Menschen an der polnisch-belarussischen Grenze
AP/BelTA/Leonid Shcheglov
Streit mit Belarus

Polen sieht Gefahr für gesamte EU

An der Grenze von Polen und Belarus bleibt die Lage angespannt. Der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki sieht die gesamte EU durch den Andrang Tausender Flüchtlinge an der belarussischen Grenze zu Polen in Gefahr. In Litauen – auch hier hat man Probleme mit Migranten und Migrantinnen aus Belarus, wurde per Mittwoch der Ausnahmezustand ausgerufen. In Belarus hingegen wies man die Vorwürfe, den Andrang von Geflüchteten an der Grenze gezielt herbeizuführen, zurück.

„Heute steht die Stabilität und Sicherheit der gesamten EU auf dem Spiel“, schrieb Morawiecki am Dienstag auf Twitter. „Die Abriegelung der polnischen Grenze ist unser nationales Interesse“, so Morawiecki. Doch dieser „hybride Angriff des Regimes von (Belarus’ Machthaber Alexander, Anm.) Lukaschenko“ – also der Einsatz von Angriffsmethoden bei gleichzeitiger Verschleierungstaktik – richte sich gegen die gesamte europäische Gemeinschaft. Polen werde sich nicht einschüchtern lassen und „den Frieden in Europa gemeinsam mit unseren Partnern aus NATO und EU verteidigen“. Die polnische Armee stationierte 12.000 Soldaten an der Grenze, wie es hieß.

Die EU-Kommission hat nach eigener Aussage Polen bereits mehrfach ermuntert, Hilfe anzunehmen. Die EU-Grenzschutzagentur Frontex, die Asylbehörde EASO und die Polizeibehörde Europol stünden bereit, bei der Registrierung von Geflüchteten, der Bearbeitung von Asylgesuchen und dem Kampf gegen Schmuggel zu helfen, hieß es am Montag. Polen müsse diese Hilfe jedoch anfordern. Zuvor hatte sich auch das US-Außenministerium „besorgt“ über die Lage an der polnisch-belarussischen Grenze gezeigt, das Verteidigungsbündnis NATO kündigte den betroffenen Bündnisstaaten Unterstützung an.

Polnischer Prmierminister Mateusz Morawiecki
Reuters/Pascal Rossignol
Der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki

Belarus: Säbelrasseln Richtung Polen

Die Regierung in Minsk wies derweil die Vorwürfe zurück, den Andrang von Geflüchteten an der Grenze gezielt herbeizuführen, und antwortete mit Säbelrasseln Richtung Polen. „Das belarussische Verteidigungsministerium hält die Anschuldigungen für unbegründet“, so die Regierung in Minsk am Dienstag. Das Außenministerium warnte Polen vor „illegalen kriegerischen Handlungen“ gegen die Flüchtenden. Innenminister Iwan Kubrakow fügte laut der staatlichen Agentur Belta hinzu, dass sich die Migranten „legal“ auf belarussischem Staatsgebiet aufhielten und „kein Gesetzesverstoß“ vorliege.

Menschen an der polnisch-belarussischen Grenze
AP/BelTA/Leonid Shcheglov
Menschen versuchen am Montag die polnisch-belarussische Grenze zu überqueren

Die Entsendung Tausender polnischer Soldaten an die Grenze hingegen sei eine „erhebliche militärische Aktivität“ und eine „Verletzung bilateraler Abkommen“, erklärte das belarussische Verteidigungsministerium weiter und kritisierte, nicht informiert worden zu sein. Polen wolle die Spannungen offenbar „absichtlich“ verschärfen und Belarus dafür verantwortlich machen.

Moskau sieht Schuld beim Westen

Russland gab unterdessen dem Westen die Schuld an der Situation. Die westlichen Staaten einschließlich der NATO- und EU-Mitglieder hätten über Jahre im Nahen Osten und in Nordafrika versucht, den Menschen ihr Leben aufzuzwingen, sagte der russische Außenminister Sergej Lawrow am Dienstag in Moskau. Russland hatte auch zuvor immer wieder beklagt, der Westen stifte in Staaten wie Afghanistan und dem Irak Chaos, weshalb die Menschen flüchteten.

Es sei wichtig, dass sich beide Seiten „verantwortungsbewusst“ verhielten, so auch Kreml-Sprecher Dmitri Peskow laut der Agentur Interfax. Für Belarus sei das der Fall. „Wir hoffen, dass das in keiner Weise eine Form annimmt, die eine Gefahr für unsere Sicherheit werden könnte“, sagte er.

Polen schließt Grenzübergang

Polen hat am Dienstag einen Grenzübergang geschlossen. Tausende Flüchtlinge harren an der Grenze aus. Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko soll mit den Migranten und Migrantinnen Druck auf die EU ausüben wollen. Diese spricht sich für schärfere Sanktionen gegen Belarus aus.

Lukaschenko beriet mit Putin

Lukaschenko beriet sich mit dem russischen Staatschef Wladimir Putin. Die Präsidenten hätten „ihre Meinungen zu der Situation mit den Flüchtlingen ausgetauscht“, teilte der Kreml am Dienstag mit. Lukaschenkos Büro erklärte, beide Staatschefs teilten „die besondere Besorgnis angesichts der Stationierung regulärer polnischer Truppen an der Grenze“.

Lukaschenko behauptet auch, es bestehe von NATO-Seite die Gefahr einer militärischen Invasion. Die NATO wies das zurück. Putin, der den als „letzten Diktator Europas“ kritisierten Lukaschenko unterstützt, hatte immer wieder zugesichert, im Fall eines Angriffs aus dem Westen militärischen Beistand zu leisten. Putin und Lukaschenko hatten erst in der vergangenen Woche eine engere Zusammenarbeit für ihren Unionsstaat beschlossen. Die EU erkennt Lukaschenko seit der umstrittenen Präsidentenwahl im vergangenen Jahr nicht mehr als Staatsoberhaupt an.

EU nimmt auch Russland ins Visier

Die EU geht einer möglichen Verwicklung Russlands in den Flüchtlingskonflikt mit Belarus nach. Brüssel habe Moskau wegen Flügen von Flüchtlingen nach Minsk „auf dem Radar“, sagte EU-Kommissionssprecher Peter Stano am Dienstag. In Presseberichten hatte es geheißen, auch die russische Fluglinie Aeroflot transportiere Flüchtlinge nach Belarus, die dann weiter an die EU-Außengrenzen gebracht würden.

Die EU-Kommission „untersucht Flüge von Russland und die mögliche Beteiligung Russlands im Allgemeinen“, sagte der Sprecher weiter. Lukaschenko warf er „Gangstermethoden“ vor. Die Fluggesellschaft Turkish Airlines dementierte indes Medienberichte, wonach die Fluggesellschaft gezielt Migranten von der Türkei aus nach Belarus bringe.

Polen: Flüchtlinge von belarussischer Seite blockiert

Polens Präsident Andrzej Duda erhob indes schwere Vorwürfe gegen Belarus. Die Menschen an der Grenze würden von belarussischer Seite blockiert, sodass sie das Gebiet nicht verlassen könnten, sagte das polnische Staatsoberhaupt am Dienstag. Das belarussische Regime greife die Grenze Polens und der EU auf bisher „beispiellose Weise“ an, indem es Migranten de facto ins Land einlade und an die polnisch-belarussische Grenze dränge, sagte Duda weiter.

Flüchtlinge an der Grenze zwischen Polen und Belarus, darüber ein Hubschrauber
Reuters/BelTA
Flüchtlinge an der Grenze von Polen und Belarus werden von einem Hubschrauber aus beobachtet

So seien Schutzsuchende von der Straße in den Wald geführt worden, damit sie die Grenze an einer Stelle ohne Grenzübergang angreifen könnten, sagte Duda, der sich dabei auf Videomaterial berief. Die Situation an der Grenze sei derzeit unter Kontrolle, so Duda. Laut seinen Worten waren ausreichend Grenzschützer, Soldaten und Polizisten dort.

Tausende Flüchtlinge mussten die Nacht bei Minusgraden in Zelten verbringen. Belarussische Staatsmedien veröffentlichten Fotos und Videos von Menschen, die sich um Lagerfeuer versammelten, und Kindern, die in Schlafsäcken auf dem Boden in dem Waldgebiet lagen.

Migranten wärmen sich an einem Lagerfeuer
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Flüchtlinge sitzen in Belarus teils seit Wochen in der Grenzregion zu Polen fest

Polen schließt Grenzübergang

Nach dem jüngsten Andrang von Flüchtlingen schloss Polen einen Grenzübergang zu Belarus. Am Dienstag um 7.00 Uhr sei der Grenzverkehr für Waren und Personen am Übergang Kuznica eingestellt worden, teilte der Grenzschutz über Twitter mit. Reisende wurden gebeten, auf die Grenzübergänge in Terespol und Bobrowniki auszuweichen – rund 230 bzw. 70 Kilometer von Kuznica entfernt. Am Montag hatten größere Gruppen von Geflüchteten in der Nähe von Kuznica vergeblich versucht, die EU-Außengrenze von belarussischer Seite aus zu durchbrechen.

Nach Erkenntnissen der polnischen Behörden halten sich gegenwärtig zwischen 3.000 und 4.000 Geflüchtete im belarussisch-polnischen Grenzgebiet auf – viele kommen aus Krisengebieten wie Afghanistan und dem Irak. Auf dem Staatsgebiet des autoritär regierten Nachbarlandes seien insgesamt sogar mehr als 10.000 Menschen, die die Grenze überqueren wollten.

Migranten stehen vor einem Maschendrahtzaun, dieser wird auf der anderen Seite von Sicherheitskräften bewacht
APA/AFP/Leonid Shcheglov
Polen hat die EU-Außengrenze zu Belarus über weite Strecken mit Stacheldraht abgesichert

Litauen verhängt Ausnahmezustand

Litauen verhängte am Dienstag den Ausnahmezustand in der Grenzregion. Das Parlament in Vilnius billigte eine entsprechende Entscheidung der Regierung. Der Ausnahmezustand gilt ab Mitternacht entlang der Grenze zu Belarus und fünf Kilometer landeinwärts. Dort treten Zugangsbeschränkungen und ein Verbot von Versammlungen in Kraft. Die Regelung erstreckt sich auch auf mehrere Migrantenunterkünfte, in denen damit das Recht von illegal eingereisten Menschen auf schriftliche oder telefonische Kommunikation eingeschränkt wird. In einigen Unterkünften kam es am Montag zu Unruhen – in einem Lager wurde Tränengas eingesetzt.

Menschen an der polnisch-belarussischen Grenze
Reuters/BelTA
Die Flüchtlinge sind auch mit Kindern unterwegs – teils müssen diese getragen werden

Die EU verschärft derweil die Sanktionen: Die Mitgliedsstaaten beschlossen, die Visavergabe an Verantwortliche deutlich zu erschweren, wie der slowenische Innenminister Ales Hojis am Dienstag in Brüssel mitteilte. Die Entscheidung sei „eine Antwort auf den anhaltenden hybriden Angriff durch das belarussische Regime“, betonte Hojis, dessen Land noch bis Jahresende den rotierenden Vorsitz der Mitgliedsstaaten innehat.

Belarussischer Präsident Alexander Lukashenko
Reuters/Shamil Zhumatov
Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko wird von der EU nach der letzten Wahl nicht mehr anerkannt

Linhart: Menschenrechtsverletzung und Erpressung

Außenminister Michael Linhart (ÖVP) bezeichnete in einer Aussendung am Dienstag das Vorgehen von Belarus, Menschen zu „importieren“ und an eine Grenze zu stellen, als „Menschenrechtsverletzung und Erpressung“. Österreichs volle Solidarität gelte Polen und Litauen als leidtragenden Staaten, sagte er. „Wir müssen als Europäische Union zusammenstehen und uns entschlossen zur Wehr setzen. Das wird auch gezielte Maßnahmen gegen die Verantwortlichen in Minsk beinhalten.“

Migranten stehen vor Zaun bewacht von Polizisten
AP/Leonid Shcheglov/BelTA
Die Lage der Flüchtlinge verschlechtert sich zusätzlich durch den nahenden Winter

Europa dürfe sich nicht von Lukaschenko mit „absichtlich herbeigeführten Migrantenströmen“ erpressen lassen, sagte am Dienstag auch Innenminister Karl Nehammer (ÖVP). „Die EU-Kommission muss Polen bei der Sicherung der EU-Außengrenze unterstützen und die nötigen Mittel für die Errichtung eines robusten Grenzzaunes bereitstellen“, sagte er. Hilfe bei der Registrierung von Migranten anzubieten sei hingegen das völlig falsche Signal, so Nehammer.

Auch NEOS kritisierte die derzeitige Situation. „Wir müssen gegenüber dem belarussischen Regime mit aller gebotenen Härte auftreten“, forderte NEOS-EU-Abgeordnete Clauda Gamon (NEOS). Gleichzeitig betonte sie, dass eine sofortige Lösung für die Menschen in den betroffenen Gebieten vonnöten sei.