Treffen des UNO-Sicherheitsrats in New York City
Reuters/Andrew Kelly
Afghanistan

UNO fordert Ende aller Kämpfe

Einen Tag nach dem Vordringen der Taliban in Afghanistans Hauptstadt Kabul hat der UNO-Sicherheitsrat die sofortige Einstellung aller Kämpfe im Land gefordert. International sind die Beratungen voll angelaufen. Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel räumte am Montag ein, ihre Regierung und die westlichen Verbündeten hätten die Entwicklungen in Afghanistan „falsch eingeschätzt“.

Merkel zog ein kritisches Fazit des internationalen Militäreinsatzes in Afghanistan. Der fast 20 Jahre währende Einsatz sei „nicht so geglückt, wie wir uns das vorgenommen haben“, sagte Merkel am Montagabend. „Das ist eine Erkenntnis, die ist bitter“, fügte sich hinzu. Die Bündnispartner müssten sich eingestehen, „dass das keine erfolgreichen Bemühungen waren“, insbesondere was den Aufbau freiheitlicherer Strukturen angehe.

„Bitter, dramatisch und furchtbar ist diese Entwicklung insbesondere für die Menschen in Afghanistan“, sagte die Kanzlerin. Merkel dämpfte die Hoffnung auf die Aufnahme von Ortskräften, die in Afghanistan mit der deutschen Bundeswehr zusammenarbeiteten. Man werde alles tun, um diese Menschen in Sicherheit zu bringen, aber: „Das haben wir leider nicht mehr voll in der Hand.“ Ob die Evakuierungen ausgeführt werden können, hänge „von der Lage in Kabul ab“.

Neben den Ortskräften will Deutschland laut Merkel insgesamt 1.500 weitere Personen, die etwa bei Frauenrechtsorganisationen und NGOs tätig waren, in Sicherheit bringen. Eine größere Zahl an Flüchtlingen wird Deutschland aber nicht aufnehmen. „Unser Hauptziel ist, denen, die uns direkt geholfen haben, eine Perspektive zu bieten“, stellte Merkel klar. Andere müssten schauen, dass sie in der Region „eine sichere Bleibe finden“. Dafür werde Deutschland auch rasch Nachbarstaaten von Afghanistan Unterstützung anbieten, die Flüchtlinge von dort aufnehmen.

Deutsche Kanzlerin Merkel
APA/AFP/Odd Andersen
Eine größere Zahl an Flüchtlingen aus Afghanistan wird Deutschland laut Kanzlerin Merkel nicht aufnehmen

Frankreich will Mitglieder der Zivilgesellschaft aufnehmen

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kündigte an, bedrohte Mitglieder der afghanischen Zivilgesellschaft aufzunehmen. In Gefahr seien gegenwärtig „Verteidiger der Menschenrechte, Künstler, Journalisten“, so Macron in einer Fernsehansprache. „Wir werden sie willkommen heißen, denn es ist eine Ehre für Frankreich, an der Seite derjenigen zu stehen, die für die Freiheit kämpfen.“ Zudem warnte Macron, Afghanistan könne wie in der Vergangenheit ein Refugium für Terrorgruppen werden.

Der britische Premier Boris Johnson plant unterdessen die Einberufung eines virtuellen Treffens der sieben führenden Industriestaaten (G-7) zur Situation in Afghanistan. Bereits am Sonntag hatte der Premier eine gemeinsame Haltung des Westens gefordert, um zu verhindern, dass Afghanistan wieder zu einer „Brutstätte des Terrorismus“ werde. Auch vor einer einseitigen Anerkennung einer Taliban-Regierung warnte er.

Großbritanniens Außenminister Dominic Raab machte indes Sanktionen gegen ein von den Taliban regiertes Afghanistan vom Verhalten der Islamisten abhängig. Seine Regierung prüfe, welche Zusagen man mit Blick auf Flüchtlinge machen werde, sagte Raab. Aus der US-Regierung hieß es indes, die Taliban werden keinen Zugriff auf afghanische Vermögenswerte erhalten. „Zentralbankreserven der afghanischen Regierung, die in den USA liegen, werden den Taliban nicht zur Verfügung gestellt“, sagte ein Regierungsvertreter der Nachrichtenagentur AFP.

UNO: Menschenrechtsverletzungen verhindern

Der UNO-Sicherheitsrat rief in einer gemeinsamen Erklärung zur sofortigen Einstellung aller Kampfhandlungen auf. Durch Verhandlungen müsse eine neue „geeinte, inklusive, repräsentative“ Regierung gebildet werden, an der auch Frauen beteiligt sein müssten, hieß es. Zudem dürfe es nicht mehr zu Menschenrechtsverletzungen kommen. Alle Konfliktparteien müssten darüber hinaus sofort einen ungehinderten und sicheren humanitären Zugang ermöglichen.

EU berät über Krise in Afghanistan

Am Dienstag beraten die europäischen Außenministerinnen und Außenminister über die derzeitige Situation in Afghanistan.

Die Außenministerinnen und Außenminister der EU-Staaten werden am Dienstag zu einer virtuellen Konferenz zusammenkommen. Auch die NATO tagt. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) will indes beim Sonderrat der EU-Innenministerinnen und Innenminister Abschiebezentren um Afghanistan vorschlagen.

Russland: Lage stabilisiert sich

Russland sprach am Montag unterdessen von einer „Stabilisierung“ der Lage in Kabul. Die radikalislamischen Kämpfer hätten begonnen, „die öffentliche Ordnung wiederherzustellen“, erklärte das russische Außenministerium. Zudem hätten sie für die Sicherheit der örtlichen Zivilbevölkerung und der diplomatischen Vertretungen garantiert.

Nach Angaben seines Außenministeriums steht Russland bereits in direktem Kontakt mit „Vertretern der neuen Behörden“ in Kabul. Botschafter Dmitri Schirnow will sich am Dienstag mit dem Sicherheitskoordinator der Taliban treffen. Die Taliban hätten bereits mit der Bewachung der Botschaft begonnen, sagte er russischen Staatsmedien. Die russische Regierung will eine Anerkennung der neuen Machthaber von deren „Verhalten“ abhängig machen. China dagegen erklärte sich als erstes Land zu „freundlichen Beziehungen“ mit den Taliban bereit.

Außenansicht des Moskauer Kremls
Reuters/Maxim Shemetov
Moskau steht bereits in Kontakt mit den Islamisten

Eine Chance für einen „dauerhaften Frieden“ in Afghanistan sah auch der neue iranische Präsident Ebrahim Raisi. Der ultrakonservative Politiker sagte, die „Niederlage und der Rückzug der USA“ aus Afghanistan „sollten eine Gelegenheit schaffen, Leben, Sicherheit und dauerhaften Frieden in diesem Land wiederherzustellen“.

Die im Gazastreifen regierende radikalislamische Hamas gratulierte den Taliban zu ihrem „Sieg“ in Afghanistan. Er sei das „Ergebnis ihres langen Kampfes der vergangenen 20 Jahre“, erklärte die palästinensische Gruppe, die von den westlichen Ländern und Israel als Terrororganisation eingestuft wird.