Chinesisches Hochzeitspaar während eines Fotoshootings
Reuters/Aly Song
Bremse per Gesetz

70 Prozent weniger Scheidungen in China

Die Zahl der Scheidungen in China ist seit der Einführung einer obligatorischen Bedenkzeit Anfang des Jahres drastisch gesunken. Kritik an der neuen Regelung wischt die Staatsführung mit dem Hinweis auf die nötige „Sicherung der Familienstabilität und der sozialen Ordnung“ weg.

Laut einer Statistik des Ministeriums für zivile Angelegenheiten wurden im ersten Quartal 2021 296.000 Scheidungen registriert verglichen mit 1,06 Millionen im letzten Quartal des Vorjahres – ein Rückgang von 72 Prozent. Im Jahresvergleich sank die Zahl der Scheidungen von 612.000 um fast 52 Prozent, wie CNN am Mittwoch berichtete.

Das zu Jahresbeginn in Kraft getretene Gesetz sieht vor, dass Paare, die eine Scheidung beantragen, 30 Tage abwarten müssen. In dieser Zeit können beide Seiten den Trennungswunsch zurückziehen. Nach Ablauf des Monats muss erneut ein Antrag gestellt werden, damit die Ehe auch wirklich beendet wird.

Demografisches Damoklessschwert

Die Zahl der Scheidungen hat in China in den letzten Jahren stetig zugenommen, offiziellen Angaben zufolge geht die Trennung in über 70 Prozent der Fälle von der Frau aus. In der Altersgruppe zwischen 36 und 45 Jahren seien Frauen am ehesten geneigt, ihre Ehe zu beenden. Die hohe Dauerbelastung durch Kinder, Haushalt und Job wird häufig als Ursache genannt.

Chinas Führung beobachtet diese Entwicklung mit Sorge: Schon jetzt ist die Geburtenrate im Land rückläufig, die Alterung der Gesellschaft schreitet zügig voran, bereits knapp jeder fünfte Chinese ist älter als 60 Jahre. Erst 2016 hatte China die jahrzehntelange Einkindpolitik abgeschafft, seither wird offiziell eine Zweikindpolitik vertreten. Damals wurde auch das Ziel gesetzt, die Bevölkerung bis 2020 auf etwa 1,42 Milliarden zu erhöhen – ein Plan, der scheiterte.

„Heirat und Fortpflanzung sind eng miteinander verbunden. Der Rückgang der Heiratsrate wird sich auf die Geburtenrate auswirken, was wiederum die wirtschaftliche und soziale Entwicklung beeinflusst“, warnte Yang Zongtao, ein Beamter des Ministeriums für zivile Angelegenheiten.

„Sicherung der sozialen Ordnung“

In den staatlichen Medien wird das Gesetz als Mittel zur „Sicherung der Familienstabilität und der sozialen Ordnung“ gepriesen. In Sozialen Netzwerken wurde dagegen Kritik laut: Die persönliche Freiheit würde durch die Regelung eingeschränkt, Menschen würden in unglücklichen oder sogar von Gewalt geprägten Ehen gefangen gehalten.

Chinas Staatsführung verwies darauf, dass im Falle von häuslicher Gewalt die Parteien immer noch vor Gericht auf Scheidung klagen können. Diese Option ist jedoch weitaus zeitaufwendiger und teurer als die Einreichung eines Antrags auf Auflösung der Ehe bei der Regierung – der ohnehin schon hürdenreich ist. „Nur sehr wenige Scheidungsfälle können in der ersten Verhandlung genehmigt werden“, zitierte CNN Chen Jiaji, einen in Schanghai ansässigen Scheidungsanwalt. „Scheidungsfälle dauern normalerweise mindestens sechs Monate, kompliziertere Fälle ein oder zwei Jahre.“

Der Widerstand gegen das neue Gesetz trägt aber zumindest partiell Früchte: Beamte in den Provinzen Hunan und Guizhou hatten geplant, Scheidungsregistrierungen am 20. Mai, der informell als chinesischer Valentinstag gilt, generell zu verbieten. Nach heftigen Protesten im Internet wurde das Vorhaben wieder ad acta gelegt.

China erwägt Ende der Geburtenbeschränkung

China strebt Insidern zufolge angesichts der nur noch langsam wachsenden Bevölkerung eine vollständige Abkehr von seiner Geburtenpolitik an. Peking wolle die Geburtenbeschränkungen in den nächsten drei bis fünf Jahren ganz aufheben, sagten mehrere mit den Plänen der Regierung vertraute Personen zuletzt der Nachrichtenagentur Reuters. Bis dahin sollen Paare dazu ermuntert werden, mehr Kinder zu bekommen.

Erst 2016 hatte China die jahrzehntelange Einkindpolitik abgeschafft – in der Hoffnung, die Zahl der Babys zu erhöhen. Seither wird offiziell eine Zweikindpolitik vertreten.

Hintergrund für den Sinneswandel ist die demografische Zeitbombe, die im bevölkerungsreichsten Land der Welt tickt. Die gerade erst veröffentlichte Volkszählung zeigte, dass die Einwohner- und Einwohnerinnenzahl im vergangenen Jahrzehnt nur noch um 5,38 Prozent auf 1,41 Milliarden zulegte und damit so langsam wie seit den 1950er Jahren nicht mehr.