Menschen überqueren am afghanisch-pakistanischen Grenzübergang bei Chaman die Grenze
Reuters/Abdul Khaliq Achakzai
Afghanistan

Nachbarländer in großer Unruhe

Iran, Turkmenistan, Usbekistan, Tadschikistan, Pakistan, aber auch China, Russland und die Türkei: Die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan hat die Länder in der Nachbarschaft in große Unruhe versetzt. Vor allem die steigende Zahl der Geflüchteten bereitet den Regierungen Sorge. Neben verstärktem Grenzschutz will man aber auch auf Dialog setzen – nicht zuletzt mit den Taliban selbst.

Der Iran richtete angesichts des Eroberungszugs der militant-islamistischen Taliban im Nachbarland Pufferzonen für Geflüchtete aus dem Krisenstaat ein. „Wir haben bereits vor zwei Monaten mit einer neuen Flüchtlingswelle aus Afghanistan gerechnet und daher schon damals mit der Einrichtung von provisorischen Pufferzonen an den drei Grenzübergängen begonnen“, sagte Hossein Kasem, Sprecher des Innenministeriums in Teheran, am Sonntag der staatlichen Nachrichtenagentur IRNA.

Die drei Pufferzonen an den Grenzübergängen im Nord- sowie Südosten des Landes sollen afghanischen Geflüchteten vorerst Schutz und Sicherheit bieten. „Sobald sich die aktuelle Situation wieder entspannt hat, können die Flüchtlinge dann von dort aus wieder in ihre Heimat zurückkehren“, so Kasemi.

Pakistan schließt wichtigen Grenzübergang

Für den Iran ist der erneute Flüchtlingsandrang aus Afghanistan nicht neu. Das Land hatte nach der sowjetischen Invasion in Afghanistan 1979 über drei Millionen afghanische Geflüchtete einreisen lassen. Wegen der Coronavirus-Pandemie und der schweren Wirtschaftskrise gilt es laut Beobachtern jedoch als eher unwahrscheinlich, dass Teheran das erneut erlaubt.

Der iranische Präsident Ebrahim Raisi appellierte am Montag an die Taliban, eine nationale Einigung anzustreben. Das sei es, was Afghanistan in erster Linie für Frieden und Stabilität brauche, sagte Raisi. Der Rückzug der USA sei eine Chance für alle politischen Gruppen, diese Einigung über interne Verhandlungen zu erreichen. „Als Nachbar und Bruder Afghanistans“ werde der Iran das afghanische Volk auf diesem Weg weiterhin unterstützen, so Raisi laut dem Webportal des Präsidialamts.

Indes schloss Pakistan am Sonntag einen wichtigen Grenzübergang zu seinem Nachbarland. Innenminister Sheikh Rashid verkündete die Schließung des Grenzübergangs Torkham im Nordwesten Pakistans am Sonntag, ohne einen Termin für die Wiedereröffnung zu nennen. Tausende Menschen säßen auf beiden Seiten der Grenze fest.

Menschen versuchen eine Mauer des Hamid-Karzai-International-Airport in Kabul zu erklimmen
Reuters
Menschen versuchen die Mauer zum Flughafen in Kabul zu überwinden – doch nicht in allen Nachbarländern dürften die Geflüchteten mit offenen Armen empfangen werden

Türkei will Kooperation mit Pakistan stärken

Rückendeckung erhält Pakistan dabei aus der Türkei. Angesichts der drohenden Fluchtbewegung kündigte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan eine verstärkte Zusammenarbeit mit Pakistan an. „Der Türkei droht eine wachsende Migrantenwelle von Afghanen, die über den Iran einwandern“, sagte Erdogan bei einem Treffen mit Pakistans Staatschef Arif Alvi am Sonntag in Istanbul. Ankara wolle sich für „Stabilität in der Region“ einsetzen und zu diesem Zweck die „Kooperation mit Pakistan stärken“.

„Wir sind entschlossen, alle zur Verfügung stehenden Mittel zu mobilisieren, um erfolgreich zu sein“, sagte Erdogan weiter. Wegen der erwarteten starken Zunahme von Geflüchteten aus Afghanistan hatte die türkische Regierung in den vergangenen Tagen bereits den Bau einer Grenzmauer zum Iran vorangetrieben. „Mit dieser Mauer werden wir die Ankunft von Migranten komplett stoppen“, betonte Erdogan am Sonntag. Zudem schlug er ein Treffen mit der Taliban-Führung vor.

Staatenbund fürchtet Auswirkungen auf Zentralasien

Auch Russland plant Gespräche mit den Taliban – in diesem Fall mit dem Taliban-Mitbegründer Mullah Abdul Ghani Baradar, sagte der Afghanistan-Beauftragte des russischen Außenministeriums, Samir Kabulow, am Sonntag im Staatsfernsehen.

Dennoch zeigt sich die von Russland angeführte Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (CSTO) sehr beunruhigt über die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan. Das werde sich enorm auf die Lage in Zentralasien auswirken, heißt es in einer CSTO-Stellungnahme.

Russland will Tadschikistan unterstützen

Die Organisation werde ihr Mitglied Tadschikistan, wo Russland seine größte Auslandsbasis hat, unterstützen, sollte vom benachbarten Afghanistan eine Gefahr ausgehen. Gegenwärtig gebe es dafür aber keinen Anlass. Die CSTO, der sechs Staaten angehören, plane gemeinsame Manöver an der Grenze zwischen Afghanistan und Tadschikistan.

Tadschikistan hat im Süden eine mehr als 1.300 Kilometer lange Grenze mit Afghanistan und bereitet sich bereits seit Längerem auf die Aufnahme einer großen Zahl von Geflüchteten aus Afghanistan vor.

Ein pakistanischer Soldat überprüft an der Grenze die Dokumente von afghanischen Bürgern
APA/AFP
Ein pakistanischer Soldat überprüft an der Grenze die Dokumente von afghanischen Bürgern und Bürgerinnen – doch auch hier sind längst nicht mehr alle Grenzen offen

Auch Usbekistan verstärkte Grenze

Unterdessen habe Russlands Präsident Wladimir Putin auch mit dem Präsidenten von Usbekistan, Schawkat Mirsijojew, ausführlich die Lage in dessen Nachbarland Afghanistan erörtert, so der Kreml am Sonntag in Moskau. Es sei vereinbart worden, dass sich die zuständigen Ministerien beider Länder noch enger austauschten. Details wurden nicht genannt.

Usbekistan in Zentralasien hatte zuvor mitgeteilt, dass 84 afghanische Soldaten am Samstag in die Ex-Sowjetrepublik geflohen seien und dort um Hilfe gebeten hätten. Die mehr als 130 Kilometer lange Grenze zu Afghanistan sei daraufhin verstärkt worden. Medienberichten zufolge sei zudem der afghanische Präsident Aschraf Ghani in die usbekische Hauptstadt Taschkent geflüchtet.

In den vergangenen Wochen waren bereits Hunderte Angehörige afghanischer Sicherheitsorgane aus Angst vor den Taliban nach Tadschikistan und Usbekistan geflohen. Russland ist daher besorgt, dass der Konflikt auf die benachbarten Ex-Sowjetrepubliken übergreifen könnte.

Flucht vor Taliban

Nach der Machtübernahme der radikalislamischen Taliban in Afghanistan versuchen viele Menschen das Land zu verlassen. Auf dem Flughafen der Hauptstadt Kabul herrscht Chaos.

China sucht Verständigung mit den Taliban

Auch China, das eine im Gegensatz zu Russland eine direkte Grenze (76 Kilometer) zu Afghanistan hat, ist in Sorge über Instabilität in seinem Nachbarland. Es befürchtet auch das Einsickern von Terroristen, die für eine Unabhängigkeit der muslimisch besiedelten Region Xinjiang im Westen Chinas kämpfen könnten.

China erklärte sich nach der Eroberung von Kabul allerdings zu „freundlichen Beziehungen“ mit den neuen Machthabern in Afghanistan bereit. Bereits im Juli hatte der chinesische Außenminister Wang Yi eine Delegation der Taliban empfangen.

Ein Grund für die Annäherung dürfte auch sein, dass China seine milliardenschweren Investitionen in Rohstoffe in dem Nachbarland absichern will. Nicht ohne Grund sagten die Taliban-Vertreter nach ihrem Treffen mit Außenminister Wang, sie hofften, dass China eine größere wirtschaftliche Rolle spielen könne.

Nachbarländer auch in Europa Thema

Indes rückten die Nachbarländer Afghanistans auch in Europa in den Fokus. „Afghanistan darf nicht zu einem sicherheitspolitischen schwarzen Loch werden. Die europäischen Bemühungen müssen auch die Nachbarländer Afghanistans und die Transitländer miteinbeziehen“, sagte etwa Außenminister Alexander Schallenberg laut Aussendung (ÖVP).

Und weiter: „Gemeinsam mit dem Innenminister will ich im Rahmen einer virtuellen Konferenz mit den zentralasiatischen Nachbarn Afghanistans einen ersten Schritt setzen. Parallel dazu sollte auch die EU-Kommission unverzüglich konkrete Gespräche mit diesen Staaten aufnehmen.“

Unterdessen betonte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Montag, wie wichtig es sei, die Nachbarländer Afghanistans sowie die gesamte Region zu unterstützen. „Wir sollten alles tun, um den Ländern dabei zu helfen, die Geflüchteten zu unterstützen“, so Merkel.