Insgesamt liege dem Polizeipräsidium die Meldung über 618 Verletzte vor. Auch diese Zahl könne sich noch weiter erhöhen. Mehr als zwei Tage nach dem Unglück werden immer noch viele Menschen vermisst. In Nordrhein-Westfalen gab es nach Angaben des NRW-Innenministeriums landesweit mindestens 43 Todesopfer und viele Verletzte.
Am Freitag hatte Innenminister Roger Lewentz (SPD) noch von 63 Todesopfern in Rheinland-Pfalz gesprochen. Die Zahl der Verletzten lag am Freitag noch bei 362. In der Region gehen unterdessen die Such- und Rettungsarbeiten weiter. Noch immer sind Tausende Rettungskräfte in der Eifel, wo in der Nacht zum Donnerstag die Wassermassen ganze Orte verwüstet hatten.
Lage leicht entspannt
Laut Frühwarnprognose des Landesamts für Umwelt Rheinland-Pfalz verringerte sich die Hochwassergefahr zuletzt. In vielen Ortschaften fiel aber weiterhin das Strom- und Telefonnetz aus. In der Nacht war die Polizei nach Angaben des Präsidiums mit vielen Einsatzkräften in den betroffenen Ortslagen im Einsatz. Durch das Unwetter seien viele Straßen im Ahrtal weiterhin gesperrt oder nicht mehr befahrbar.
Durch das Abfließen der Wassermassen werden die von den Fluten angerichteten Schäden an Ahr und Mosel sichtbar. Auch die Infrastruktur hat schweren Schaden genommen: In dem besonders stark betroffenen Landkreis Ahrweiler sind Straßen gesperrt und Brücken zerstört, der Zugsverkehr ist in Rheinland-Pfalz wegen der Überflutungen weiterhin stark beeinträchtigt.
Eine besonders dramatische Lage hatte sich in Erftstadt-Blessem südwestlich von Köln ergeben: Dort kam es zu gewaltigen Erdrutschen, es bildeten sich Krater im Erdreich, drei Wohnhäuser und ein Teil der historischen Burg stürzten ein. Bisher gibt es keine bestätigten Todesopfer, sagte ein Kreissprecher Samstagfrüh der dpa.
Evakuierungen nach Dammbruch
Nach dem Bruch eines Damms der Rur im nordrhein-westfälischen Wassenberg wurde der Stadtteil Ophoven evakuiert worden. Die Lage war am frühen Morgen laut Mitteilung der Stadt weiter angespannt. Der zuständigen Kreispolizei Heinsberg und der Bezirksregierung Köln waren in der Früh aber keine besonderen Vorkommnisse aus der Nacht bekannt.
Wie die Bezirksregierung am Freitagabend mitgeteilt hatte, waren rund 700 Anrainer von der Evakuierung betroffen. Für zwei weitere Stadtteile – Effeld und Steinkirchen – gab es in der Nacht weiter eine Vorwarnung, dass es zur Evakuierung kommen könnte. Wie groß der Schaden durch den Dammbruch ist, ist derzeit noch nicht bekannt.
Prekäre Lage im Westen Deutschlands
ORF-Korrespondentin Verena Gleitsmann berichtet aus den Katastrophengebieten in Deutschland über die aktuelle Lage.
Politiker im Krisengebiet
Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kommt am Samstag in den von der Flutkatastrophe besonders hart getroffenen Rhein-Erft-Kreis (Nordrhein-Westfalen), Bundeskanzlerin Angela Merkel plant einen baldigen Besuch in der schwer verwüsteten Region in Rheinland-Pfalz. Bei einer Videokonferenz mit NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hatte sie am Freitag kurz- und langfristige Unterstützung durch den Bund für die betroffenen Menschen zugesichert.
Laschet beklagte am Freitag eine „Flutkatastrophe von historischem Ausmaß“. Es sei zu befürchten, dass die Opferzahlen weiter steigen. Seine Amtskollegin aus Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer (SPD), nannte die Lage „weiterhin extrem angespannt in unserem Bundesland“. Sie fügte in Trier hinzu: „Das Leid nimmt auch gar kein Ende.“ Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock reiste nach dem Abbruch ihres Urlaubs in die Krisengebiete.

Das deutsche Verteidigungsministerium löste wegen der Unwetterkatastrophe im Westen des Landes einen militärischen Katastrophenalarm aus. Es handelt sich um eine der größten Unwetterkatastrophen der Nachkriegszeit in Deutschland. Obwohl die Rettungsmaßnahmen noch voll im Gange waren, lag die Zahl der Toten bereits deutlich höher als beim „Jahrhunderthochwasser“ des Jahres 2002, bei dem in Deutschland 21 Menschen starben.

Kritische Lage auch in Belgien und Niederlanden
Kritisch ist die Lage auch in Luxemburg, Belgien und den Niederlanden. Entlang der Maas im Süden der Niederlande mussten zahlreiche Menschen am Freitag ihre Häuser verlassen, weil die Fluten ein Loch in einen Damm gerissen hatten. In Venlo an der Grenze zu Nordrhein-Westfalen wurde ein Krankenhaus mit 200 Patientinnen und Patienten vorsorglich evakuiert.
Hochwasser in Belgien
ORF-Korrespondent Benedict Feichtner berichtet über die Hochwasserlage in Belgien.
Tausende Einwohnerinnen und Einwohner von Maastricht und angrenzenden Orten, die sich am Vorabend bereits in Sicherheit gebracht hatten, konnten am Freitag wieder in ihre Wohnungen zurückkehren. Zwar kam es oft nicht zu den befürchteten verheerenden Überflutungen, die Wassermassen richteten aber Schäden an. In der Nacht hatte die Maas unweit der belgischen Grenze ihren höchsten Wasserstand seit Beginn der Aufzeichnungen 1911 erreicht. Am Vormittag sank der Pegelstand dort wieder.

In Belgien forderten die Fluten mindestens 20 Menschenleben. In der Wallonie waren mehrere tausend Bewohnerinnen und Bewohner ohne Strom. Dutzende Straßenabschnitte blieben für den Verkehr gesperrt, ebenso wie die meisten Bahnstrecken in der Wallonie. In der belgischen Großstadt Lüttich (Liege) waren die Anrainerinnen und Anrainer der Maas am Donnerstag wegen außergewöhnlich starken Hochwassers aufgerufen worden, schnell ihre Häuser zu verlassen. In der Nacht stieg der Wasserpegel jedoch nicht weiter. Die Einsatzkräfte bekommen internationale Hilfe, unter anderem von Feuerwehren aus Niederösterreich – mehr dazu in noe.ORF.at.
Wetterextreme und Klimakrise
Die deutschen Klimaforscher Stefan Rahmstorf und Hans Joachim Schellnhuber schreiben in ihrem Werk „Der Klimawandel“, dass Wetterextreme wie Stürme, Überschwemmungen und Dürren jene Auswirkungen des Klimawandels seien, die viele Menschen „am direktesten zu spüren bekommen“. Eine Zunahme sei allerdings nicht so leicht nachweisbar, „da die Klimaerwärmung bislang noch moderat und Extremereignisse per Definition selten sind – über kleine Fallzahlen lassen sich kaum gesicherte statistische Aussagen machen“.
Buchhinweis
Stefan Rahmstorf und Hans Joachim Schellnhuber: Der Klimawandel. Verlag: C. H. Beck Wissen, 144 Seiten, 10,30 Euro.
Ein paar Zeilen weiter darunter heißt es allerdings: „Zwar lassen sich einzelne Extremereignisse nicht direkt auf eine bestimmte Ursache zurückführen. Doch man kann zeigen, dass sich die Wahrscheinlichkeit (oder Häufigkeit) bestimmter Ereignisse durch die globale Erwärmung erhöht.“ Vergleichbar sei das mit der Tatsache, dass Raucher und Raucherinnen häufiger Lungenkrebs bekämen, es sich im Einzelfall aber nicht beweisen ließe, ob der Patient nicht auch, ohne zu rauchen, Krebs bekommen hätte.