Positive Antigentests
Reuters/Hannibal Hanschke
Delta-Variante

„Panik bei Impfdurchbrüchen rausnehmen“

Zuletzt haben CoV-Infektionsfälle bei Geimpften für neue Impfdebatten gesorgt. Das sei zu erwarten gewesen, meinte die Virologin an der MedUni Wien, Monika Redlberger-Fritz: „Man muss die Panik bei den Impfdurchbrüchen rausnehmen. Die meisten Geimpften haben keinen.“ In den vergangenen Wochen ist der Anteil der Impfdurchbrüche aber merklich gestiegen.

Ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass die CoV-Impfung vor allem beim Schutz vor schweren Erkrankungen wirkt. Die meisten Geimpften, die trotzdem erkranken, haben leichte Symptome wie Husten, Schnupfen und leichtes Fieber – ähnlich denen eines grippalen Infekts. Einen Spitalsaufenthalt brauchen die wenigsten: 249 von 13.075 Betroffenen, die seit Anfang Februar trotz einer Impfung mit Symptomen an Covid-19 erkrankten. Das geht aus den Daten des Berichts der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) hervor (Stichtag 28. September).

Im jüngsten Bericht zu den Impfdurchbrüchen von dieser Woche gibt es aufgrund verzögerter Übermittlung der Informationen noch keine Daten über Krankenhausaufenthalte. Im aktuellsten Überblick zeigt sich, dass auf 1.000 vollständig Geimpfte drei Personen mit einem Impfdurchbruch kommen. Mehr als 5,4 Millionen Österreicher und Österreicherinnen über zwölf Jahren sind inzwischen vollständig geimpft. Nach AGES-Berechnungen liegt die Impfeffektivität für den Zeitraum zwischen Anfang Februar und Ende September bei mindestens 88 Prozent.

Impfschutz wird weniger

Doch wie unterschiedliche Studien zeigen, nimmt der Schutz der CoV-Impfung mit der Zeit ab. Das sieht der Klinische Pharmakologe Markus Zeitlinger auch als den wichtigsten Faktor für die zuletzt häufigeren Impfdurchbrüche. Zwischen Ende August und Ende September habe es mit 27 Prozent deutlich mehr Impfdurchbrüche gegeben. Aber auch für ihn ist das nicht überraschend: „Die Delta-Variante wird auch eine Rolle spielen. Sie ist aber schon länger die dominierende Variante – also eher nicht der Hauptfaktor.“ Von den Impfdurchbrüchen seien besonders Ältere betroffen, so Zeitlinger gegenüber ORF.at. Bei ihnen liege die Impfung häufig am längsten zurück, und sie haben tendenziell weniger Antikörper.

Er spricht sich daher für eine Booster-Impfung aus. In Israel habe man gesehen, dass es bei Personen mit der dritten Impfung nur mehr ein Zehntel der Impfdurchbrüche gebe. Seit Anfang der Woche gibt es auch die offizielle Empfehlung der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) für die Drittimpfung für über 18-Jährige.

Geimpfte ersparen sich häufig Quarantäne

Das Gesundheitsministerium sieht derzeit für Geimpfte, Genesene und Personen mit einem Nachweis über neutralisierende Antikörper vor, dass diese im Fall eines Kontakts mit einer infizierten Person als Kontaktperson 2 (K2) geführt werden und damit nicht automatisch in Quarantäne müssen. Begründet wird das mit „dem deutlich erniedrigten Risiko einer Infektion sowie Transmission im seltenen Fall einer Infektion“.

„Zurzeit ist hier keine Änderung angedacht“, hieß es gegenüber ORF.at. Es liege aber im Ermessen der zuständigen Gesundheitsbehörde, K2-Personen zusätzlich Verkehrsbeschränkungen zu unterziehen. Das heißt, es können auch Geimpften etwa Tätigkeiten mit viel Kontakten verboten werden.

Definition von Kontaktpersonen „ständiger Seiltanz“

Die Bundesländer gehen unterschiedlich mit diesen Vorgaben um. In Niederösterreich etwa ist nicht an eine Verschärfung der Kontaktpersonenregelung gedacht. In Oberösterreich und Kärnten verwies man gegenüber ORF.at auf den Bund. Dieser sei hier gefordert, eine österreichweit einheitliche Vorgehensweise zu definieren, hieß es aus Oberösterreich. Auch Kärnten „folgt den Regelungen des Bundes“. Es gebe zwar Einzelfallentscheidungen, aber in der Regel gelte die K2-Regel, dass diese im Kontaktfall „verkehrsbeschränkt“ seien, also Menschenmassen meiden sollen. Aber selbst wenn im Haushalt eine Person erkrankt ist, muss die geimpfte oder genesene Kontaktperson nicht in Quarantäne.

Wien differenziert hier stärker. Ist beispielsweise ein fünfjähriges Kind erkrankt, werden im selben Haushalt lebende Personen, auch wenn sie geimpft sind, tendenziell als K1-Person eingestuft und müssen in Quarantäne. Bei älteren Kindern, wo eine Selbstisolation eher möglich ist, könnte sich der Status für Geimpfte auf K2 ändern, erklärte der Sprecher des Wiener Gesundheitsstadtrats Peter Hacker (SPÖ), Mario Dujakovic, gegenüber ORF.at: „Entschieden wird von den Behörden im Einzelfall. Die Herabstufung auf K2 ist eine Kann-Bestimmung und kein Muss.“ Die Abwägung sei ein „ständiger Seiltanz“.

Erst vor Kurzem stellte die Ampelkommission einen Anstieg der Bildungscluster fest. Laut dem Tiroler Vertreter der Kommission würden derzeit viele der nur als K2 eingestuften Schüler und Schülerinnen erkranken.

Änderung der K2-Quarantäneregelung „heikel“

Eine Änderung der Kontaktpersonenregelung hält Redlberger-Fritz gegenüber ORF.at aber nicht für notwendig. Zeitlinger hingegen meinte, es sei „medizinisch vermutlich sinnvoll“, dass auch Geimpfte bei Kontakten zu CoV-Infizierten als K1 eingestuft werden, wenn die zweite Impfung mehr als sechs Monate zurückliegt. Allerdings sei eine Änderung der Kontaktpersonenregelung auch heikel, weil das natürlich ein starker Anreiz sei, sich impfen zu lassen, argumentierte Zeitlinger.

Für Redlberger-Fritz spielt auch die Frage der Übertragung des Virus durch Geimpfte eine Rolle: „Geimpfte haben vom epidemiologischen Standpunkt bei der Weiterverbreitung eine untergeordnete Rolle.“ Fraglich ist aber, ob sich das mit der Delta-Variante geändert hat. Derzeit laufen zahlreiche Studien zur Weitergabe des Coronavirus durch Geimpfte.

Expertin: Kaum Superspreader-Events durch Geimpfte

Eine aktuelle im Fachjournal „The Lancet“ veröffentlichte britische Studie (Preprint, also ohne Gutachten durch unabhängige Experten) zeigt auf Basis von Contact-Tracing-Daten, dass der Schutz vor einer Weitergabe des Coronavirus innerhalb von drei Monaten nach der zweiten Impfung nachlasse. Das sei bei einer zweifachen Impfung mit dem Impfstoff von Biontech und Pfizer stärker zu beobachten als bei einer vollständigen AstraZeneca-Impfung.

Laut den Experten scheiden bei der Delta-Variante Geimpfte wie Ungeimpfte mehr Virus aus als etwa bei der Alpha-Variante. „Aber nicht das gesamte Virenmaterial, das Geimpfte ausscheiden, ist infektiös“, betonte die Virologin Redlberger-Fritz. Superspreader-Events mit Geimpften seien sehr unwahrscheinlich.