Martin Selmayr, der Vertreter der EU-Kommission in Österreich
ORF
Impstoffdebatte

EU-Vertreter Selmayr pocht auf Solidarität

Die EU-Kommission hofft darauf, dass die von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) losgetretene Impfstoffdebatte zu einer „großen Solidaritätsaktion“ für bei den Lieferungen ins Hintertreffen geratene Länder wie Bulgarien und Lettland auslösen wird. Das sagte der Vertreter der EU-Kommission in Österreich, Martin Selmayr, am Montag in der ZIB2. Selmayr bat aber auch, nicht jeden Tag „einen Versager der Woche zu suchen“.

Es sei „problematisch“, dass sich diese ärmeren Länder „nicht die teuren Impfstoffe leisten können“, sagte Selmayr. „Wenn dabei herauskommt, dass wir wieder zu dem (ursprünglich beschlossen, Anm.) Schlüssel zurückkommen, dann hat diese ganze dramatische Entwicklung vielleicht etwas Gutes“, sagte Selmayr, der zuvor auf Twitter kaum verhüllte Kritik an dem Kanzler geäußert hatte.

„Österreich hat die bestellten Impfdosen bekommen“, sagte Selmayr. In Österreich seien bisher rund eine Million Dosen geimpft worden, was „etwas mehr als zwei Prozent“ der in der EU insgesamt verabreichten 50 Millionen Dosen entspreche. Eben diese zwei Prozent seien Österreich auch nach seinem Anteil an der EU-Bevölkerung zugestanden.

Martin Selmayr, Vertreter der EU-Kommission, zur Impfstoffverteilung

Der Impfsonderbeauftragte im Gesundheitsministerium wird aus dem EU-Impfgremium abgezogen. Die Debatte über die Verteilung der Coronavirus-Impfstoffe in der EU bleibt. Dazu ist Martin Selmayr, der Vertreter der EU-Kommission in Österreich, zu Gast in der ZIB2.

„Landeshauptleutekonferenz auf europäischer Ebene“

Der Kommissionsvertreter unterstrich weiter, dass der Mechanismus zur Weiterverteilung von Impfdosen von den Mitgliedsstaaten entwickelt worden sei. „Es ist das Ergebnis eines Verfahrens, das die Mitgliedsstaaten so beschlossen haben. Alle Entscheidungen sind von allen gebilligt worden“, sagte Selmayr. „Es ist sozusagen eine Form einer institutionalisierten Landeshauptleutekonferenz auf europäischer Ebene, die hier entscheidet.“

„Nicht jeden Tag einen Versager der Woche suchen“

Der frühere Generalsekretär der EU-Kommission wies auch Angaben zurück, wonach dieser Verteilmechanismus bisher nicht bekannt gewesen sei. Er habe etwa in der Tageszeitung „Die Presse“ bereits Mitte Februar einen Artikel dazu gelesen. Auch der kroatische Ministerpräsident Andrej Plenkovic habe bei einem Besuch in Brüssel am Freitag davon gewusst.

„Wir alle wollen, dass es schneller geht, dass es deutlich schneller geht, und das erfordert gemeinsame Anstrengungen", so Selmayr. Er sprach sich gegen Schuldzuweisungen aus sowie dagegen, „jeden Tag wieder einen Versager der Woche zu suchen“. Es gehe nun darum, "mit einem konstruktiven, pragmatischen Ansatz die Lösung in Angriff zu nehmen, und das müssen wir bis Sommer schaffen“, so Selmayr.

Kurz ortete „Basar“

Bereits zuvor kritisierte Selmayr die Schuldzuweisungen an die EU beim Impfstoff-Bestellvorgang. „Wenn etwas schief läuft in Europa, dann ist ‚die EU‘ schuld – selbst wenn Regierungen nicht mit ihren eigenen Beamten gesprochen haben“, schrieb Selmayr am Montag auf Twitter in Anspielung auf den Rückzug des zuständigen österreichischen Spitzenbeamten Clemens Martin Auer aus dem zuständigen EU-Lenkungsausschuss. „Gleichzeitig geben die Regierungen der EU nicht die Instrumente, um schnell wirksam zu handeln“, kritisierte Selmayr. „Das braucht Reformen.“

Kurz hatte am Freitag in Hinblick auf den EU-Lenkungsausschuss von einem „Basar“ gesprochen und die Vermutung von Nebenabsprachen mit Pharmafirmen geäußert. Der Vorwurf von Nebenabsprachen und der Intransparenz wurde von der EU-Kommission und mehreren Regierungen umgehend zurückgewiesen. Kurz verlangte in einem gemeinsamen Brief mit fünf Amtskollegen überdies einen EU-Gipfel zum Thema Impfstoffverteilung. Damit alle EU-Staaten ihre Impfziele für das zweite Quartal erreichen, solle EU-Ratspräsident Charles Michel „so bald wie möglich“ einen Gipfel abhalten.

Am Dienstag soll indes ein Treffen mit Kurz und EU-Amtskollegen stattfinden. Die Ministerpräsidenten Bulgariens, Tschechiens und Sloweniens, Bojko Borissow, Adrej Babis und Janez Jansa, wurden zu einem Arbeitsgespräch im Bundeskanzleramt in Wien zum Thema „Impfstoffverteilung in der EU“ eingeladen. Daran nehmen per Videokonferenz ebenso der Ministerpräsident von Lettland, Krisjanis Karins, und der kroatische Ministerpräsident Andrej Plenkovic teil.

Ministerium: Österreich entgingen 100.000 Dosen

Zuvor war bekanntgeworden, dass Österreich rund 100.000 Impfdosen mehr für das zweite Quartal hätte bestellen können. So bezifferte das Gesundheitsministerium jene Menge, die nicht abgerufen wurde, weil der zuständige Spitzenbeamte Auer eine Information an Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) unterlassen hatte. Die Impfdosen wären bis Ende Juni geliefert worden.

Dabei habe es sich um eine mögliche Zusatzbestellung über die schon georderten 30,5 Mio. Impfdosen hinaus gehandelt. Auer habe in einem zweiten Zuweisungsverfahren von Biontech und Pfizer nicht weitergegeben, dass es in einem Zusatztopf nicht abgerufene Mengen gegeben habe. Freilich sei die Zahl aber mit Vorbehalt zu sehen, weil sie auch davon abhängig sei, wie viel andere Länder aus diesem zweiten Topf abriefen. Der Reservetopf speise sich aus von den Mitgliedsstaaten nicht beanspruchten Impfdosen und sei daher beschränkt.

Zusätzliche Impfdosen für Schwaz

Für den Bezirk Schwaz wurden 100.000 Impfdosen von der EU zusätzlich zur Verfügung gestellt, um dort in den Modellfall zu prüfen, ob eine rasche Impfung die Verbreitung einer Virusmutante deutlich bremsen kann. Täglich werden derzeit deutlich unter 100.000 Dosen in Österreich verimpft.

5,8 Mio. Dosen für zweites Quartal

Für das zweite Quartal hat Österreich laut Ministeriumbei Biontech und Pfizer sowie Moderna insgesamt 4,6 Mio. Dosen, bei AstraZeneca 1,2 Mio. Dosen bestellt, also zusammen 5,8 Mio. Impfdosen. Insgesamt umfasst das österreichische Impfstoffportfolio bis dato 30,5 Mio. Dosen.

Im Detail sind das: 5,9 Mio. Dosen von AstraZeneca, 2,5 Mio. von Johnson & Johnson, 11,1 Mio. von Biontech und Pfizer, drei Mio. von CureVac, 4,7 Mio. von Moderna, 1,9 Mio. von Novavax und 1,2 Mio. von Valneva sowie 200.000 von Sanofi. Die Kosten dafür liegen bei 388,3 Mio. Euro.

Mit Stand Montag wurden laut Daten der Europäischen Gesundheitsbehörde (ECDC) insgesamt 1,37 Mio. Impfdosen an Österreich geliefert. Gegliedert nach Hersteller: 875.745 von Biontech und Pfizer, 369.600 von AstraZeneca und 122.400 von Moderna. Davon wurden laut Gesundheitsministerium mehr als eine Mio. Dosen verimpft.