Einzelporträt von Karl Kraus
ullstein – Wien Museum / Ullstein Bild / picturedesk.com
Inserate und Co.

Warum 2021 an Karl Kraus erinnert

Geld gegen Gefälligkeit. Dieser Vorwurf steht im Zuge der Inseratenpolitik rund um ÖVP-Chef Sebastian Kurz im Raum und bringt momentan nicht nur Vertreter der Politik in Erklärungsnöte. Dass durch das Inserieren Medien auf Linie gebracht werden sollen und andererseits selbst zu Akteuren werden, ist kein neuer Vorgang. Das Ausmaß dieser Praxis, aber auch das Volumen der Inseratenpolitik ist so groß wie nie. Historisch als warnendes Beispiel dienen kann jene Medienpolitik andauernder gegenseitiger Abhängigkeit, gegen die einst Karl Kraus mit der „Fackel“ aufgestanden ist.

„Das Kritikfeuer, unter dem Sebastian Kurz steht, ist beispiellos“, befand der Politologe Fritz Plasser am Sonntag in der ORF-Sendung „Im Zentrum“ und fügte hinzu: „Damit sage ich nicht, dass es unbegründet ist, aber in der Wirkung ist es beispiellos.“ Dass die Auswertung des gerade mal ersten Drittels der Nachrichten auf dem Handy von Thomas Schmid, damals Generalsekretär im Finanzministerium, derartige Erschütterungen in der Geschichte der Zweiten Republik nach sich zieht, liegt an der gelebten Medienpraxis in Österreich der letzten Jahre.

Presseförderung sinkt

Die Presseförderung wurde gemeinsam mit der Parteienförderung im Juli 1975 beschlossen. Sie ist systematisch gesunken, die Ausgaben für Inserate sind dagegen stark gestiegen. Die Regierung Kurz gab zuletzt fast dreieinhalbmal so viel Geld für Inserate aus wie das Kabinett Faymann – mehr dazu in news.ORF.at.

Fehlende Distanz zwischen Journalisten und Politik, ständige Nachfragen und Interventionen aus der Politik in Redaktionen und nicht zuletzt die Vergabe von Regierungsinseraten haben ein System auf die Spitze getrieben, das es in Österreich freilich schon länger gab. Und das schon seit Längerem mehr als problematisch und Teil von Ermittlungen gewesen ist. Selten aber, so machen es die Aufdeckungen im Moment deutlich, wurden die gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen Politik und Medien so intensiv bearbeitet wie im Umfeld von Sebastian Kurz.

Es gilt die Unschuldsvermutung, es gilt der Verweis auf den Umstand, dass vieles über Telefongespräche und eben nicht über SMS und WhatsApp-Nachrichten abgewickelt wurde. Es gilt aber auch der Blick auf eine Indizienkette, die alle, die in den letzten Jahren an Entscheidungsstellen in Nachrichtenmedien saßen, bestenfalls als eine Spitze des Eisbergs bezeichnen würden. Das beantwortet im Moment die Frage des Politologen nach der Heftigkeit der Erschütterung in der Tektonik des Landes. Das beantwortet auch das Staunen der Nachbarn in Deutschland, wo man eine Abhängigkeit von Medien von Inseraten der öffentlichen Hand so nicht kennt.

Grafik zu Regierungsausgaben für Medien
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: RTR/BMF

Erinnerungen an die Habsburger-Zeit

Für die Gegenwart liegen jedenfalls Vorwürfe im Raum, die an die Medienpolitik der späten Habsburgermonarchie erinnern. Damit steht eine Zeit im Fokus, die Historiker für die Zeit bis 1867 unter das Attribut „neoabsolutistisch“ setzen und damit auch die Steuerung des Landes von einem klaren Interessenszentrum beschreiben.

Zeitung: Neue Freie Presse: Tod Kronprinz Rudolf. Nr. 8777, 30. Jänner 1889. Wien
Austrian Archives / Imagno / picturedesk.com
Reibebaum nicht nur für Karl Kraus: „Die Neue Freie Presse“. Neben dem „Neuen Wiener Tagblatt“ eine der mächtigsten Instanzen im Land. Hier im Jänner 1889, als man den Tod von Kronprinz Rudolf vermeldete.

Die österreichischen Zeitungen seien „Werkzeuge, die daran arbeiten, die öffentliche Meinung in erster Linie nach den Wünschen der staatlichen Behörden zu formen und in zweiter Linie nach den Interessen der Finanz- und Wirtschaftsgesellschaften“. Das schrieb der Österreich-Korrespondent der „Times“ Henry Wickham Steed, der sich ab 1902 in Österreich aufgehalten hatte, zu seinem Abschied aus der Donaumetropole 1913. Zeitungen, so Stead, hätten sich in Wien auf dem schmalen Grat „zwischen amtlicher Lenkung und amtlicher Konfiszierung“ bewegt. Von einer „demoralisierenden Pressepolitik“ sprach der Politiker Joseph Maria Baernreither in seinen Erinnerungen.

Verleger Wickham Steed
Austrian Archives (S) / Imagno / picturedesk.com
Der spätere Verleger Henry Wickham Steed kam während seines Österreich-Aufenthalts zu keinem sehr schmeichelhaften Bild der Medienszene der Jahrhundertwende

Wechselseitige Zugeständnisse

Karl-Kraus-Biograf Edward Timms beschreibt die „Demoralisierung“ als Ausdruck andauernder gegenseitiger Abhängigkeiten mit weitreichenden Konsequenzen: „Opferte die Presse ihre Unabhängigkeit den Regierungsinteressen, so musste die Regierung ihrerseits Zugeständnisse an die Interessensgruppen machen, die die Presse kontrollierten.“ Ergebnis dieser Kollaboration, so Timms, sei „die Untergrabung der demokratischen Regierung, die Verfälschung der öffentlichen Meinung und ein weiterer Realitätsverlust im öffentlichen Leben Österreichs“ gewesen.

„Im Zentrum“: Zwischen Türkis und Schwarz – Wohin steuert die ÖVP?

Die Regierungsarbeit wird nach dem Rücktritt von Sebastian Kurz fortgesetzt. Nach der Kanzlerrochade befindet sich die ÖVP aber immer noch unter Druck. Was bedeuten die Korruptionsermittlungen für das Ansehen der Partei und die Zukunft von Sebastian Kurz als Parteichef und Klubobmann? Welcher Wertekatalog wird als Maßstab für die „Neue Volkspartei“ herangezogen? Wie wird sich Alexander Schallenberg als Bundeskanzler profilieren? War der Rücktritt von Sebastian Kurz alternativlos? Wie viel Macht hat der Parteiobmann und nunmehrige Klubobmann Kurz, und wie viel Gewicht haben die Meinungen der Landeshauptleute? Wird Türkis wieder Schwarz und aus der neuen Volkspartei wieder die alte?

Keine unbezahlte Zeile solle seine Zeitung enthalten, soll „Presse“-Gründer August Zang gesagt haben. Zeitungen hatten seit der Liberalisierung des Pressewesens im März 1848 besonders seit den 1860er Jahren einen großen Aufschwung genommen. Für Kunst und Literatur war die zunehmende „Reklamefunktion“ (so Klaus Zeyringer und Helmut Gollner) auch für Literatur und Kunst zentral. Doch ebenso alt ist der Kampf gegen die, wie es der Autor Ferdinand Kürnberger 1868 auf den Punkt brachte, „Phrasen-Prostitution“. Kürnberger stieß sich an den formelhaft verbreiteten Presselügen, die seiner Meinung nach die Wirklichkeit vernebelten. Und tatsächlich: Rezensionen beruhten damals auf Absprachen und dem Erbringen gegenseitiger Gefälligkeiten.

Seite aus der Fackel Nr. .66
fackel.oeaw.ac.at
„Fackel“, Nr. 66: Angeprangert wird das Verhältnis von Inseratenschaltung und Berichterstattung

„Ein gewisser systematischer Charakter von Korruption“

Manches, so hält es der Literaturwissenschaftler Karlheinz Rossbacher fest, verwies schon damals auf „einen gewissen systematischen Charakter von Korruption“. Der Aufstieg der Zeitungen sei begleitet gewesen von der zunehmenden Macht von „Zeitungspaschas“, die „versuchten, Künstler in ihren Kreis zu binden, und bei Verweigerung von ihren Rezensenten verreißen ließen“. Ein Schelm, wer hier auch an die Gegenwart dächte.

Karl Kraus, als etablierter Kritiker natürlich ebenso bedacht, sein Einflussfeld zu verteidigen (was man etwa an der Übergangszeit von der Monarchie zur Republik sieht), deckte gerade in der Frühzeit die Verflechtungen von prominenten Künstlern mit Medien auf, etwa wenn man an seine Auseinandersetzung mit Hermann Bahr in der Frühphase der „Fackel“ denkt.

Kraus selbst hatte es ja abgelehnt, die verwaiste Rolle des verstorbenen literarischen Zeitgenossen und raconteurs Daniel Spitzer in der „Neuen Freien Presse“ zu übernehmen. Bekanntlich schaffte er auf der Basis der Erbschaft seines Vaters die Etablierung seiner eigenen Ein-Personen-Zeitschrift „Die Fackel“, die bis zum Ende die Speerspitze im Kampf um das freie Wort sein wollte. „Die ‚Fackel‘“, so erinnert Timms, „wurde zum Ventil für die Unzufriedenheit von Informanten, die bis dahin keine Möglichkeit gehabt hatten, ihre Klagen zu äußern.“

Anwalt der öffentlichen Moral

Kraus wiederum habe sich in die Position des Anwalts der öffentlichen Moral gesetzt, „welcher Korruption, Unfähigkeit und kleinliche Willkür in jedem Bereich aufdeckte“. Dass es eine Nachfrage nach genau dieser Rolle gegeben hat, zeigt die wirtschaftliche Geschichte der „Fackel“. Neben der Anschubfinanzierung durch das Geld des Vaters blieb die „Fackel“, wie Timms schreibt, „vom Einfluss von Inserenten unabhängig, der anderswo Kritik unterdrückte“. Gerade im digitalen Zeitalter bleibt eine derartige ökonomische Positionierungsoption freilich bestenfalls ein ferner Traum.

Werbungen in der Wochenschrift „Die Zeit“
Screenshot ÖNB/ANNO
Werbeschaltungen in der Wochenschrift „Die Zeit“ im Jahr 1901

Die „Fackel“ grätscht ins Inseratengeschäft

Im Februar 1901, in der Fackel Nr. 66, tritt Kraus offensiv gegen die in der „Zeit“, der „Wiener Wochenschrift für Politik, Volkswirtschaft, Wissenschaft u. Kunst“ geübte Praxis von Kritik und Inseratenschaltung auf. Die „Fackel“, so hielt Kraus fest, habe das Geschäft zwischen Unternehmen, Inseraten und kritischer Berichterstattung und dem Schweigen der Zeitungen im entscheidenden Moment nachhaltig gestört.

„Ueber den pöbelhaften Ton, den die ‚Zeit‘ gegen mich anschlägt, vermag ich mich nicht allzusehr zu entsetzen“, schreibt Kraus auf Seite 18 der Nummer 66: „Nicht nur, weil man es schlechten Polemikern, deren stumpfer Witz nicht zu verwunden vermag, kaum verargen darf, dass sie zur Grobheit als der einzigen Waffe greifen, die sie zu handhaben wissen; sondern weil mir der Wuthausbruch in der Redaction der ‚Zeit‘ auch zu beweisen scheint, dass es mir endlich gelungen ist, die moralische Empfindlichkeit der Herren zu wecken und sie vielleicht auf den Weg der Besserung zu führen.“

Bücher zum Thema:

  • Karl Kraus: Schriften. Erste Abteilung. Suhrkamp
  • Edward Timms: Karl Kraus. Satiriker der Apokalypse. Suhrkamp
  • Jens Malte Fischer: Karl Kraus. Der Widersprecher. Zsolnay
  • Klaus Zeyringer, Helmut Gollner: Eine Literaturgeschichte. Österreich seit 1650. StudienVerlag

Kraus sollte sich seinen Optimismus der Besserung nicht erhalten können, sehr wohl aber den Drang zur Aufdeckung. Die Welt, sie würde sich nicht „mit der Schreibfeder ins Lot rücken“ (Timms) lassen. „Die ethische Stärke seiner Position lag in der völligen Unabhängigkeit der ‚Fackel‘“, so Timms. Allerdings: „Kraus’ ethischer Rigorismus ließ ihn Bündnisse ablehnen, die es ihm vielleicht ermöglicht hätten, seine Kampagne in eine wirksame Bewegung zur Reform der Gesellschaft zu integrieren.“

Aufdeckung des pontifikalen Gestus

Sein Ideal beschrieb Kraus selbst, als „Ideal eines voraussetzungslosen, die Dinge ohne Parteibrille betrachtenden Schriftstellers“ (F90, 17). Teil dieser Rolle ist die Aufdeckung der Missstände, die gerade unter einer liberalen Oberfläche blühten. „Der Offenbarungsglaube“, mit dem das Wiener Bürgertum die Äußerungen der „Neuen Freien Presse“ entgegengenommen habe, so Jens Malte Fischer in seiner Kraus-Biografie, „genährt durch den pontifikalen Gestus der blumigen Leitartikel“ von Chefredakteur Moritz Benedikt – dieses „vornehme kulturbeflissene Gehabe“ habe sich für Kraus zu einer „verhängnisvollen Melange“ entwickelt.

„Es war noch nicht lange her“, so Fischer, „dass ein Regierungmitglied öffentlich sagte, gegen die ‚Neue Freie Presse‘ sei in der Doppelmonarchie nicht zu regieren.“ Für bestimmte Phasen in der Geschichte der Zweiten Republik hätte man hier den Namen anderer Medien einsetzen können. Gewisse Tiefenstrukturen scheint sich Österreich in seiner Medienkonstitution erhalten zu haben.