Landeshauptleute Johanna Mikl-Leitner (ÖVP),  Michael Ludwig (SPÖ), Hans Peter Doskozil (SPÖ) und Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne)
APA/Georg Hochmuth
Wien, NÖ, Burgenland

Kleiner Gipfel als nächtlicher Marathon

Nach den de facto ergebnislosen Bund-Länder-Experten-Beratungen am Montag berieten ab Dienstagabend Wien, Niederösterreich und das Burgenland mit dem Gesundheitsministerium über Maßnahmen gegen die besonders hohen Coronavirus-Infektionszahlen im Osten – die Gespräche zogen sich die ganze Nacht lang. Details sollen am Mittwoch folgen.

Dienstagabend empfing Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) in seinem Ministerium neben Wiens Bürgermeister Michael Ludwig Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (beide SPÖ) und Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP). Hieß es anfangs, die Verhängung eines scharfen regionalen Lockdowns sei – trotz teils sehr angespannter Lage in den Spitälern – nicht zu erwarten, dauerten die Gespräche dann doch die ganze Nacht lang.

Grund dafür war, dass doch ernste Maßnahmen im Raum stünden, hieß es aus Verhandlerkreisen. Nicht nur eine kurze „Osterruhe“ sei im Gespräch, sondern ein echter, zwei- bis dreiwöchiger Lockdown für die gesamte Ostregion.

Anschober: „Keine Alibi-Maßnahmen“

Anschober, der wegen der angespannten Lage in den Spitälern auf schärfere Regeln drängt, sagte schon beim Empfang der drei Gäste in seinem Haus, dass er sich nicht mit „Alibi-Maßnahmen“ zufriedengeben wolle. Es brauche ein „Paket, das wirklich hilft, die steigenden Infektionszahlen zu bremsen“.

Ludwig sprach da noch von einer „Osterruhe“, die er sich persönlich vorstellen könne. Alle Landeshauptleute zeigten sich im Vorfeld „ergebnisoffen“, man wolle sich in aller Ruhe die Ratschläge der Fachleute anhören und gemeinsam nach Lösungen im Sinne der Bevölkerung suchen.

Epidemiologin Schernhammer: „Rasch agieren“

Epidemiologin Eva Schernhammer zufolge bedarf es entschiedenen Handelns, um die Intensivstationen im Osten Österreichs rasch zu entlasten. Um dieses Ziel zu erreichen, müsse die Mobilität der Menschen eingeschränkt werden. Der Expertin zufolge zeigt sich in Österreich eine ausgeprägt unterschiedliche Situation. Die Regierung hat versucht, sich durch zahlreiches Testen einen gewissen Freiraum zu schaffen, dieser Plan wurde jedoch durch die britische CoV-Mutation durchkreuzt.

Fachleute sprachen sich am Dienstag unterdessen für einen harten, kurzen Lockdown im Osten des Landes aus. Die Epidemiologin Eva Schernhammer, die dem Expertengremium der Regierung angehört, sagte in der ZiB2, es brauche nun ein „entschiedenes Handeln“ – „ein Handeln, das zu Resultaten führt“. „Ich würde einen harten Lockdown bevorzugen, der kurz ist, aber effektiv – und der zu einem raschen Abfallen der Infektionszahlen führen würde.“

Erwogen werden jedenfalls Maßnahmen wie die Ausweitung der (Gurgel-)Tests, FFP2-Masken auch für Kindergartenpädagoginnen und jüngere Schüler und Schülerinnen oder etwa in Sozialräumen von Unternehmen, eventuell etwas raschere Quarantänereaktionen bei positiven Testergebnissen in Schulen und Appelle etwa für eine bessere Mitwirkung beim Contact-Tracing.

Mit einer Sperre des Handels, der Rückkehr zum Distance-Learning oder schärferen Kontaktregeln zumindest über Ostern ist nicht zu rechnen – auch wenn im Osten einige Bezirke bei der 7-Tage-Inzidenz über der 400er-Marke liegen und die Lage auf den Intensivstationen angespannt ist. Das wurde bereits mit den Aussagen von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Landeshauptleuten am Montag nach dem großen Gipfel klar.

Mikl-Leitner: „Handel muss offen bleiben“

Mikl-Leitner hielt vor dem Treffen auch klar fest: „Der heimische Handel muss offen bleiben.“ „Zusätzliche Einschränkungen bringen uns in der Pandemiebekämpfung nicht weiter, weil dort (im Handel, Anm.) praktisch keine Weiterverbreitung stattfindet. Das hilft nur den ausländischen Onlinekonzernen bei der Umsatzsteigerung“, sagte Mikl-Leitner. Für zusätzliche Maßnahmen ist die niederösterreichische Landeshauptfrau offen, „wenn sie der Sache dienen“ – mehr dazu in noe.ORF.at.

In Niederösterreich stehen aber neue Ausreisetests bevor. Ab Donnerstag sind neben der Stadt Wiener Neustadt noch die Bezirke Wiener Neustadt-Land und Neunkirchen mit insgesamt 215.000 Einwohnerinnen und Einwohnern betroffen. Vorerst sei aber noch nicht klar, ob auch jene Personen, die sich innerhalb der Zone bewegen, einen negativen Antigen-Test benötigen, oder ob das nur Ausreisende betrifft – mehr dazu in noe.ORF.at.

Niederösterreichs Gesundheitslandesrätin Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ) hatte zuvor im Ö1-Morgenjournal von schärferen Einschnitten abgeraten: „Die beste Maßnahme hilft nichts, wenn wir sie nur am Papier stehen haben.“ So setze man jetzt auf Reden und Zureden: Ein bereits etabliertes „Vorwarnsystem“ (ab einer 7-Tage-Inzidenz von 300) sehe vor, dass Bezirkshauptmannschaften intensiv mit Bürgermeistern in Austausch gehen und dass die Bürger verstärkt informiert und zum Testen angehalten werden. Und man werde, so Königsberger-Ludwig, positiv Getestete verstärkt bitten, ihre Kontakte bekanntzugeben.

Doskozil hoffte am Dienstag auf einen Kompromiss am Abend, übte gleichzeitig aber auch Kritik am Ablauf der Beratungen am Vortag. Dort sei man mit Dingen konfrontiert worden, über die man vorher nicht habe diskutieren können. Er habe deshalb einen neuerlichen Gipfel gefordert – mehr dazu in burgenland.ORF.at.

Opposition gänzlich unzufrieden

Mit der Kritik war Doskozil keineswegs alleine: Die Opposition kritisierte vor allem die fehlenden Entscheidungen scharf. „Im Krisenmanagement ist keine Entscheidung noch schlimmer als eine falsche Entscheidung“, sagte etwa SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. FPÖ und NEOS schlugen in dieselbe Kerbe. Doch Kritik kommt nicht nur von den politischen Mitbewerbern, sondern auch vom Rechnungshof (RH).

Opposition kritisiert Gipfelergebnis

Die SPÖ betont die steigenden Infektionszahlen und die besorgniserregenden Situation auf den Intensivstationen und fordert Entscheidungen. Die FPÖ will am Mittwoch im Parlament mit einer „Antragsflut“ kontern. NEOS sieht eine „Wiederauferstehung“ – und zwar der Macht der alten Landesfürsten.

Auch Rechnungshof vermisst klare Linie

„Die Einbindung und Abstimmung des Bundes mit den Ländern sind sehr wichtig, dennoch dürfen sie nicht zur gegenseitigen Blockade verkommen“, sagte RH-Präsidentin Margit Kraker am Dienstag. Derzeit tue man sich offensichtlich leichter, nicht zu entscheiden, als eine klare Linie vorzugeben.

Kraker erinnerte daran, dass der RH bereits oft komplexe Entscheidungsstrukturen kritisiert habe. Für das Funktionieren des Staates sei das Zusammenwirken innerhalb der Regierung und zwischen Bund und Ländern ganz offensichtlich entscheidend. „Doch in der Krise stoßen wir mit den bestehenden Entscheidungs- und Handlungsstrukturen mitunter an die Grenzen der Handlungsfähigkeit.“