Englische Fans im Wembley-Stadion bei der Fußball-EM
Reuters/Laurence Griffiths
Delta-Variante in GB

Kritik an vollen Rängen bei EM-Spielen

Anlässlich des EM-Achtelfinales zwischen England und Deutschland wird die Kritik an der Zuschaueraufstockung für das Londoner Wembley-Stadion und am Fanverhalten in der CoV-Pandemie lauter. 45.000 Zuschauer sind am Dienstag im Stadion zugelassen, bei den Halbfinal-Spielen und im Finale noch mehr. Experten warnen – und verweisen auf mehrere Cluster, die durch die deutlich ansteckendere Delta-Variante nach EM-Spielen in Europa entstanden.

In Großbritannien gehen mittlerweile rund 95 Prozent der CoV-Neuinfektionen auf die Delta-Variante zurück. Die Ansteckungsrate im Vereinigten Königreich ist viermal höher als im EU-Schnitt. Die britische Regierung erteilte Forderungen nach einer Verlegung der letzten EM-Spiele in ein anderes Land jedoch eine Absage. Zu den Halbfinal-Spielen und zum Finale sollen für das 90.000 Zuschauer fassende Wembley-Stadion jeweils 60.000 Besucher zugelassen werden. Für die Ticketinhaberinnen und -inhaber gelten strenge Vorschriften. Eingelassen wird nur, wer entweder zweimal geimpft wurde oder einen negativen Coronavirus-Test vorweisen kann.

Der deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) sagte mit Blick auf die Delta-Variante, vor allem in Großbritannien seien Zehntausende Zuschauer im Stadion „unverantwortlich“. In der „Süddeutschen Zeitung“ appellierte Seehofer an den Europäischen Fußballverband (UEFA) und die britische Regierung, die Zuschauerzahlen „deutlich nach unten zu korrigieren“.

Söder mahnt zu Vorsicht

Zu Vorsicht mahnte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Am Spielort München und in Deutschland allgemein sei es bisher „gut gelaufen“, sagte Söder der „Bild“. Man habe sich „ganz bewusst dafür entschieden, so lange abzuwarten, bis klar war, wie sich die Inzidenzen bei uns entwickeln“, sagte er mit Blick auf eine Zulassung von Fans und betonte: „Ich möchte halt nicht, dass es uns einholt.“

Dass in Budapest mehr als 55.000 Zuschauer ins Stadion durften, hält Söder für einen Fehler. „Ich hätte das in Ungarn so nicht gemacht, hätte das nicht verantworten wollen. Ausgangspunkt für ein Superspreader-Event zu sein, das ist der Fußball in dem Verhältnis nicht wert. Genießen ja, aber genießen mit Verstand“, sagte Söder.

Das Londoner Wembley-Stadion bei der Fußball-EM
Reuters/Laurence Griffiths
Beim Achtelfinale zwischen Österreich und Italien am Samstag waren knapp 19.000 Zuschauer im Wembley-Stadion

„Eigentlich nicht zu verantworten“

Dass die Partien überhaupt dort ausgetragen werden sollen, bezeichnete der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) als „eigentlich nicht zu verantworten“. Das ginge „nur mit harter Einhaltung der Regeln und der Abständen“, sagte der 73-Jährige dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Die UEFA und der Deutsche Fußball-Bund (DFB) müssten „dringend dafür sorgen, dass die Regeln eingehalten werden. Der Plan, jetzt noch mehr Leute in die Stadien zu lassen, wie in Wembley, ist unverfroren.“

Manche bisherigen Bilder vermittelten den Eindruck, dass die Pandemie vorbei sei. „Das ist ein absolut falsches Signal“, sagte Kretschmann. Spiele in vollen Stadien und Zuschauer ohne Abstand oder Masken könnten zum Superspreader-Event werden. „Dieser Leichtsinn macht mich fassungslos“, sagte Kretschmann dem RND.

Der grüne Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen warnte vor Nachlässigkeit. „Es besorgt mich als Gesundheitspolitiker und Arzt gleichermaßen, wenn trotz des rasanten Anstiegs gefährlicher Virusvarianten an den dicht gedrängten Fußballstadien, oftmals ohne ausreichenden Abstand und Maske, festgehalten wird“, sagte der Bundestagsabgeordnete der dpa in Berlin „Wir machen so alles kaputt, was wir uns an niedrigen Fallzahlen aufgebaut haben.“

EU-Kommissionsvize warnt UEFA

Eine Warnung kam zuletzt von EU-Kommissionsvizepräsident Margaritis Schinas. Er rief die UEFA auf, zumindest die Ausrichtung der letzten EM-Spiele in London zu überdenken. Er habe Bedenken, die Halbfinal-spiele und das Finale „in einem vollen Stadion zu organisieren in einer Zeit, in der das Vereinigte Königreich selbst die Reisen seiner Bürger in die Europäische Union einschränkt“. Die UEFA müsse diese Entscheidung nun „vorsichtig analysieren“ und den Ort der Ausrichtung „mit vollem Wissen der Fakten“ wählen.

Viele Infizierte nach Spiel in St. Petersburg

London ist allerdings nicht der einzige Delta-Hotspot, in dem die EM-Spiele weitergehen. In den vergangenen Tagen waren immer wieder Fälle von CoV-Infektionen nach dem Besuch von EM-Spielen bekanntgeworden. Trotz der deutlichen Verschärfung der Infektionslage bereitet sich etwa auch St. Petersburg auf die Austragung des Viertelfinal-Spiels der EM am Freitag (Schweiz – Spanien, 18.00 Uhr, ORF1) vor. Die russischen Behörden verzeichneten am Dienstag mit 652 einen Rekordwert an CoV-Todesfällen, zuletzt zählte die offizielle Statistik mehr als 20.000 neue Infektionen an einem Tag.

Das Spiel werde dennoch „wie geplant stattfinden“, so die russischen Organisatoren. Ein UEFA-Sprecher sagte der Nachrichtenagentur AFP, für die Teams mache die Infektionslage „keinen Unterschied“. Zu dem Spiel werden mehr als 26.000 Zuschauer erwartet.

Die finnischen Behörden teilten am Wochenende mit, dass mittlerweile fast 300 Zuschauer des Spiels Finnland gegen Belgien am Montag vergangener Woche in St. Petersburg positiv auf CoV getestet worden seien. Die Behörden riefen erneut alle Besucher des Spiels auf, sich testen zu lassen und sich nach ihrer Rückkehr nach Finnland mindestens 72 Stunden lang zu isolieren. Da die Rückkehr von rund 3.000 finnischen Fans Staus an den Landesgrenzen verursacht hatte, waren örtlichen Medien zufolge knapp 800 Heimkehrer ohne CoV-Tests ins Land gelassen worden.