Intensivstation 1c der Salzburger Landeskliniken
APA/Barbara Gindl
Appelle an Politik

„Wir müssen eine Notbremsung machen“

Angesichts der stetig schlechter werdenden Pandemielage haben am Mittwoch zahlreiche Fachleute Druck auf die Politik gemacht. Der Grundtenor: Es muss endlich rasch gegengesteuert werden. Gesundheitsökonom Thomas Czypionka forderte etwa in der ZIB2 eine „Notbremsung“, Virologe Andreas Bergthaler sprach von „Feuer am Dach“. Aus den Intensivstationen kamen eindringliche Mahnungen. Die nächsten Besprechungen zur CoV-Politik sind für Freitag angesetzt.

Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) und Kanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) werden dann an der Konferenz der Landeshauptleute in Tirol teilnehmen, man will dort zu den weiteren Schritten beraten. Die Politik hatte in den vergangenen Tagen auf offener Bühne ihre Uneinigkeit in der CoV-Politik präsentiert. Mückstein kündigte nun Mittwochabend nach internen Beratungen mit Fachleuten an, er werde diese neuesten Einschätzungen in die Besprechung einbringen.

Teile davon sind am Mittwoch bereits bekanntgeworden und stimmen wenig zuversichtlich. So kam etwa das Covid-19-Prognosekonsortium zehn Tage nach Einführung der 2-G-Regel zu dem Schluss, dass diese nicht ausreiche, um die Dynamik bei den Neuinfektionen ausreichend einzubremsen. Es müsse befürchtet werden, dass die intensivmedizinischen Kapazitäten für Covid-19-Patientinnen und -Patienten in naher Zukunft nicht mehr reichen – und zwar in sämtlichen Bundesländern.

Mehrere Bundesländer über 1.000er-Marke

Wenig Grund für Optimismus geben auch die harten Zahlen. Hier ist keine Trendumkehr in Sicht – im Gegenteil. Am Mittwoch wurden mit 14.416 Neuinfektionen und einer 7-Tage-Inzidenz von 971,5 (Stand: Mittwoch, 14.00 Uhr) neue Höchstwerte erreicht. Mehrere Bundesländer haben längst die 1.000er-Marke gesprengt. Dabei liegt Salzburg mit einem Wert von 1.672,5 an erster Stelle. Dahinter folgt Oberösterreich mit einer 7-Tage-Inzidenz von 1.557,5.

Auch in Tirol, Kärnten und Vorarlberg liegt die 7-Tage-Inzidenz über 1.000. Am niedrigsten ist sie weiterhin in Wien (524,3) und dem Burgenland (701,7). Das Burgenland hat die österreichweit höchste Impfquote, Wien führte schon verhältnismäßig früh strengere Regeln ein. Österreich liegt derzeit weltweit unter den drei Ländern mit den höchsten Inzidenzen.

„Einfach müde“

Diese Zahlen verursachen in den Spitälern große Sorgen. Dort kommt die Entwicklung meist mit etwa zehn Tagen Verzögerung an, wenn sich bei Erkrankten der Zustand verschlechtert. Dort bewegt sich das Personal schon jetzt an den Belastungsgrenzen. „Es macht mittlerweile einfach müde“, so etwa die diplomierte Pflegerin Susanna Neffe: „Es wird gefühlt jede Welle schlimmer.“

Spitäler schlagen Alarm

In Salzburg und Oberösterreich schlagen die Spitäler Alarm. Es drohe die völlige Überlastung.

Mit strikteren Maßnahmen wird daher in den Krankenhäusern gerechnet. „Es werden mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere Maßnahmen nötig sein, die werden unangenehm sein, aber wir werden sie alle miteinander tragen müssen“, so etwa der ärztliche Direktor am Ordensspital der Elisabethinen in Linz, Michael Girschikofsky – mehr dazu in ooe.ORF.at.

Ähnlich auch Rainer Thell, leitender Oberarzt der Notfallaufnahme in der Klinik Wien-Donaustadt. „Es geht sich sonst nicht mehr aus.“ „Wenn wir jetzt nicht solidarisch sind, wann dann?“ Die Welle der Infektionen werde sich sonst weiter fortsetzen. Jetzt könne Wien noch Patienten und Patientinnen aus Salzburg und Oberösterreich aufnehmen – wien.ORF.at.

15 Monate altes Mädchen auf Intensivstation

Von dort kamen am Mittwoch erschütternde Berichte – etwa über ein 15 Monate altes Mädchen mit einer CoV-Infektion. Das Kind liegt laut dem Leiter des Salzkammergut-Klinikums und Mitglied des oberösterreichischen Krisenstabs, Tilman Königswieser, mittlerweile im Linzer Kepler-Uniklinikum. Es sei noch „kritisch krank, aber nicht mehr an der Herz-Lungen-Maschine“, so Königswieser zur APA.

Königswieser warnte, dass viele Menschen die Lage nicht ernst genug nähmen, es werde „wahrscheinlich bald starke Maßnahmen benötigen“. Er warnte davor, dass eine weitere Auslastung Behandlungen von Unfallopfern behindern könne. Er rief zur Impfung auf. Auf der Intensivstation des Salzkammergut-Klinikums seien etwa viermal so viele Ungeimpfte auf Intensivstationen wie Geimpfte. Mit einer Impfung schütze man auch Kinder und Kranke.

Noch viele „Werkzeuge“ nicht eingesetzt

Czypionka vom Institut für Höhere Studien (IHS) warnte im Gespräch mit der ZIB2, dass man bei Untätigkeit eine Überforderung der Spitäler provoziere. Es drohen schwere Kollateralschäden. Er wies darauf hin, dass man noch einige Maßnahmen im Werkzeugkasten habe – etwa die Einführung von 2-G-Plus-Regeln (geimpft oder genesen plus PCR-getestet), die Ausweitung der Maskenpflicht, eine Vorverlegung der Sperrstunde oder eine Ausweitung der Schultests. Man müsse eine „Notbremsung machen, mit allen Maßnahmen, die uns zur Verfügung stehen“.

Diskussion mit Sigrid Pilz und Thomas Czypionka

Die Wiener Patientenanwältin Sigrid Pilz und der Gesundheitsökonom Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien sprechen über die aktuelle Lage an den heimischen Spitälern.

Dabei halte er einen „extremen“ Lockdown für ungünstig – davor gebe es viele Maßnahmen, die man einsetzen sollte. Ähnlich sieht das Komplexitätsforscher Peter Klimek – ein harter Lockdown lasse sich nur durch rasches Handeln vermeiden – mehr dazu in wien.ORF.at.

Ohne einen „kurzen, harten Lockdown, um die Zahlen massiv nach unten zu bringen“, werde es vermutlich nicht gehen, meinte hingegen der Mikrobiologe Michael Wagner. Der Virologe Andreas Bergthaler mahnte, es sei „Feuer am Dach“, es brauche nun eine weitreichende Kontaktreduktion – mehr dazu in wien.ORF.at.

Politik uneinig

An der Frage nach dem Lockdown bzw. umfassenderen Ausgangsbeschränkungen als jenen für Ungeimpfte hatte es sich zuletzt gespießt. Schallenberg und mehrere Landeshauptleute aus ÖVP-geführten Bundesländern hatten sich zuletzt deutlich gegen einen allgemeinen Lockdown und Maßnahmen für Ungeimpfte ausgesprochen. Tourismusministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) hatte diese Linie heute unterstrichen. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) schloss einen solchen hingegen nicht mehr aus – mehr dazu in wien.ORF.at.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen hatte sich indes von Fachleuten über die Lage informieren lassen. Er berichtete nach den Gesprächen, dass das Gesundheitspersonal „an seiner Belastungsgrenze“ sei – und man einhellig festgestellt habe, dass es „rasch effektive Maßnahmen braucht, um die drohende Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern“.

Mediziner und Pflegepersonal aus ganz Österreich hätten ihm die dramatische Situation in den Krankenhäusern und Intensivstationen geschildert, berichtete der Bundespräsident auf Twitter – und dankte dem Gesundheitspersonal, das „tagtäglich um das Leben der Erkrankten kämpft“.

SPÖ und NEOS richten Treffen aus

SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner und NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger luden unterdessen die Klubobleute aller Parlamentsfraktionen für Donnerstagnachmittag zu einem Austausch über die Situation ein. „Die Corona-Entwicklung ist besorgniserregend, und die Lage in Österreichs Intensivstationen mehr als angespannt“, sagten die Parteichefinnen in einer gemeinsamen Erklärung. Ziel des Austauschs sei die „breite Einbindung aller Parlamentsfraktionen am Höhepunkt der vierten Corona-Welle“.