IM ZENTRUM: Kanzler, Opposition, Justiz
ORF
„Ibiza“-U-Ausschuss

Akten, „Krapfenparty“ und Kurz-Ermittlungen

Mit den Ermittlungen gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ist auch der „Ibiza“-Untersuchungsausschuss wieder in den Fokus der Berichterstattung gerückt. Wie laufen die Befragungen ab? Wie weit ist man mit der Aufklärung? Braucht es Reformen in Sachen U-Ausschuss? In der ORF-Sendung „Im Zentrum“ gaben die Fraktionschefinnen und -chefs ihre Antworten.

Seit gut einem Jahr befragt der „Untersuchungsausschuss betreffend mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung“, so der volle Titel des „Ibiza“-U-Ausschusses, Auskunftspersonen. Anhand von gelieferten Akten aus Ministerien sollen etwa Bestellungen in der ÖBAG und der Casinos Austria AG durchleuchtet werden. Auch möglicher Gesetzeskauf steht im Fokus der Aufklärung. Zuletzt hatte es vermehrt Stimmen gegeben, die eine öffentliche Übertragung des U-Ausschusses forderten. So könnten alle sehen, wie die Befragungen ablaufen.

Denn während der Fraktionschef der ÖVP, Andreas Hanger, von einem „Tribunal“ sprach, in dem der Opposition „jedes Mittel recht ist, um Kurz loszuwerden“, sind SPÖ, FPÖ, NEOS und die Grünen ganz anderer Meinung. „Wir befragen seit gut einem Jahr im U-Ausschuss. Und es sind seriöse Befragungen“, sagte etwa Nina Tomaselli (Grüne). Auch NEOS-Fraktionschefin Stephanie Krisper betonte, dass die Rechte der Auskunftspersonen – etwa Persönlichkeits- und Entschlagungsrechte – selbstverständlich geschützt werden.

„Einladung für Krapfenparty“

Hanger schilderte jedoch, dass Auskunftspersonen vor der Befragung angezeigt würden, um diese in Widersprüche zu verwickeln. So manche Fragen seien unterstellend und würden trotz Ermahnung des Verfahrensrichters „immer wieder“ gestellt, sagte er. Hangers Meinung nach würden „unbescholtene Bürger“ unter Druck gesetzt. Er wünsche sich eine „klare Definition des Untersuchungsgegenstandes“ und „konkrete Regeln“ zur Aktenlieferung.

Für die Opposition und die Grünen gibt es diese klaren Regeln allerdings schon. Man brauche nur die Kooperation der Regierung, sagte SPÖ-Fraktionschef Kai Jan Krainer, der auf verspätete Lieferungen aus dem Finanzministerium unter Minister Gernot Blümel (ÖVP) und fehlende Kalender aus dem Bundeskanzleramt hinwies. Die ÖVP würde die Aufklärung mit einer Verzögerungstaktik behindern, so der Politiker. Es sei nun sein „sechster U-Ausschuss“, aber es sei jetzt zum ersten Mal vorgekommen, dass Terminkalender nicht übermittelt wurden. „Kurz und Blümel glauben, die Regeln, die sonst für alle gelten, gelten für sie nicht.“

Bundeskanzler Sebastian Kurz und Finanzminister Gernot Blümel
APA/Herbert Neubauer
Derzeit im Fokus des U-Ausschuss: Bundeskanzler Kurz und Finanzminister Blümel (beide ÖVP)

Krisper und FPÖ-Fraktionschef Christian Hafenecker pflichteten Krainer bei. Die ÖVP würde den Untersuchungsausschuss stören. Auf der einen Seite liefere das Bundeskanzleramt „Einladungen einer Krapfenparty, damit werden wir bespaßt“, so der Freiheitliche. Andererseits würden „relevante Akten“ fehlen, weil vieles offenbar „geschreddert“ wurde, mutmaßte er. ÖVP-Politiker Hanger empfand die Anspielung auf die Schredderaffäre „unterstellend“. Hafenecker zitierte anschließend Bundeskanzler Kurz, der meinte, dass man nichts „abstrakt Relevantes“ für den U-Ausschuss gefunden habe.

Sobotka in Kritik

„Zermürbend“ seien, so NEOS-Fraktionschefin Krisper, die Debatten zur Geschäftsordnung, die ihrer Meinung nach mit Absicht in die Länge gezogen werden. Denn dadurch bleibe den Fraktionen weniger Zeit, um die Auskunftspersonen zu befragen. Nach vier Stunden kann diese nämlich das Ausschusslokal verlassen. Krisper kritisierte insbesondere Ausschussvorsitzenden Wolfgang Sobotka (ÖVP). Er mische sich in die Befragungen ein und verzögere damit zusätzlich die Aufklärung, so die NEOS-Politikerin.

„Im Zentrum“: Suche nach der Wahrheit

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ermittelt gegen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wegen mutmaßlicher Falschaussage vor dem „Ibiza“-U-Ausschuss. Basis war eine Anzeige von NEOS wegen Kurz’ Aussagen zur Bestellung von ÖBAG-Chef Thomas Schmid.

Angesprochen auf die erst nach einem Exekutionsantrag gelieferten Akten aus dem Finanzministerium sagte Hanger: Rückblickend würde man das heute sicher anders machen. Zudem betonte der Mandatar, dass er die Wahrheitspflicht im U-Ausschuss nicht infrage stelle. Zuletzt hatte Sobotka eine Debatte darüber angezettelt – und ruderte schließlich wieder zurück. Über eine Liveübertragung des U-Ausschuss könne man „im Zuge einer Gesamtreform prinzipiell“ sprechen, so Hanger.

„Nicht in meiner Gedankenwelt“

Die Fraktionschefinnen und -chefs blieben in Sachen Ermittlungen gegen Kurz auf Linie ihrer jeweiligen Parteien. Der ÖVP-Chef hatte laut Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) im Zuge der Befragung über die Bestellung von Schmid zum ÖBAG-Alleinvorstand falsch ausgesagt. Auf rund 60 Seiten verglichen die Staatsanwälte die Aussagen von Kurz im U-Ausschuss und die sichergestellten Chats auf dem Handy von Schmid. Ob eine Anklage folgt, ist ungewiss.

Kurz selbst bekräftigte mehrmals, dass er im Falle einer Anklage nicht an Rücktritt denke. Eine Antwort auf die Frage, ob das auch bei einer Verurteilung gilt, blieb er schuldig. Während die FPÖ den sofortigen Schlussstrich von Kurz forderte, zog die SPÖ ihre „rote Linie“ bei einer Anklage. Die Grünen äußerten sich zurückhaltend und sagten, dass nun die Justiz unabhängig ermitteln solle. So machte es auch Tomaselli, die hinzufügte: „Ich bin nicht die Erziehungsberechtigte des Kanzlers.“

NEOS-Mandatarin Krisper sagte, dass Kurz „selbst überlegen“ müsse, welche Konsequenzen nach einer Anklage zu ziehen sind. NEOS-Parteichefin Beate Meinl-Reisinger schrieb während der Debatte auf Twitter: „Haben klar gesagt, dass Anklage und Amt des Bundeskanzlers nicht zusammenpasst. Rücktritt muss folgen.“ Hanger antwortete auf die Frage, ob Kurz bei einer Anklage oder Verurteilung zurücktreten muss: „In meiner Gedankenwelt gibt es diese Frage nicht.“

Strafrechtler: Kurz-Verfahren wohl erst im Herbst

Mit einer Entscheidung der WKStA über Strafantrag oder Einstellung der Ermittlungen gegen Kurz dürfte indes erst im Herbst zu rechnen sein. Es könnte „schon sechs Monate dauern“, sagte der Wirtschaftsstrafrechtsexperte Robert Kert (WU Wien) am Sonntag in der ZIB2. Auf jeden Fall müsse die WKStA den Beschuldigten – also Kurz – vernehmen, auch mit Zeugenbefragungen sei zu rechnen. Damit werde es nicht „wenige Wochen“, sondern „schon einige Monate dauern“, so Kert.

Strafrechtsexperte zu Kurz-Ermittlungen

Robert Kert, Vorstand des Instituts für Wirtschaftsstrafrecht (WU Wien), erläutert, welche Aussichten das Verfahren gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat und wie wahrscheinlich eine Anklage ist.

Ob eine Anklage erfolgt, könne man zum jetzigen Zeitpunkt „noch nicht so genau sagen“. Aber Kert hält es doch für „sehr wahrscheinlich“. Er könne sich vorstellen, dass ein Strafantrag gestellt wird, „weil die Staatsanwaltschaft sagt: Das sind Beweisprobleme, und die hat ein Gericht zu klären.“ Auch Alois Birklbauer, Strafrechtsexperte der Johannes-Kepler-Universität Linz, hält eine Anklage für wahrscheinlicher als eine Einstellung. Aus dem 58-seitigen WKStA-Papier ergebe sich „jedenfalls der Eindruck, dass nicht alles gesagt wurde, was er gewusst hat“ – und das würde für den Tatbestand der „falschen Aussage“ reichen.

Ermittlungen gegen Bundeskanzler Kurz

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelt gegen Bundeskanzler Kurz, sie führt ihn wegen mutmaßlicher Falschaussage im U-Ausschuss als Beschuldigten. Spätestens bei einer Anklage müsse er zurücktreten, fordert die Opposition.

Der Salzburger Uniprofessor Hubert Hinterhofer kommt in einem – von der Kanzlei von ÖVP-Parteianwalt Werner Suppan in Auftrag gegebenen – Gutachten zum gegenteiligen Schluss: Ein für die Anklage nötiger dringender Tatverdacht der vorsätzlichen unrichtigen Aussage des Kanzlers lasse sich der Mitteilung der WKStA (über die Ermittlungen) nicht entnehmen. Denn deren Ausführungen seien „dafür insgesamt zu spekulativ und unterstellend“. „Wenn der Stand der Dinge so bliebe, wäre eine Anklage nicht gerechtfertigt“, sagte er in der ZIB2.

Antrag auf Ministeranklage gegen Blümel

Spekulationen über Neuwahlen oder einen fliegenden Regierungswechsel gab es freilich am Wochenende dennoch – hat doch auch die FPÖ versucht, die anderen Oppositionsparteien für einen Misstrauensantrag gegen Kurz gleich am Montag in der Sondersitzung des Nationalrats zu gewinnen. Eine Mehrheit dafür zeichnete sich im Vorfeld allerdings nicht ab.

Die Auseinandersetzung zwischen ÖVP und Opposition findet am Montag eine Fortsetzung. Auf Verlangen von SPÖ, FPÖ und NEOS findet eine Sondersitzung des Nationalrats statt. Sie war wegen der Aktenlieferung aus dem Finanzministerium einberufen worden. Die Opposition will deshalb einen Antrag zur Erhebung einer Ministeranklage gegen Blümel stellen, die aber – wie ein Misstrauensantrag gegen Kurz – wohl keine Erfolgsaussichten hat.