Polizist in einem Abschiebezentrum in Wien
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Kinder und Asyl

Die Vorschläge der Griss-Kommission

Kein gutes Zeugnis stellt die Kindeswohlkommission unter Leitung der Ex-OGH-Präsidentin und Ex-NEOS-Politikerin Irmgard Griss der Republik in Sachen Kinder und Asyl aus. Die Kommission, die nach der heftig umstrittenen Abschiebung von Mädchen nach Georgien und Armenien zu Beginn des Jahres von Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) eingesetzt worden war, legte in ihrem Bericht auch konkrete Verbesserungsvorschläge vor.

Sie fordert grundsätzlich eine stärkere Berücksichtigung des Kindeswohls in Verfahren. Schubhaft für Minderjährige und Familien dürfe es nicht mehr geben, Abschiebungen sollten nicht während des Schuljahres stattfinden, rät die Kommission. Im Folgenden die Empfehlungen aus dem Bericht:

In allen Entscheidungen im Rahmen des Asyl- und Fremdenrechts, die Kinder betreffen, soll eine „umfassende Prüfung des Kindeswohls und der Auswirkungen der Entscheidungen auf die Rechte des Kindes gewährleistet“ werden.

Klare Kriterien gefordert

Referenten des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) sollten dazu ebenso wie die Richter des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG), bei dem Bescheide bekämpft werden können, klare Kriterien und Handlungsanleitungen bekommen. Die Prüfung müsse „über die Wahrung der Familieneinheit hinausgehen und eigenständig die Situation und Integration von Kindern berücksichtigen“. „Eine Verletzung des Kindeswohls durch eine aufenthaltsbeendende Maßnahme kann meist nicht dadurch aufgewogen werden, dass die Einheit der Familie gewahrt bleibt“, betont die Kommission.

Zu wenig Fokus auf Kinderrechte

Die Kindeswohlkommission kritisiert, dass die Kinderrechte in Asyl- und fremdenrechtlichen Verfahren in Österreich zu wenig eingehalten werden. Umstrittene Abschiebungen sowie straffällige Geflüchtete zeigen Mängel im System.

In Sachen Rechtsberatung merkt die Kommission an, dass Kinder „ein Recht auf Zugang zu kindgerechter Information über das Verfahren in einer für sie verständlichen Sprache“ haben.

Nötige Gesetzesänderungen

Rechtsvorschriften, die die Kindeswohlprüfung mittelbar oder unmittelbar betreffen, sollten auf notwendige Änderungen überprüft werden, rät die Kommission. Das gilt unter anderem für den Kriterienkatalog des Paragrafen 138 ABGB, der die besonderen Verhältnisse von minderjährigen Flüchtlingen wie die Bindung zu und Sozialisation in Österreich und das Verhältnis zum Herkunftsland nicht ausreichend berücksichtigt. Der so ergänzte Katalog soll in den Asyl- und Fremdengesetzen unter Verweis auf das BVG Kinderrechte als Prüfungsmaßstab für alle Entscheidungen verankert werden, die Kinder betreffen.

Alter als Problemzone

Das System der Altersfeststellung soll überprüft werden. Psychosoziale und kognitive Faktoren sollen gleichberechtigt mit medizinischen Faktoren in die Beurteilung einfließen. Zudem soll die Altersfeststellung als selbstständig anfechtbare Entscheidung ausgestaltet werden.

Präsentation des „Abschlussberichts der Kindeswohlkommission“ in Wien
APA/Helmut Fohringer
Die Kommission am Dienstag bei der Präsentation ihres Berichts

Kindgerechte Verfahren gefordert

Für alle mit der Kindeswohlprüfung befassten Personen empfiehlt die Kommission verpflichtende und regelmäßige Aus- und Weiterbildungsprogramme. In den Verfahren sollen auch Kinder unter 14 Jahren gehört werden. Gefordert wird auch eine Einbindung der Kinder- und Jugendhilfe.

Leiterin der Kindeswohlkommission Griss kritisiert Abschiebungen

Bei Abschiebungen werden Kinderrechte in Österreich zu wenig berücksichtigt, sagt die Kindeswohlkommission. Deren Leiterin Irmgard Griss war Gast in der ZIB2 am Dienstag.

Humanitäres Bleiberecht

In Entscheidungen über Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen sollen in einem formalisierten Verfahren die Erfahrungen von Nachbarinnen und Nachbarn, Kolleginnen und Kollegen bei ehrenamtlichen Tätigkeiten, Lehrerpersonen und Mitschülerinnen und -schülern berücksichtigt werden. Vor allem in Härtefällen soll diesen Berichten besonderes Gewicht zukommen.

Abschiebungen und Schubhaft

Man müsse sicherstellen, dass das Kindeswohl „bei Anzeichen geänderter Umstände bis zuletzt geprüft werden kann“ und seine Gefährdung dazu führe, dass das weitere Vorgehen überprüft wird. Bei der Organisation von Abschiebungen müsse etwa für eine psychologische Krisenintervention vorgesorgt werden.

„Termin, Art und Weise der Abschiebung sollen so festgelegt werden, dass Kinder möglichst geringen Schaden erleiden“, fordert die Kommission. Während des Schuljahres sollen schulpflichtige Kinder nicht abgeschoben werden. Zudem solle angeordnet werden, dass Minderjährige und Familien nicht mehr in Schubhaft genommen werden dürfen.

Obsorge für unbegleitete Minderjährige

Die Obsorge für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge solle „dringend für ganz Österreich einheitlich gestaltet“ werden, derzeit bestehe hier eine „Schutzlücke“. Es solle auch geprüft werden, ob unbegleiteten Minderjährigen wie in Frankreich ein Bleiberecht bis zur Volljährigkeit gewährt werden soll, sofern kein Grund für eine Aberkennung eines Aufenthaltstitels vorliegt.

Minderjährige Flüchtlinge sollen in Einrichtungen untergebracht werden, die den Standards der Kinder- und Jugendhilfe entsprechen, und heimischen fremdbetreuten Kindern gleichgestellt werden. Jugendliche sollen eine Lehre absolvieren oder andere Bildungsabschlüsse erwerben können, Schulbesuch soll auch nicht mehr schulpflichtigen Kindern offenstehen.

Änderung von Kontrollsystem des BFA

Beim BFA soll das (nicht nur für Kinder geltende) Controllingsystem geändert werden: Für einen positiven Bescheid erhält ein Referent derzeit 0,6 Punkte, für einen negativen einen Punkt. Für andere (kürzere) Bescheide werden 0,5 Punkte vergeben. Pro Woche sollen mindestens vier Punkte erreicht werden. Stattdessen sollen auch qualitative Kriterien eine Rolle spielen – also etwa, ob für eine Entscheidung nur Textbausteine aus anderen Verfahren verwendet wurden.

Strategien gegen „Untertauchen von Kindern“

Im Bericht heißt es, dass Asylverfahren unbegleiteter Minderjähriger oft eingestellt würden, weil diese „verschwunden“ sind. Dem "Untertauchen“ von Kindern – ihrem Verschwinden aus Betreuungseinrichtungen – und damit verbundenen Risiken wie Ausbeutung und Kinderhandel solle „durch adäquate sozialpädagogische Strategien und Strukturen entgegengewirkt werden“.

Im Jahr 2020 stellten 4.055 begleitete Minderjährige einen Asylantrag in Österreich. 1.467 kamen als unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. 3.716 begleitete und 381 unbegleitete Minderjährige wurden zum Asylverfahren zugelassen. 5.730 Minderjährige haben 2020 Asyl, subsidiären Schutz oder humanitäres Bleiberecht erhalten, davon waren 186 unbegleitete Minderjährige.

Deutlich mehr als die Hälfte der begleiteten Minderjährigen (3.220) waren in Österreich geborene Kinder von Personen, die bereits mit einem Schutzstatus oder Aufenthaltstitel in Österreich leben. 1.174 Anträge von Minderjährigen wurden rechtskräftig abgewiesen und Rückkehrentscheidungen erlassen.