Beispiel eines „Grünen Passes“
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Experten

Viele offene Fragen zu „Grünem Pass“

Auf europäischer Ebene soll der „Grüne Pass“ bis Sommer kommen. Derzeit liegt der Ball beim EU-Parlament. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) will mit Österreich „Vorreiter“ sein und bereits Ende Mai den „Grünen Pass“ rechtswirksam umsetzen. Diese Geschwindigkeit stößt bei Ärztevertretern und Datenschützern auf Skepsis: Viele Fragen seien noch offen.

Für Dietmar Bayer, Telemedizinspezialist in der Ärztekammer, ist die Eile insbesondere der ÖVP nicht nachvollziehbar. Es sei etwa völlig unklar, wie der Nachweise für Genesene zustande komme. Das Bundesrechenzentrum könne das nicht machen. Das sei Aufgabe von Ärzten, sagte Bayer im Ö1-Morgenjournal am Donnerstag: „Diese Fragen werden jetzt überhaupt nicht diskutiert. Wir verstehen die Geschwindigkeit und den Druck, der gemacht wird, überhaupt nicht.“

Man solle vielmehr einen Gang zurückschalten. Ähnlich argumentiere ein gemeinsames Positionspapier der Ärzte- und Wirtschaftskammer, berichtete Ö1. Es sei nicht wichtig, bis wann die Technologie stehe, sondern dass es etwas gebe, das jeder anerkenne, sagte Bayer.

„Grüner Pass“ in mehreren Etappen

Österreich möchte den „Grünen Pass“ Berichten zufolge in drei Etappen einführen. Zunächst werde es ein normaler Nachweis einer Impfung, Testung oder Genesung sein. Das könnte schon mit den Lockerungen am 19. Mai beginnen, wenn die SPÖ im Nationalrat zustimmt. Zwei, drei Wochen später soll die national via gemeinsamen QR-Code umgesetzte Variante kommen.

Dieser QR-Code verweist laut Plan auf die in einer zentralen Datenbank im Bundesrechenzentrum gespeicherten Informationen wie Testergebnis, Genesenen- und Impfstatus. Für das Reisen in Europa muss das aber dezentral organisiert sein, also der Nachweis direkt im QR-Code gespeichert sein. Bayer empfahl daher, gemeinsam mit den EU-Partnern vorzugehen und sich bis dahin mit einfachen Nachweisen zu behelfen. Laut dem Regierungsplan soll dagegen erst in der dritten Etappe die europäische Lösung stehen.

Kritik an „Insellösung“

Auch Datenschützer Thomas Lohninger von der NGO epicenter.works befürchtete im Ö1-Interview eine österreichische „Insellösung“, die zu früh komme: „Natürlich ist ein Hauptinteresse der Tourismus. Etwas Eigenes zu bauen, das nur für Österreich gilt, ist rausgeschmissenes Steuergeld.“ Zudem forderte er, dass die Zutrittsnachweise per Gesetz und nicht per Verordnung geregelt werden.

Jeder Wirt, jeder Security eines Stadions habe diese potenziell sensiblen Gesundheitsdaten auf seinem Telefon, um zu überprüfen, was in dem Zertifikat steht. Lohninger: „Das ist besorgniserregend. Da wird eine heikle, kritische Infrastruktur geschaffen, die braucht eine saubere gesetzliche Regelung.“ Aber die Regierung habe über den Datenschutz beim „Grünen Pass“ noch nicht einmal diskutiert, so Lohninger.

EU-Parlament für Ende der Einreisebeschränkungen

Das Europaparlament forderte indes ein Ende der Quarantäne bei Reisen mit Impfzertifikat innerhalb der Europäischen Union. Sobald das gemeinsame Zertifikat eingeführt ist, soll es den Abgeordneten zufolge keine zusätzlichen Reisebeschränkungen durch Mitgliedsstaaten geben, wie am Donnerstag in Brüssel bekanntgegeben wurde.

Das Parlament hat damit seine Position für die anstehenden Verhandlungen mit den EU-Staaten über die Details des geplanten Zertifikats festgelegt. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach auf Twitter von einem wichtigen Schritt hin zu freiem und sicherem Reisen in diesem Sommer.

Das Impfzertifikat soll im Juni eingeführt werden. Es soll dann in allen EU-Ländern gelten und die aktuell recht unterschiedlichen Einreiseregeln ein Stück weit vereinheitlichen. Neben einer Impfung soll es auch Ergebnisse zugelassener Tests und Informationen zu überstandenen Coronavirus-Infektionen festhalten.

Ob das Parlament mit seiner Forderung durchkommen wird, ist ungewiss. „Ideen wie der Verzicht auf Quarantänemaßnahmen bei einem negativen Covid-Test werden dem Ernst der Lage nicht gerecht und erschweren die Bekämpfung der Epidemie“, sagte ein EU-Diplomat der dpa. Eine Einigung werde es nur geben können, wenn sich das Parlament hier bewege.

Streitpunkt Gratistests

Strittig dürfte auch der Ruf des Parlaments nach kostenfreien Tests sein, wie es sie in Österreich schon gibt. Die Abgeordneten wollen damit einen gleichberechtigten Zugang zu dem Zertifikat ermöglichen. EU-Justizkommissar Didier Reynders hatte der fraktionsübergreifenden Forderung bereits am Mittwoch im Plenum eine Absage erteilt. Tests sollten erschwinglich sein, Fragen etwa zur Rückerstattung der Kosten von Tests fielen aber in die Kompetenz der Mitgliedsstaaten.

Die Abgeordneten tragen außerdem einen Wunsch zur Namensänderung an den Verhandlungstisch. Statt „digitales grünes Zertifikat“ soll das Dokument „Covid-19-Zertifikat der EU“ heißen. Nach Willen des Parlaments sollen dort nur von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) oder der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) zugelassene Impfstoffe auftauchen. Die Regeln sollen vorerst ein Jahr gelten. Eine Mehrheit der Abgeordneten stimmte am Mittwoch in Brüssel für weitgehende Änderungen an den bisherigen Plänen. Aus Diplomatenkreisen kam scharfe Kritik.

Diskussion über russische und chinesische Impfstoffe

Weiterer Streit droht mit Blick auf russische und chinesische Impfstoffe. Grundsätzlich sollen nur Impfungen mit den in der EU zugelassenen Vakzinen in das Impfzertifikat eingetragen werden können. Die Pläne sehen bisher aber vor, dass Mitgliedsstaaten auch andere Mittel akzeptieren können. Einige EU-Länder, vor allem Ungarn, verimpfen auch das russische Mittel „Sputnik V“ und Impfstoffe chinesischer Produktion.

Die Abgeordneten wollen Impfstoffe ohne EU-Zulassung hingegen grundsätzlich ausschließen. Das sei eine Frage des Vertrauens in das System, sagte die niederländische Abgeordnete Sophia In’t Veld. Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) prüft zwar eine Zulassung von „Sputnik V“, verwies bisher aber auf fehlende Informationen. Eine EU-Zulassung chinesischer Vakzine steht nicht ernsthaft zur Debatte.