Wolfgang Brandstetter
ORF.at/Carina Kainz
Wirbel um Chats

Brandstetter zieht sich aus VfGH zurück

Noch vor Ablauf des Wochenendes hätte der ehemalige ÖVP-Justizminister und heutige Verfassungsrichter Wolfgang Brandstetter beim Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs (VfGH), Christoph Grabenwarter, zu einer Aussprache erscheinen sollen. Am Donnerstagnachmittag gab Brandstetter aber bekannt, sein Amt mit Ende Juni zurückzulegen. Die zuletzt bekanntgewordenen Chats des suspendierten Justizsektionschefs Christian Pilnacek mit Brandstetter hatten zuvor eine Welle der Kritik ausgelöst.

In einer schriftlichen Stellungnahme erklärte Brandstetter Donnerstagabend: „Tatsache ist, dass faktisch eine Situation eingetreten ist, in der ich dem VfGH am besten dienen kann, indem ich mich von meiner Funktion zurückziehe.“ Er werde daher den Gerichtshof nach Fertigstellung laufender Akten mit Wirkung vom 1. Juli verlassen und habe das dem Präsidenten bereits mitgeteilt. Grabenwarter nahm den Rückzug in einer schriftlichen Stellungnahme „zur Kenntnis“. Der plangemäße Ablauf der nächsten Beratungen des Gerichtshofs, die am 7. Juni beginnen, sei dadurch nicht beeinträchtigt.

Gegenüber dem „Kurier“ sagte Brandstetter, er habe mit Grabenwarter „ein langes Gespräch“ geführt „und der Präsident hat mich verstanden“. Freilich war nur wenige Stunden zuvor bekanntgeworden, dass der VfGH-Präsident seinen Richterkollegen für Freitag zu einer Aussprache ins Höchstgericht geladen hatte. Dort könne Brandstetter „zu den Vorgängen Stellung nehmen“, hatte es Donnerstagmittag geheißen.

Brandstetter tritt als Höchstrichter zurück

Höchstrichter Wolfgang Brandstetter steht im Verdacht, in seiner Zeit als Justizminister Amtsgeheimnisse weitergegeben zu haben. Zudem zeigen Handyprotokolle, dass er sich mit dem suspendierten Justiz-Sektionschef Pilnacek über Entscheide des Höchstgerichts ausgetauscht habe. Am Donnerstag gab Brandstetter seinen Rücktritt bekannt.

„Privates Gespräch unter Freunden“

Der Vorladung und dem letztendlichen Rückzug Brandstetters war eine heftige innenpolitische Debatte vorausgegenangen – ausgelöst durch Chatprotokolle, die am Dienstag den Weg an die Öffentlichkeit gefunden hatten und in mehrere Medien veröffentlicht worden waren.

Darin bezeichnete Pilnacek unter anderem die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) als „missraten“ und kritisiert den VfGH für dessen Entscheidungen zur Sterbehilfe und zum Kopftuchverbot an Volksschulen. Die Nachrichten stammen aus dem beschlagnahmten Handy des suspendierten Sektionschefs und wurden an den „Ibiza“-Untersuchungsausschuss geliefert.

Analyse zu Rückzug Brandstetters

Ulla Kramar-Schmid (ZiB-Investigativabteilung) analysiert den Rückzug des Verfassungsrichters Wolfgang Brandstetter und ob dies Auswirkungen auf den suspendierten Justiz-Sektionschef Pilnacek haben könnte.

Brandstetter übte nun in seiner Stellungnahme auch Kritik an der Veröffentlichung der Unterhaltungen zwischen ihm und Pilnacek: „Es tut dem Land nicht gut, wenn öffentlich mit Gift und Galle Menschen in öffentlichen Funktionen angegriffen und angepatzt werden. Ein privates Gespräch unter Freunden und öffentliche Äußerungen sind gänzlich verschiedene Dinge.“

Brandstetter sieht Verdacht entkräftet

Brandstetter stand als Verfassungsrichter schon länger in der Kritik, weil gegen ihn wegen des Verdachts der Verletzung des Amtsgeheimnisses ermittelt wird. Zuletzt ließ er sich krankheitsbedingt am Höchstgericht vertreten, einen Rückzug lehnte er aber zuvor ab.

Auch am Donnerstag betonte er seine Unschuld. Klar sei, dass alle nunmehr öffentlich gemachten privaten Unterhaltungen keinerlei belastende Indizien in dem Verfahren enthielten – „im Gegenteil, es wird klar, dass der formulierte Tatverdacht sich entkräftet hat“. Er vertraue darauf und erwarte auch, dass dieses Ermittlungsverfahren jetzt so rasch wie möglich zu einem Abschluss geführt werde.

Sowohl Pilnacek als auch Brandstetter werden von der Staatsanwaltschaft Innsbruck als Beschuldigte geführt. Sie sollen, so der Verdacht, eine geplante Hausdurchsuchung beim Unternehmer Michael Tojner verraten haben. Pilnacek soll die bevorstehende Zwangsmaßnahme Tojners Rechtsberater Brandstetter „gesteckt“ haben. Beide bestreiten alle Vorwürfe, es gilt die Unschuldsvermutung.

Zufriedenheit bei Opposition

Der stellvertretende SPÖ-Klubchef Jörg Leichtfried zeigte sich Donnerstagabend in einer Stellungnahme über die Entscheidung Brandstetters zufrieden. Dieser sei wohl seinem Ausschluss aus dem VfGH zuvorgekommen und habe die notwendigen Konsequenzen gezogen. Als längst überfällig bezeichnete den Rückzug der freiheitliche Fraktionsführer im Untersuchungsausschuss, Christian Hafenecker. Die „Wehleidigkeit“, die er in seiner Begründung dafür zelebriere, sei höchst bezeichnend für den Umgang der ÖVP mit Demokratie und Rechtsstaat, so der FPÖ-Abgeordnete. Er kritisierte erneut, dass sich weder Bundespräsident noch Bundeskanzler zu der Causa geäußert hatten.

Die Volkspartei wiederum richtete Brandstetter über ihren Generalsekretär Axel Melchior Dank für seine Leistungen in unterschiedlichsten Funktionen aus. Seinen Rückzug nannte Melchior eine persönliche Entscheidung. Er wünsche Brandstetter für seine Zukunft alles Gute.

NEOS-Generalsekretär Nick Donig verteidigte am Donnerstag indes die Veröffentlichung der an sich als vertraulich klassifizierten Chatprotokolle. Die Veröffentlichung sei im „Interesse der Republik notwendig gewesen, um die Integrität der Justiz und des Verfassungsgerichtshofes sicherzustellen“. Die Öffentlichkeit habe „ein Recht darauf zu erfahren, wenn einer der höchsten Beamten in der Justiz einem Verfassungsrichter schreibt: ‚Einem vom VfGH fehlgeleiteten Rechtsstaat kann man nicht mehr dienen‘“.

Wolfgang Brandstetter und Christian Pilnacek
APA/Herbert Neubauer
Veröffentlichte Chats zwischen Brandstetter und Pilnacek sorgten diese Woche für Aufregung

Zuvor hatte ÖVP-Fraktionsführer Andreas Hanger für Freitag zu einer Pressekonferenz mit dem Titel „Nachweisliche Chat-Leaks durch Opposition“ geladen. Dass die ÖVP versuche, aus der Veröffentlichung einen Skandal zu konstruieren, sei Donig zufolge das Bemühen, „mit allen Mitteln vom tatsächlichen Skandal abzulenken“. Die veröffentlichten Chats hätten niemals als „vertraulich“ gelten dürfen, argumentierte Donig. Falls es für die Veröffentlichung einen Ordnungsruf geben sollte, werde diesen „jeder ordentliche Demokrat und jede ordentliche Demokratin natürlich akzeptieren“.

„Kein besonders gutes Bild der Justiz“

Die Chats sorgten indes nicht nur in der politischen Opposition für herbe Kritik und Rufe nach Konsequenzen. In der ZIB2 zeigte sich etwa die Präsidentin der Richtervereinigung, Sabine Matejka, „sehr schockiert“, die Chats würden „kein besonders gutes Bild der Justiz" bieten. „Das Bild, das hier in der Öffentlichkeit gezeichnet wird“, entspreche aber nicht der Realität. „Wie man derzeit mit den rechtsstaatlichen Institutionen umgeht“, sei Matejka zufolge zudem „höchst bedenklich“.

Matejka analysiert Pilnacek-Chats

Sabine Matejka, Vorsitzende der Richtervereinigung, analysiert, was Sektionschef Christian Pilnacek und Höchstrichter Wolfgang Brandstetter in Chats über Vorgänge in der Justiz meinen.

Justizministerin Alma Zadic (Grüne) hatte zuvor Respekt vor rechtsstaatlichen Institutionen eingemahnt und in Richtung Pilnacek, ohne diesen namentlich zu nennen, gemeint, dass sie sich von Spitzenbeamten der Justiz erwarte, „dass sie allen Institutionen des Rechtsstaats und insbesondere dem Verfassungsgerichtshof den gebührenden und gebotenen Respekt entgegenbringen“. Aufgabe von Beamten sei es, „dem Rechtsstaat und den Menschen in Österreich zu dienen“. Zudem müssten Justizvertreter wachsam gegenüber jeder Form von Diskriminierung, Herabwürdigung und Ausgrenzung sein.