Rauchsäule über Gaza nach Raketenangriff
APA/AFP/Emmanuel Dunand
Zweite Woche

Israel greift wieder „Metro“ der Hamas an

Die jüngste Eskalation zwischen der radikalislamischen Hamas und Israel dauert nun bereits mehr als eine Woche an. Die USA erhöhen den Druck auf beide Seiten, einer Waffenruhe zuzustimmen. Das führt aber vorerst nicht zu einer Verringerung der Kampfhandlungen. Israel nahm Montagfrüh zum dritten Mal das unterirdische Tunnelsystem der Hamas, die „Metro“, mit Dutzenden Bomben ins Visier.

Mit 54 Kampfjets griff Israels Luftwaffe nach eigenen Angaben in der Nacht auf Montag 35 Terrorziele an. Mit 110 präzisionsgelenkten Bomben seien dabei 15 Kilometer der unterirdischen Tunnel und Fluchtorte der Hamas und des Islamischen Dschihad im Norden des Gazastreifens getroffen worden. Das sei „Teil einer breit angelegten Aktion der Armee, die unterirdische Infrastruktur der Terrororganisationen im Gazastreifen schwer zu treffen“.

Weiters wurden laut Armee neun Häuser von Offizieren der Hamas und ein Zugang zu einem unterirdischen Tunnel angegriffen, der sich in der Nähe eines Kindergartens und einer Moschee befunden habe. Außerdem tötete Israel laut eigenen Angaben mit Hasem Abu Harbid einen ranghohen Kommandanten des Dschihad. Harbid sei für mehrere Anschläge auf israelische Zivilisten verantwortlich. Die Armee postete eine kurze Videoaufnahme, die die gezielte Tötung zeigen soll.

Hamas und Dschihad setzten unterdessen ihren Raketenbeschuss auf Israel fort. Allein in der Nacht wurden etwa 60 Raketen abgeschossen und entsprechender Zivilalarm in Israel ausgelöst.

Dritter großangelegter Angriff

Es war der dritte großangelegte Angriff auf das Tunnelsystem der Hamas. Der erste am Wochenende sorgte international für besonderes Aufsehen und scharfe Kritik: Denn der Sprecher der Armee hatte internationale Medien informiert, dass israelische Bodentruppen im Gazastreifen einmarschiert seien. Das wurde aber israelischen Medien gegenüber nicht bestätigt und etwa zwei Stunden später als durch eine Fehlkommunikation entstandener Fehler dargestellt.

Von der „New York Times“ abwärts hatten aber alle internationalen Medien vom Einmarsch berichtet, was besonders viele Hamas-Kämpfer dazu veranlasste, sich in das Tunnelsystem zu flüchten, das dann von der israelischen Luftwaffe schwer unter Beschuss genommen wurde. Die internationalen Medien fühlen sich von der Armee ausgenutzt.

Bereits mehr als 200 Tote

Seit Ausbruch der Kämpfe vor einer Woche wurden im Gazastreifen nach palästinensischen Angaben 198 Menschen getötet, darunter 58 Kinder. Für Israel sprachen die dortigen Behörden von zehn Toten, darunter zwei Kinder. Seit dem neuerlichen Ausbruch der Kämpfe hätten militante Palästinenser nach Angaben der israelischen Armee rund 3.150 Raketen aus dem Gazastreifen in Richtung Israel abgefeuert. Davon wurden rund 90 Prozent abgefangen, so die israelische Armee.

Feuerball in Gaza City
APA/AFP/Anas Baba
Israels Luftwaffe flog in der Nacht erneut zahlreiche Angriffe

Hochhaus mit Büros von Medienunternehmen zerstört

Seit dem Wochenende haben sich die Kämpfe intensiviert. Von palästinensischer Seite hieß es, die jüngsten Luftangriffe seien die bisher schwersten in dem dicht besiedelten Küstengebiet gewesen. Israels Luftwaffe zerstörte am Wochenende auch ein Hochhaus mit Büros von Medienunternehmen im Gazastreifen. Berichten zufolge waren die Bewohner zuvor telefonisch gewarnt worden.

Die von dem Vorfall betroffene Nachrichtenagentur AP zeigte sich entsetzt, Journalistenverbände protestierten. Die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) will in der Sache den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) anrufen. Der absichtliche Angriff auf Medienbüros stelle ein „Kriegsverbrechen“ dar, sagte am Sonntag der Generalsekretär der Organisation, Christophe Deloire.

Auch die EU bezeichnete die Zerstörung von Medienbüros im Gazastreifen als äußerst besorgniserregend. „Medien müssen frei arbeiten können, damit sie unabhängig über das Geschehen berichten können“, sagte ein Sprecher des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell am Montag in Brüssel. Das gelte umso mehr in einer Konfliktsituation, in der objektive, unparteiische Informationen von entscheidender Bedeutung seien.

In dem Hochhaus sei ein Geheimdienstbüro der Hamas untergebracht gewesen, das Angriffe auf israelische Zivilisten organisiert habe, sagte Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu dem US-Sender CBS. Es sei also „ein völlig legitimes Ziel“ gewesen.

Stromversorgung in Gaza droht Aus

Die ohnehin katastrophalen Lebensbedingungen im Gazastreifen haben sich in der vergangenen Woche nochmals drastisch verschlechtert. Die UNO warnte, dem einzigen Elektrizitätswerk gehe das Öl aus. Bereits jetzt gibt es acht bis zwölf Stunden am Tag keinen Strom. Das Leitungswasser ist untrinkbar. Laut dem Gaza-Stromunternehmen reicht der Ölvorrat noch für zwei, drei Tage Stromerzeugung. Es wurde auch das Stromnetz durch die Luftangriffe beschädigt.

Biden: Arbeiten an „dauerhafter Ruhe“

Die USA arbeiten laut Präsident Joe Biden vor dem Hintergrund der schweren Kämpfe in Nahost mit Palästinensern und Israelis zusammen, um eine „dauerhafte Ruhe“ zu erreichen. „Wir glauben, dass Palästinenser und Israelis gleichermaßen ein Leben in Sicherheit und Geborgenheit verdienen“, sagte Biden in einer am Sonntag ausgestrahlten Videobotschaft zum Ende des islamischen Fastenmonats Ramadan.

Israelis und Palästinenser sollten auch „ein gleiches Maß an Freiheit, Wohlstand und Demokratie genießen“, betonte Biden gleichzeitig. Zuvor war es dem UNO-Sicherheitsrat erneut nicht gelungen, sich auf eine gemeinsame Erklärung zum eskalierten Nahost-Konflikt zu einigen. Diplomaten zufolge blockierten die USA wie schon in den beiden vorangegangenen nicht öffentlichen Sitzungen eine gemeinsame Erklärung.

Das Weiße Haus verteidigte am Montag seine Strategie. Sprecherin Jen Psaki sagte in Washington, die Regierung sei der Ansicht, mit „stiller intensiver Diplomatie“ aktuell am meisten erreichen zu können. In der vergangenen Woche hätten Regierungsmitarbeiter mehr als 60 Gespräche mit Vertretern Israels, der Palästinenser und vielen Partnern in der Region geführt. Es liefen viele Gespräche „hinter den Kulissen“. Nicht zu jedem Aspekt dieser diplomatischen Bemühungen gebe es öffentliche Mitteilungen.

Staaten drängen auf Ende der Kämpfe

Deutschland stellte sich unterdessen hinter Israel – drängt aber ebenso auf ein Ende der Kämpfe. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan warf Israel indes vor, ein „Massaker“ an den Palästinensern im Gazastreifen zu verüben. Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron unterstützt die Vermittlung Ägyptens in dem eskalierenden Konflikt zwischen Israel und militanten Palästinensern im Gazastreifen. Beide Länder wollten sich abstimmen, um eine rasche Waffenruhe zu fördern und eine Ausbreitung des Konflikts zu verhindern. Das berichteten Kreise des französischen Präsidialamtes am Montag nach einem Treffen von Macron mit seinem ägyptischen Kollegen Abdel Fattah al-Sisi.

Die Außenminister der EU-Staaten wollen am Dienstag in einer Videokonferenz über die Eskalation des Konflikts zwischen Israelis und Palästinensern beraten. Kern der Gespräche soll die Frage sein, wie die EU zu einer Deeskalation und zu einem Ende der Gewalt beitragen könnte. Zudem wird erwartet, dass es einen Bericht über die aktuelle Lage und die bisherigen Vermittlungsbemühungen gibt.

Erdogan kritisiert Österreich wegen Israel-Fahne

ÖVP-Außenminister Alexander Schallenberg verteidigte am Montag unterdessen erneut das Hissen der israelischen Fahne. Dass Österreich seine Brückenfunktion durch die symbolische Solidarität mit Israel verliere, so wie das der palästinensische Botschafter in Wien, Salah Abdel Shafi, am Montag erklärte, „sehe ich überhaupt nicht“, sagte Schallenberg. Man habe es nicht mit einem Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern wie in der Vergangenheit zu tun, sondern mit einer Terrororganisation, die Tausende von Raketen auf Israel schieße, betonte der Außenminister.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan verurteilte wenig später die Solidarität der österreichischen Regierung mit Israel im Konflikt mit der radikal-palästinensischen Hamas. „Ich verfluche den österreichischen Staat. Er will wohl, dass die Muslime den Preis dafür zahlen, dass er die Juden einem Genozid unterzogen hat“, wurde Erdogan zitiert. Kritik aus Ankara gab es auch an türkeikritischen Aussagen von Innenminister Karl Nehammer (ÖVP).

Netanjahu: „Mit voller Wucht“

„Unsere Kampagne gegen die Terrororganisationen wird mit voller Wucht fortgesetzt“, sagte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Sonntag. Die Armee habe bisher mehr als 1.500 Ziele im Gazastreifen attackiert. Der Einsatz werde „noch einige Zeit dauern“. Israelische Kommentatoren betonten freilich seit dem Wochenende, dass die Zeit für die Militärschläge gegen die Hamas und den Islamischen Dschihad im Gazastreifen ablaufe.

Brennendes Auto in Aschkelon
APA/AFP/Jack Guez
In Aschkelon schlugen am Sonntag mehrere aus Gaza abgefeuerte Raketen ein. Es wurden eine Synagoge und Autos getroffen.

Israel will „Abschreckungseffekt“ erzielen

Israel will mit seinen Luftschlägen die militärischen Fähigkeiten der Terrororganisationen so weit wie möglich schwächen und einen „Abschreckungseffekt“ wiederherstellen, das heißt: Die Hamas soll – aus Sorge vor der überproportionalen Reaktion – neuerlichen Raketenbeschuss und sonstige Angriffe auf Israel möglichst lange nicht als Option in Betracht ziehen. Auch deshalb nahm Israels Militär zuletzt die Hamas-Führungsriege und deren Häuser ins Visier.

Aus israelischer Sicht ist dieser Abschreckungseffekt offenbar noch nicht erreicht. Die Hamas hat ihre Ziele dagegen schon erreicht und signalisierte, für eine Waffenruhe bereit zu sein. Auch für Israels Regierung sind letztlich Druck und Vermittlung der USA wichtig, da es auch für sie einen gesichtswahrenden Ausstieg aus der aktuellen Eskalation ermöglicht.