Blick durch ein Gitter auf Passanten auf einer deutschen Einkaufsstraße
AP/Martin Meissner
Öffnen nach Zahlen

Deutschlands strikte Lockdown-Strategie

Mit den Grenzsperren zu Tirol hat Deutschland viel Kritik und Unverständnis aus Österreich geerntet. Die Linie des Nachbarlands bleibt trotz vergleichsweise niedriger CoV-Zahlen hart – und trotz des Feilschens um Öffnungsschritte ist der Rückhalt in der Bevölkerung groß. Noch gibt es nur vage Öffnungsperspektiven – und nach gestrichenen Skiferien und Faschingsfeiern spricht man in Deutschland schon von wenig Hoffnung auf mögliche Osterurlaube.

Die 7-Tage-Inzidenz in Deutschland liegt bei 58,9 – die regionalen Unterschiede sind allerdings weiter sehr groß. So verzeichnen Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz eine Inzidenz unter 50, die zur Entlastung des Gesundheitssystems angestrebt wird. In Thüringen gab es dagegen wieder einen Wert von mehr als 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner innerhalb einer Woche.

Die Inzidenz von 50 zu unterschreiten war über Monate das politische Ziel. Bei der letzten Videokonferenz der Bundesregierung mit den Ministerpräsidenten der Länder am Mittwoch hatte man sich auf einen Inzidenzwert von 35 als Orientierung für mögliche Lockerungen verständigt. Öffnungen dürften nicht unmittelbar danach wieder zu einem raschen Anstieg der Infektionszahlen führen, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Wichtig sei deswegen, vor folgenden Öffnungsschritten zunächst die Auswirkungen über einen Infektionszyklus von 14 Tagen abzuwarten.

Strikte Einreiseregeln aus Angst vor Mutationen

Aus Angst, dass die Mutationen – vor allem die erstmals in Südafrika nachgewiesene Variante B.1.351 – die bisher erzielten Erfolge zunichte machen, versucht man die Ausbreitung vor allem durch Grenzsperren zu betroffenen Regionen in Nachbarländern zu unterbinden – sehr zum Unmut Österreichs und Tschechiens.

Die strikten Einreiseregeln seien aber „leider notwendig“, um die Ausbreitung der Virusmutationen zu hemmen. Bereits jetzt würden bayrische Landkreise im Grenzbereich zu Tirol und Tschechien „deutlich höhere“ Inzidenzen als der Rest des Freistaates aufweisen, so der Staatssekretär im deutschen Innenministerium, Stephan Mayer (CSU).

Schul- und Kindergartenöffnung nun Ländersache

Generell ist Deutschland noch im harten Lockdown – Gastronomie, Beherbergungsbetriebe und Kultureinrichtungen sind ebenso geschlossen wie der Großteil des Einzelhandels. Schulen und Kindergärten sind bundesweit zu, einige Länder planen aber derzeit mit der Öffnung ab Montag kommender Woche. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte allerdings, ihr wäre eine Öffnung erst im März lieber gewesen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) will die Schulen in Bayern schon am 22. Februar in allen Landkreisen öffnen, die eine Inzidenz von 100 unterschritten haben.

Die Öffnung des Einzelhandels könnte ebenfalls auf Länderebene beschleunigt werden, wenn die Infektionszahlen dauerhaft unter einer Inzidenz von 35 liegen, so Seibert. Die Länder seien dann in Absprache mit ihren Nachbarn für die Umsetzung zuständig.

Der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, mahnte angesichts der Mutationen dennoch zur Vorsicht. Er betonte aber, dass die Schutzmaßnahmen wirkten, was sich auch daran zeige, dass andere Infektionskrankheiten wie Grippe in diesem Winter weniger aufträten als in vorherigen Jahren. RKI-Chef Wieler sagte, wirklich beherrschbar sei die Pandemie bei einer Inzidenz unter zehn, weil man dann alle Infektionsketten gut nachverfolgen könne.

Erste Stimmen gegen Urlaub zu Ostern

Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sieht keine Chance für Urlaubsreisen zu Ostern. „Ich bin dafür, Wahrheiten auszusprechen: Osterurlaub in Deutschland kann es dieses Jahr leider nicht geben“, sagte Kretschmer der „Bild am Sonntag“. Zu große Mobilität bereits im April sei Gift. „Wir würden alles zerstören, was wir seit Mitte Dezember erreicht haben“, warnte der Ministerpräsident. Berlins Regierender Bürgermeister Müller (SPD) sieht das anders: „Das teile ich so pauschal nicht. Und ich glaube, es ist auch verfrüht, das so festzulegen“, sagte er am Sonntagabend in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“.

Die Bundesregierung wagt noch keine Prognose für den Osterurlaub. Es spreche jetzt vieles dafür, die Entwicklungen in den nächsten Wochen abzuwarten, sagte Seibert: „Wir haben zurzeit eine Lage, die sich in vieler Hinsicht positiv entwickelt.“ Allerdings sei die Lage wegen der Mutationen noch unsicher. Es gebe nach wie vor eine „reale Gefahr“. Er gehe aber davon aus, dass Ostern 2021 „ein etwas anderes Fest“ werde, als es Ostern 2020 gewesen sei.

Der Hotel- und Gaststättenverband DEHOGA kritisierte die Warnungen vor Urlauben zu Ostern. Solche Aussagen sorgten für Verunsicherung und seien völlig inakzeptabel, sagte DEHOGA-Lobbyistin Ingrid Hartges den Sendern RTL und ntv. „Darüber hinaus ist es auch rechtlich fragwürdig.“

Schnelltests auf dem Prüfstand

Auch Deutschland will künftig auf vermehrtes Testen setzen, ist dabei allerdings noch zögerlicher als Österreich. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) betonte, dass Schnelltests und Selbstschnelltests nur Teil einer Teststrategie sein könnten, wenn die Qualität der Produkte gesichert sei. Er distanzierte sich von einer Regelung wie in Österreich, wo es ausreiche, dass die Hersteller schriftlich die Qualität ihrer Produkte zusagten. In Deutschland müssten die Tests geprüft werden, sagte Spahn.

Nach Ansicht von Wissenschaftlern könnten zuverlässige Schnelltests für den Hausgebrauch eine große Rolle bei der Rückkehr zu einem normalen Alltag spielen, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ berichtete. Unter strengen Bedingungen sei so etwa die Öffnung von Restaurants denkbar.

Rückhalt in der Bevölkerung

Der recht unbeirrt an CoV-Zahlen orientierte Kurs der deutschen Bundesregierung genießt in der Bevölkerung trotz des lange andauernden harten Lockdowns großen Rückhalt. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts forsa im Auftrag von RTL und ntv kam zum Ergebnis, dass 72 Prozent der Befragten hinter der Entscheidung stehen, die Einschränkungen weitgehend bis zum 7. März zu verlängern. Ein Viertel ist mit der Verlängerung dagegen nicht einverstanden. Mehrheitlich abgelehnt wird die Verlängerung des Lockdowns ausschließlich von Anhängern der FDP (66 Prozent) und der AfD (84 Prozent).