Allein im Großraum Ahrweiler kamen nach Angaben der Polizei über 90 Menschen ums Leben. Es sei zu befürchten, dass noch weitere hinzukämen, teilte die Polizei Koblenz mit. Hunderte Menschen wurden laut Polizei verletzt – auch diese Zahl könne noch steigen.
Für die ebenfalls besonders schwer betroffene Region um das nordrhein-westfälische Erftstadt befürchtet Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) ebenfalls Schlimmeres: „Wir gehen von mehreren Toten aus, wissen es aber nicht“, hatte er am Freitag in Düsseldorf gesagt. Trotz mehrerer eingestürzter Häuser gab es bis zum Samstagmittag aber keine bestätigten Todesopfer in dem extrem unter Wasser stehenden Stadtteil Blessem.
Unklarheit über Vermisste
Skeptisch äußerte sich dort ein Kreissprecher: Da die Arbeiten der Rettungskräfte noch in vollem Gange seien, könne man nicht ausschließen, noch Todesopfer zu finden, sagte er am Samstagmorgen der dpa. Die Lage sei weiterhin angespannt. In Blessem südwestlich von Köln war es zu gewaltigen Erdrutschen gekommen, es bildeten sich Krater im Erdreich, drei Wohnhäuser und ein Teil der historischen Burg stürzten ein.
Mehr als zwei Tage nach dem Unglück werden in den Regionen immer noch Menschen vermisst. Wie viele es sind, ist aber unklar. In vielen Ortschaften ist das Strom- und Telefonnetz weiter ausgefallen. Die Suche nach Freunden und Angehörigen gestaltet sich daher schwierig.
Schwere Schäden an Infrastruktur
Tausende Rettungskräfte sind unter anderem in der Eifel im Einsatz. Auch dort hatten die Wassermassen in der Nacht zum Donnerstag ganze Orte verwüstet. In Nordrhein-Westfalen gab es nach Angaben des NRW-Innenministeriums landesweit mindestens 43 Todesopfer und viele Verletzte. Für Rheinland-Pfalz hatte Landesinnenminister Roger Lewentz (SPD) am Freitag von 362 Verletzten gesprochen.
Riesiger Erdrutsch nach Überschwemmungen
ORF-Reporterin Verena Gleitsmann berichtet aus dem besonders betroffenem Ort Erftstadt-Blessem in Deutschland.
Im Ahrtal sind etliche Straßen weiterhin gesperrt oder nicht mehr befahrbar. Durch das Abfließen der Wassermassen werden dort und an der Mosel die von den Fluten angerichteten Schäden sichtbar. Auch die Infrastruktur hat schweren Schaden genommen: In dem besonders stark betroffenen Landkreis Ahrweiler sind Brücken zerstört, der Zugsverkehr ist in Rheinland-Pfalz wegen der Überflutungen weiterhin stark beeinträchtigt.
Tausende im Einsatz
Rettungskräfte sind weiter auf der Suche nach Toten, Verletzten und Vermissten. Mit Hubschraubern wurde am Samstagnachmittag wieder begonnen, in Ahrweiler Personen zu finden. Allein in Nordrhein-Westfalen sind nach Angaben des Landesinnenministeriums rund 22.000 Einsatzkräfte von Feuerwehr und Hilfsorganisationen wie dem Technischen Hilfswerk (THW) an den Rettungsarbeiten beteiligt. Hinzu kämen 700 Beamte der Landespolizei und Kräfte der Bundespolizei sowie Einsatzkräfte aus Hessen, Niedersachsen und Hamburg. Gearbeitet wurde unter anderem mit schwerem Gerät: Bagger hoben Autos an, die sich in den Sturzfluten in den Gassen teils übereinander verkeilt hatten. Auch die deutsche Bundeswehr half mit Panzern aus.
Evakuierung nach Dammbruch
Im nordrhein-westfälischen Wassenberg an der Grenze zu den Niederlanden wurde nach dem Bruch eines Damms des Flusses Rur der Stadtteil Ophoven evakuiert, rund 700 Menschen wurden in Sicherheit gebracht. Die Straßen des Stadtteils standen unter Wasser. Die Lage war am frühen Morgen laut Mitteilung der Stadt weiter angespannt. Der zuständigen Kreispolizei Heinsberg und der Bezirksregierung Köln waren in der Früh aber keine besonderen Vorkommnisse aus der Nacht bekannt. „Insgesamt stagnieren die dortigen Wasserpegel derzeit“, teilte die Stadt Wassenberg mit.
Evakuierung nach Dammbruch
Bei der Stadt Wassenberg in Norwrhein-Westfalen ist in der Nacht ein Damm gebrochen, 700 Einwohner mussten in Sicherheit gebracht werden. Und auch die Nachbarorte haben sich mittlerweile auf eine mögliche Evakuierung vorbereitet.
Im Trierer Stadtteil Ehrang waren die Aufräumarbeiten am Samstag in vollem Gang. „Da stapeln sich die Berge von Sperrmüll“, sagte ein Stadtsprecher. Erste Anrainer gingen zurück in die Häuser. „Wer da geschlafen hat, hatte kein Wasser und keinen Strom.“ Betroffen sind der Stadt zufolge 670 Häuser, bei denen im Keller und Erdgeschoß fast alles zerstört wurde.
Dank und Hilfsversprechen der Politik
Am Samstagmittag besuchte der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zusammen mit NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) die Rettungskräfte in Erftstadt und sprach unter anderem in der Feuerwehrleitzentrale mit Helfern. Er rief die Bürger zum Zusammenhalt auf: „In Zeiten der Not steht unser Land zusammen.“ Zudem dankte er den Katastrophenhelfern: Viele hätten „bis zur Erschöpfung und jenseits davon gearbeitet“. Laschet beklagte am Freitag eine „Flutkatastrophe von historischem Ausmaß“. Er versprach den Betroffenen Direkthilfe: Es werde „sehr unbürokratisch Geld ausgezahlt“.
Klimawandel „hautnah und schmerzhaft“
Seine Amtskollegin aus Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer (SPD), nannte die Lage „weiterhin extrem angespannt in unserem Bundesland“. Sie fügte in Trier hinzu: „Das Leid nimmt auch gar kein Ende.“ Dreyer beklagte schwere Versäumnisse beim Klimaschutz in Deutschland: „In den vergangenen Jahren haben wir in Deutschland vieles nicht umgesetzt, was notwendig gewesen wäre.“ Der Klimawandel sei angesichts der jüngsten Dürren und Unwetter nichts Abstraktes mehr. „Wir erleben ihn hautnah und schmerzhaft.“
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wird am Sonntag in der schwer verwüsteten Region in Rheinland-Pfalz erwartet. Auch Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock reiste nach dem Abbruch ihres Urlaubs in die Krisengebiete. Dabei verzichte sie bewusst auf Pressebegleitung oder öffentliche Auftritte.
Noch keine Entwarnung in Belgien und den Niederlanden
In Belgien forderte die Hochwasserkatastrophe bisher 24 Todesopfer. „Leider müssen wir damit rechnen, dass diese Zahl in den nächsten Stunden und Tagen weiter ansteigen wird“, teilte das Nationale Krisenzentrum des Landes am Samstag mit. Die Rettungskräfte setzten ihre Bemühungen an Ort und Stelle fort, nachdem die Regenfälle vielerorts am Freitag aufgehört hatten. In Teilen der Provinz Flämisch-Brabant sei die Situation weiterhin kritisch. In den Gemeinden Zoutleeuw und Rotselaar könnte sich die Lage am Nachmittag sogar noch verschlechtern, hieß es von den Behörden.
Im Süden der Niederlande setzten die Anrainer entlang der Maas am Samstag mit Sandsäcken und Schutzmaßnahmen den Kampf gegen das Hochwasser fort. Mit einem Absinken des Wassers wurde erst am Sonntag gerechnet, teilten die Behörden mit. In Venlo an der Grenze zu Deutschland war am Freitag ein Krankenhaus mit 200 Patienten vorsorglich evakuiert worden. In der Stadt und umliegenden Orten wurden Tausende Menschen zum Verlassen ihrer Wohnungen aufgerufen. Zwar richteten die Fluten erhebliche materielle Schäden an, Berichte über Verletzte gab es aber nicht.