf der Regierung vor, die „Tirol-Frage" verschlafen zu haben „Die Causa Tirol zeigt, wie schwach die Rolle des Gesundheitsministers in der Krisenbewältigung ist.“ NEOS-Gesundheitssprecher Gerald Loacker kritisierte: „Eine unverbindliche Reisewarnung ohne Folgen hilft niemandem weiter.“

Widerstand gegen Verschärfungen

Am Wochenende hatte eine schwarze Phalanx aus Tirol gegen Verschärfungen mobilgemacht. Die schwarzen Präsidenten von Arbeiter-, Landwirtschafts- und Wirtschaftskammer sowie alle Tiroler ÖVP-Nationalratsabgeordneten sprachen sich in einer gemeinsamen Aussendung gegen diese aus und forderten dieselben „bedachtsamen Öffnungsschritte“ für Tirol wie für den Bund.

Tirols WK-Präsident drängt auf Öffnung

Tirols Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Walser übte scharfe Kritik wegen einer möglichen Isolation Tirols.

Experte: 293 bestätigte B.1.351-Fälle in Tirol

Schon die Interpretation der Mutationszahlen trennt Bund und Land. Tirol gibt an, die Situation im Griff zu haben, und verweist auf rückläufige Infiziertenzahlen sowie die momentane Eingrenzbarkeit der Mutationsfälle. Zudem würden derzeit ohnehin nur acht aktiv positive B.1.351-Fälle vorliegen. Insgesamt meldete das Bundesland 165 bestätigte Fälle. Bei 230 weiteren Fällen liege ein Verdacht vor. Laut dem Molekularbiologen Ulrich Elling, der an den Sequenzierungen beteiligt ist, kann man davon ausgehen, dass sich um die 90 Prozent der mittels PCR gefundenen Verdachtsfälle als tatsächliche B.1.351-Fälle erweisen werden.

Die vom Land Tirol genannte Zahl von zunächst nur acht aktiven B.1.351-Fällen hält der Genetiker Andreas Bergthaler für unrealistisch. Für Elling ist die Argumentation mit den vermeintlich nur acht aktiven Fällen irreführend. Die Methode der Sequenzierung sei nämlich dazu da, das Geschehen im Land zu beobachten, nicht jedoch, um aktive Fälle zu bestimmen. Mindestens 293 per Ganz- oder Teilgenomsequenzierung bestätigte Proben seien bisher in Tirol aufgetaucht, sagte Bergthaler der APA. Montagnachmittag sprach Tirol in einer Aussendung sogar nur noch von sieben aktiv-positiven Fällen.

Darin forderte das Land Tirol die AGES auch auf, für „Aufklärung beim Zahlen-Wirrwarr zu sorgen“ und klare Kriterien zur Bestätigung von Mutationen vorzulegen. Denn bisher sei von der AGES vorgegeben worden, dass eine Voll- oder Teilsequenzierung notwendig sei, um bestätigte Fälle auszuweisen.