Alexander Litwinenko
picturedesk.com/Eyevine/David Levene
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte

Kreml verantwortlich für Litwinenko-Tod

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) macht Russland für den Tod des Regimekritikers Alexander Litwinenko 2006 in London verantwortlich. Das teilte der Gerichtshof am Dienstag mit. Kurz zuvor hatte die Regierung in Moskau noch über das Ergebnis der Wahl vom Wochenende gejubelt. Von der Wahl war die Opposition um den 2020 vergifteten und nun inhaftierten Kreml-Kritiker Alexej Nawalny ausgeschlossen gewesen.

Litwinenko wurde mit dem seltenen radioaktiven Stoff Polonium-210 vergiftet und starb einen langsamen Tod. „Russland war verantwortlich für die Ermordung von Alexander Litwinenko“, sagte das Gericht. Es gebe den starken Verdacht, dass die beiden Täter (Dmitri Kowtun und Andrej Lugowoi, Anm.) „als Agenten des russischen Staates gehandelt“ hätten, heißt es in einer am Dienstag in Straßburg veröffentlichten Erklärung des EGMR.

Die Beteiligung des Staates sei die „einzig plausible Erklärung“ für den Mord, erklärte der EMGR. Da sich Russland weigere, interne Ermittlungsdokumente zu teilen, die das Gegenteil zeigen könnten, werde die Ermordung Litwinenkos Russland zugerechnet. Das Gericht befand, dass die beiden Männer, die Litwinenko das Gift verabreichten, keinen persönlichen Grund hatten, ihn zu töten. In eigener Mission wären sie zudem nicht an das seltene Strahlengift gekommen. Die russischen Behörden hätten überdies keine effizienten Ermittlungen aufgenommen, um die Täter zu identifizieren.

Alexander Litwinenko im Spitalsbett
picturedesk.com/EPA/Litvinenko Family
Litwinenko in seinem Krankenbett in einer britischen Klinik

Russland kritisiert EGMR

Der EGMR verurteilte Russland zur Zahlung von 100.000 Euro an die Witwe des Ermordeten. Russland wies wie stets eine Verantwortung am Tod des früheren russischen Agenten zurück. Es lägen noch keine Ergebnisse der Untersuchung vor.

Daher seien die Aussagen des Gerichts unbegründet, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax zufolge. „Es ist unwahrscheinlich, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte über Befugnisse und technologische Fähigkeiten verfügt, um Informationen in dieser Angelegenheit zu erhalten“, so Peskow etwas kryptisch.

Kreml-Kritiker Nawalny
APA/AFP/Kirill Kudryavtsev
Der russische Oppositionelle Alexej Nawalny ist derzeit in einem Straflager

Auch Nawalny wurde vergiftet

Litwinenko starb im Alter von 43 Jahren und war ein Kritiker des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Vor seiner Vergiftung hatte er mit den russischen Geschäftsmännern und ehemaligen KGB-Agenten Kowtun und Lugowoi Tee getrunken. Sechs Jahre vor seinem Tod hatte sich Litwinenko nach Großbritannien abgesetzt. Eine Ermittlung britischer Sicherheitsbehörden ergab 2016, dass Putin eine Geheimdienstoperation zur Ermordung von Litwinenko wahrscheinlich genehmigt hatte.

Urteil mit Brisanz

Der EGMR mit Sitz im französischen Straßburg gehört zum Europarat. Gemeinsam setzen sich die von der Europäischen Union unabhängigen Organe für den Schutz der Menschenrechte in den 47 Mitgliedsstaaten, darunter auch Russland, ein. Die Urteile des Gerichtshofs sind bindend.

Das Urteil hat politische Brisanz: Im August wurde der Kreml-Kritiker Nawalny mutmaßlich von russischen Geheimdienstmitarbeitern ebenfalls vergiftet. Nawalny überlebte dank Behandlung in Deutschland. Nach seiner Rückkehr nach Russland wurde er verhaftet und nach einem heftig kritisierten Prozess verurteilt und schließlich in ein Straflager gebracht. Die Gruppe um Nawalny wurde zur jüngsten Duma-Wahl nicht zugelassen. Sein Team sprach nach dem Urnengang von schwerem Wahlbetrug.

Russlands Präsident Wladimir Putin
Reuters/Sputnik
Kreml-Chef Wladimir Putin wurde von Litwinenko und auch von Nawalny stark kritisiert

Kreml-Partei gewinnt Parlamentswahl

Die Kreml-Partei Geeintes Russland gewann trotz Verlusten die Parlamentswahl klar. Sie kam nach Auszählung aller Stimmzettel auf 49,8 Prozent, wie die Zentrale Wahlkommission am Dienstag in Moskau mitteilte. Die Kommunisten landeten bei 18,9 Prozent, die LDPR des Ultranationalisten Wladimir Schirinowski bei 7,5 Prozent und die Partei Gerechtes Russland bei 7,4 Prozent.

Knapp über der Fünfprozenthürde lag zudem die neue Partei Nowyje Ljudi (Neue Leute) mit 5,3 Prozent. Die Regierungspartei musste im Vergleich zur letzten Abstimmung vor fünf Jahren Verluste einstecken. Damals kam Geeintes Russland auf 54,20 Prozent der Stimmen. Die Kommunisten legten deutlich zu – sie waren vor fünf Jahren auf 13,35 Prozent gekommen.

Stimmungstest für Putin

Alle in der neuen Staatsduma vertretenen Parteien gelten als kremlnah. Für Putin galt die auf drei Tage angesetzte Abstimmung angesichts verbreiteter Unzufriedenheit als ein wichtiger Stimmungstest – auch mit Blick auf die Präsidentenwahl 2024. Die Wahlbeteiligung wurde mit 51,6 Prozent angegeben. Mehr als 110 Millionen Wahlberechtigte in Russland und im Ausland waren zur Stimmabgabe aufgerufen. Die Wahl ging am Sonntag zu Ende.

Giftanschläge als Instrument des Kreml

In Russland waren mutmaßliche Vergiftungen im politischen Milieu in der Vergangenheit immer wieder ein Thema. So verdächtigte etwa der Aktivist Pjotr Wersilow, Mitglied der russischen Polit-Punk-Gruppe Pussy Riot, den russischen Geheimdienst, ihn 2018 in Moskau vergiftet zu haben. Pussy Riot sind mit spektakulären Aktionen gegen Justizwillkür und Korruption weltweit bekannt geworden.

International für Schlagzeilen sorgte nach Litwinenko der Giftangriff auf den Ex-Doppelagenten Sergej Skripal und dessen Tochter Julia im März 2018 im englischen Salisbury. Sie sollen mit einem Nervengift der Nowitschok-Gruppe attackiert worden sein. Beide überlebten. Eine Frau, die später in der benachbarten Stadt Amesbury mit dem als Parfumflasche getarnten Giftbehälter in Kontakt kam, starb. Ein mit ihr befreundeter Mann und ein Polizist erlitten ebenfalls Vergiftungen – beide überlebten jedoch.

Weiterer Russe im Fall Skripal angeklagt

Großbritannien macht Russland für den Anschlag verantwortlich. Moskau hat eine Verantwortung stets zurückgewiesen. Just am Dienstag, kurz nach dem EMGR-Urteil, wurde dann in Großbritannien eine dritte Person in dem Fall angeklagt. Wie die Metropolitan Police mitteilte, handelt es sich um einen russischen Staatsbürger namens Denis Sergejew, der auch unter dem Aliasnamen Sergej Fedotow bekannt sei.

Die Anklage lautet unter anderem auf versuchten Mord sowie Besitz und Verwendung einer chemischen Waffe. Ein Auslieferungsersuchen an Russland werde aber mangels Hoffnung auf Erfolg nicht gestellt, so die Mitteilung weiter.

Die britischen Ermittler hatten bisher die beiden Russen Alexander Mischkin und Anatoli Tschepiga alias Alexander Petrow und Ruslan Boschirow als Tatverdächtige identifiziert, die später von Journalisten als Agenten des russischen Militärgeheimdiensts GRU entlarvt wurden. In einem Interview im russischen Fernsehen hatten die beiden zuvor beteuert, nur als Touristen nach Salisbury gereist zu sein, um die „wunderschöne Stadt“ und die „bekannte Kathedrale“ zu besuchen.