Der Flughafen von Minsk
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Flugaffäre in Minsk

Airlines meiden Luftraum über Weißrussland

Nach der erzwungenen Landung eines Passagierflugzeugs in Weißrussland und der Festnahme des Bloggers und Oppositionellen Roman Protassewitsch meiden immer mehr Fluggesellschaften den Luftraum über der ehemaligen Sowjetrepublik. Die Sorgen über den Zustand Protassewitschs sind indes groß.

Lufthansa gab am Dienstag bekannt, vorerst nicht mehr nach Weißrussland zu fliegen, und setzte Direktverbindungen in die Hauptstadt Minsk aus. Von der AUA hieß es, der weißrussische Luftraum werde „bis auf Weiteres“ umflogen und Minsk derzeit nicht angeflogen. „Aufgrund der aktuellen Lage und um unseren Fluggästen Planungsstabilität zu geben, streicht Lufthansa die Flüge von Frankfurt nach Minsk bis einschließlich 3. Juni 2021“, gab die deutsche Gesellschaft am Dienstag auf Rückfrage bekannt.

Zuvor hatte die Lufthansa einen Hin- und Rückflug für Mittwoch und Donnerstag gestrichen. Sie fliegt zudem nicht mehr durch den weißrussischen Luftraum. Sicherheit habe bei Lufthansa oberste Priorität, hieß es weiter. Auch Gesellschaften wie Air France, Finnair und die polnische Lot weichen sicherheitshalber auf andere Strecken aus. Die Ukraine beschloss indes, das Nachbarland vorübergehend nicht mehr anzufliegen. Weißrussland protestierte gegen die Entscheidung. Der Flugverkehr mit dem Nachbarland gilt als besonders intensiv.

Eurocontrol: Über Baltikum fliegen

Nach Angaben der europäischen Luftsicherheitsbehörde Eurocontrol gibt es normalerweise täglich mehr als 300 Flüge von und nach Europa über Weißrussland. Besonders häufig sind Verbindungen zwischen Russland (29) und China (14) von und nach Deutschland. Die weitaus meisten Flüge absolvierte die weißrussische Staatsfluglinie Belavia mit 46 pro Tag, für die nun ein Landeverbot in der EU gilt.

Belavia hatte angekündigt, ihre Flüge nach London und Paris bis Ende Oktober auszusetzen. Russland als enger Verbündeter von Weißrussland will indes an Flügen über das Nachbarland festhalten. Das Außenministerium in Moskau hatte die Reaktionen des Westens als „Hysterie“ bezeichnet. Die Eurocontrol empfahl den Fluglinien indes, künftig über das Baltikum zu fliegen. Etwa 400 zivile Flugzeuge fliegen demnach jeden Tag über Weißrussland, darunter 300 Überflüge.

EU beschloss Sanktionen

Die Staats- und Regierungschefs der EU hatten zuvor beschlossen, dass weißrussische Fluggesellschaften künftig nicht mehr den Luftraum der EU nutzen dürfen. Außerdem haben sie auf Flughäfen in der EU nun Start- und Landeverbot. Zudem soll es gezielte Wirtschaftssanktionen und eine Ausweitung der Liste mit Personen und Unternehmen geben, gegen die Vermögenssperren und EU-Einreiseverbote gelten. Aus Minsk gab es zunächst keine Reaktionen darauf.

Reporter ohne Grenzen warnen

Die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) warnte vor möglichen ungewollten Folgen der Sanktionen. Die Start- und Landeverbote für weißrussische Fluggesellschaften könnten „kontraproduktiv“ sein, warnte der Geschäftsführer von RSF Deutschland, Christian Mihr, in den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (Mittwoch-Ausgaben). „Es ist wichtig, Journalisten und Angehörigen der Zivilgesellschaft nicht alle Türen zu verschließen.“ Flüge seien eine der wenigen Möglichkeiten, aus Weißrussland ausreisen zu können, da etwa die Landgrenze zu Polen wegen der Pandemie geschlossen sei, so Mihr.

Die Behörden des autoritär geführten Landes hatten am Sonntag ein Ryanair-Flugzeug auf dem Weg von Griechenland nach Litauen mit Hilfe eines Kampfjets zur Landung in Minsk gezwungen – angeblich wegen einer islamistischen Bombendrohung. Minsk machte die im Gazastreifen herrschende Hamas dafür verantwortlich. Ein Hamas-Sprecher wies das jedoch als „absurd“ zurück. Die Maschine flog später weiter nach Vilnius.

Große Sorge um inhaftierten Blogger

Ziel der Aktion war offensichtlich Protassewitsch, der aus Griechenland nach Litauen wollte, wo er zuletzt im Exil lebte. In seiner Heimat war er unter anderem wegen Anstiftung zu Protesten gegen Präsident Alexander Lukaschenko zur Fahndung ausgeschrieben. Dem Regierungskritiker Protassewitsch, der zuletzt im Ausland lebte, drohen nach seiner Verhaftung nun mehrere Jahre Haft. International gibt es auch Sorgen, dass der 26-jährige Blogger im Gefängnis misshandelt wird. Ein von den weißrussischen Behörden veröffentlichtes Video, scheint diese Befürchtungen zu bestätigen.

Der Oppositionell Blogger Roman Protassewitsch
Reuters TV
Bild aus dem „Geständnis“-Video mit Protassewitsch

Die weißrussische Bürgerrechtlerin und Regimegegnerin Swetlana Tichanowskaja vermutet, dass Protassewitsch im Gefängnis gefoltert wird – auch seine Mutter befürchtet das. Protassewitschs Vater geht davon aus, dass ein auf Video festgehaltenes Geständnis unter Zwang entstanden ist. Die internationale Gemeinschaft müsse über gemeinsame Schritte diskutieren, „um die Täter vor Gericht zu stellen“, so Tichanowskaja am Dienstag via Telegram. Zugleich forderte sie die Freilassung des 26-Jährigen und auch anderer politischer Gefangener in Weißrussland. Tichanowskaja lebt in Litauen im Exil.

Weißrussische Regimegegnerin Swetlana Tichanowskaja
AP/Mindaugas Kulbis
Die weißrussische Regimegegnerin Swetlana Tichanowskaja

In einem am Montagabend in Weißrussland verbreiteten Video hatte der Blogger gesagt, er werde weiter mit den Ermittlern zusammenarbeiten und „Geständnisse über die Organisation von Massenunruhen in der Stadt Minsk“ abgeben. Nach Einschätzung der Opposition wurde Protassewitsch zu den Aussagen vor laufender Kamera gezwungen. Es seien Spuren von Schlägen sichtbar gewesen. Das weißrussische Innenministerium teilte mit, Protassewitsch sei in Untersuchungshaft und habe nicht über gesundheitliche Probleme geklagt.

Nexta-Gründer fordert Isolation von Weißrussland

Der weißrussische Aktivist und Mitstreiter von Protassewitsch, Stepan Swetlow, rief den Westen indes zur vollständigen Isolation der weißrussischen Führung auf. „Seit acht Monaten verspricht man uns Unterstützung, aber in Wahrheit gibt es keine erkennbare Unterstützung“, beklagte Swetlow im Interview mit der Nachrichtenagentur AFP. Er forderte die Einstufung des „Regimes“ als „terroristisch“.

Die Festnahme Protassewitschs habe den Westen zwar gezwungen, weitreichendere Maßnahmen einzuleiten, sagte Swetlow, der gelegentlich auch den Nachnamen Putilo nutzt. Das reiche jedoch nicht aus. Putilo war gemeinsam mit Protassewitsch Gründer des Portals Nexta auf Telegram. Die Redaktion hat ihren Sitz in Warschau. Der Telegram-Kanal wurde während der Proteste gegen Lukaschenko zur wichtigsten Informationsquelle der Opposition. Protassewitsch schied Ende 2020 aus Nexta aus.

Nach Swetlows Einschätzung ist die Wahrscheinlichkeit „groß“, dass Russland in die Umleitung des Flugzeugs verwickelt war. „Minsk hat nicht so viele Agenten im Ausland“, sagte er. Protassewitsch habe erklärt, dass ihm jemand nach Griechenland gefolgt sei und jemand versucht habe, ihn vor dem Abflug in Athen zu fotografieren. An Bord des Ryanair-Flugzeugs seien vier Russen gewesen, die die Maschine nach der Landung in Minsk verlassen hätten. „Man sieht, dass Russland eine Rolle spielte“, so Swetlow.