Demonstranten vor dem Hauptquartier des Immobilienunternehmen „Evergrande“.
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Evergrande

Chinas Immobilienriese wankt bedenklich

In der chinesischen Stadt Shenzhen haben sich am Mittwoch den dritten Tag in Folge Demonstrantinnen und Demonstranten vor dem Firmensitz des hoch verschuldeten Immobilienriesen Evergrande versammelt. Sorge um ihr Geld treibt nicht nur sie um – Fachleute fürchten Auswirkungen auf das Bankensystem und den Immobilienmarkt der zweitgrößten Volkswirtschaft.

Evergrande ist der wohl am höchsten verschuldete Immobilienentwickler der Welt – auf 300 Milliarden Dollar (254 Mrd. Euro) summieren sich die Schulden des Konzerns Medienberichten zufolge. Schwierigkeiten mit Außenständen gab es schon vor der Pandemie, die Krise hat das Problem noch verschärft. Seit Jahresbeginn ist der Aktienwert des Konzerns um drei Viertel gefallen. Die Unternehmensanleihen werden teils nur noch mit einem Drittel des Nennwerts gehandelt.

Zuletzt warnte Evergrande wiederholt selbst, dass es zu Kreditausfällen kommen könnte, falls es nicht gelinge, die Bautätigkeit wieder zu starten, Geschäftsteile zu veräußern und Darlehen zu verlängern. Die Investorenflucht hat das nur beschleunigt. Die Ratingagenturen Fitch und Moody’s hatten die Bonität des Konzerns schon in der Vorwoche herabgestuft, am Mittwoch folgte S&P Global. An der Börse brachen die Aktien weiter ein, der Handel mit Anleihen wurde nach Kursabstürzen erneut angehalten.

Bild zeigt die Zentrale des Immobilienunternehmen „Evergrande“ in Hongkong.
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Die Lage des schuldenbeladenen chinesischen Immobilienkonzerns China Evergrande wird immer bedrohlicher

Zahlungsausfälle stehen bevor

Die chinesische Wohnbaubehörde warnte Banken am Mittwoch vor Zahlungsausfällen: Evergrande werde nicht in der Lage sein, die am 20. September fälligen Zinsen für Kredite zu bedienen, berichtete die Nachrichtenagentur Bloomberg. Das Unternehmen sei in dieser Woche in Gesprächen mit Finanzinstituten über ein Zinsmoratorium und eine mögliche Verlängerung von Darlehen.

Doch das Problem scheint nicht so einfach zu beheben: Das Immobiliengeschäft in der Volksrepublik läuft längst nicht mehr so rund wie vor einigen Jahren. Vergangene Woche erklärte die Nationale Institution für Finanzen und Entwicklung, eine prominente Pekinger Denkfabrik, dass der Boom auf dem Immobilienmarkt „Anzeichen eines Wendepunkts“ zeige, und verwies dabei auf die schwache Nachfrage und die rückläufigen Verkaufsdaten.

Evergrande hat die Preise für neue Wohnungen stark gesenkt, aber auch das hat keine neuen Käufer und Käuferinnen angelockt. Im August hat das Unternehmen ein Viertel weniger Wohnungen verkauft als vor einem Jahr.

Eine Mann auf einem Scooter vor einem Wohnkomplex des Immobilienunternehmen „Evergrande“ in Henan, China.
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Der Konzern ist in mehr als 280 chinesischen Städten präsent und eines der größten Privatunternehmen in der Volksrepublik

Hunderte Projekte stehen still

Das Unternehmen hat sogar damit begonnen, überfällige Rechnungen durch die Übergabe unfertiger Immobilien zu begleichen – und davon gibt es genug: Berichten zufolge hat Evergrande fast 800 Projekte in ganz China, die noch nicht fertiggestellt sind, und bis zu 1,2 Millionen Menschen, die immer noch darauf warten, in ihre neuen Wohnungen einzuziehen.

Auch spürt Evergrande die Bemühungen der Behörden, gegen Spekulationen vorzugehen und Luft aus der Immobilienblase zu nehmen. Mieten sollen nicht mehr so stark steigen. Aufsichtsbehörden gehen gegen ausufernde Kreditvergabe der Banken an Immobilienunternehmen vor, beschränken die Kreditaufnahme und legen Obergrenzen fest, auch um die wachsenden Risiken im Finanzsektor insgesamt einzudämmen.

Es ist Teil der Regulierungskampagne von Staats- und Parteichef Xi Jinping, der mächtige Tech-Konzerne, Onlinehandel und Finanzdienste, Gaming, Fahrdienste sowie die Unterhaltungs- und Bildungsindustrie an die Leine legt. „Chinas Führer kollidiert mit der wirtschaftlichen Realität“, beschrieb US-Investor George Soros in der „Financial Times“ das Problem. Das Vorgehen gegen private Unternehmen sei eine große Belastung für Chinas Wirtschaft, wobei Immobilien der „verletzlichste“ Sektor seien. Der Boom komme zum Ende. Die Probleme von Evergrande „könnten einen Crash auslösen“.

Ein Wohnkomplex des Immobilienunternehmen „Evergrande“ auf der Insel „Ocean Flower Island“ in Hainan, China.
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Die Pläne von Evergrande waren gigantisch – viele davon werden nie zur Umsetzung kommen

Das 1996 gegründete Unternehmen trug jahrelang zum Aufschwung Chinas bei, der nicht zuletzt auf dem Immobilienboom basierte. Drei Viertel des privaten Wohlstandes in China sind mit Immobilienbesitz verknüpft, schrieb die „New York Times“ („NYT“). „Dadurch wurde Evergrande zum Machtzentrum einer Wirtschaft, die sich für ein rasantes Wirtschaftswachstum auf den Immobilienmarkt stützte.“

Der milliardenschwere Gründer Xu Jiayin ist Mitglied der Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes, einer elitären Gruppe von politisch gut vernetzten Beratern. „Die Verbindungen von Xu gaben den Gläubigern wahrscheinlich mehr Vertrauen, Evergrande weiterhin Geld zu leihen, als das Unternehmen wuchs und in neue Geschäftsbereiche expandierte“, schrieb die „NYT“.

Xu Jiayin Präsident des Immobilienunternehmen „Evergrande“
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Am Höhepunkt des Booms galt Xu als der reichste Mann Asiens

Schweine und E-Autos

Denn der Immobiliengigant baut nicht nur Häuser, sondern kaufte 2010 mit dem Guangzhou FC auch den erfolgreichsten Fußballclub Chinas, investierte in andere Bereiche von Mineralwasser über Babymilch bis zu Schweinefarmen und Elektroautos. Sein Messestand auf der internationalen Autoshow im April in Schanghai gehörte zu den größten, obwohl das Unternehmen noch nicht einmal richtig angefangen hat, Autos zu bauen. Im ersten Halbjahr verbuchte die E-Auto-Sparte allein einen Verlust von 4,8 Mrd. Yuan (rund 631 Mio. Euro). Die Autofirma und ihre Marke Hengchi stehen nun zum Verkauf. Keiner will sie bisher haben.

Eigentlich gilt Evergrande als „too big to fail“, also zu groß, um zu scheitern. Würden die Schwierigkeiten des Konzerns nachhaltig den Immobilienmarkt erschüttern, würden nicht nur Banken, sondern auch Millionen Wohnungsbesitzer getroffen, die sich hoch verschuldet haben und bis vor Kurzem mit steigenden Preisen rechnen konnten.

Aber auch wenn die soziale Stabilität auf dem Spiel steht, ist eine staatliche Rettungsaktion fraglich. Die „NYT“ schrieb: „Die Behörden in Peking haben angedeutet, dass sie nicht mehr gewillt sind, ausländische und inländische Anleihegläubiger zu entschädigen. In einem etwaigen Konkursverfahren würden sie auf der Liste der Gläubiger, die etwas von den Vermögenswerten des Unternehmens erhalten, ganz unten stehen.