Ein Mann mit Schutzmaske geht durch den menschenleeren Wiener Naschmarkt
APA/Helmut Fohringer
„Lügner“ und „zu spät“

Hitzige Reaktionen auf CoV-Maßnahmen

In Österreich stehen der vierte generelle Lockdown und die Impfpflicht vor der Tür. Die Opposition tobt nun aus verschiedenen Gründen, die Wirtschaft ruft nach neuen Hilfen. Für die Intensivmedizinerinnen und -mediziner ist es für eine Vollbremsung „höchste Zeit“.

Am Freitag haben sich Bundesregierung und Landeshauptleute doch noch auf einen gemeinsamen Weg geeinigt: Ab Montag gilt in ganz Österreich ein Lockdown für alle, im Februar 2022 tritt eine Impfpflicht in Kraft. Die Reaktionen reichen von Erleichterung bis Empörung. Einig sind sich viele jedoch in der Einschätzung des Vorgehens der Verantwortlichen in den vergangenen Tagen und Wochen.

Positiv reagierte am Freitag freilich die Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) auf die Verschärfungen. „Allerdings kommen sie spät. Die Rekordwerte bei den Infektionszahlen, die wir jetzt Tag für Tag erlebt haben, werden sich erst zeitverzögert auch an den Normal- und Intensivstationen widerspiegeln. Es ist wirklich höchste Zeit für eine Vollbremsung.“ , sagte ÖGARI-Präsident Walter Hasibeder in einer Aussendung.

Schallenberg verkündet neuen Lockdown

Nach der Konferenz von Ländern und Bund hat Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) den neuen – den vierten – Lockdown für Österreich verkündet.

„Schauen wir nach vorne“

Der Epidemiologe Gerald Gartlehner zeigte sich überzeugt, dass die vierte Welle gebrochen werden kann. Darüber hinaus müsse man aber wirklich umsetzen, was bei der Pressekonferenz angekündigt wurde, „nämlich alles zu tun, dass geimpft wird – sowohl der dritte Stich als auch die noch nicht erfolgten Erststiche. Sonst haben wir im Jänner oder Februar sicher wieder die nächste Welle“, sagte Gartlehner zur APA.

Das sei „die Maßnahme, die aus virologischer Sicht am wirksamsten ist“, sagte der Virologe Norbert Nowotny von der Veterinärmedizinischen Universität Wien am Freitag der APA. „In Oberösterreich und Salzburg hätte der Lockdown, wie ihn viele Expertinnen und Experten bereits seit zwei Wochen gefordert haben, durchaus früher erfolgen sollen“, sagte Nowotny. Bei der Impfpflicht sei abzuwarten, wie diese von der Bevölkerung angenommen werde.

Auch der Molekularbiologe Ulrich Elling begrüßte den Lockdown und die Impfpflicht. Dieser Doppelpack sei „ein echter und richtiger Befreiungsschlag raus aus dieser Pandemie“, twitterte Elling vom Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Auch wenn nun jeder Opfer bringen müsse. „Stehen wir zusammen, zerreden wir es nicht, wehren wir uns gegen die Gegner der Lösung, schauen wir nach vorne“, schrieb der Experte.

Eine „extrem teure Maßnahme“, und zwar bei Weitem nicht nur im wirtschaftlichen Sinn, sah der Simulationsforscher Niki Popper. Diese „wird und muss wirken, weil es ja eh schon die Ultima Ratio ist“, sagte er am Freitag zur APA. Dennoch müsse jetzt endlich die Impfquote steigen, Maßnahmen wirklich umgesetzt und PCR-Test-Ressourcen bundesweit geschaffen werden, um ohne weitere Verwerfungen durch den Winter zu kommen. Eine rekordverdächtig schnelle Wende sieht indes Politikberater Thomas Hofer, die Regierung habe versagt – mehr dazu in wien.ORF.at.

Arztpraxen bleiben offen

Die Ärztekammer betonte, dass sich Patientinnen und Patienten im Bedarfsfall nicht scheuen sollten, auch im Lockdown Arztpraxen aufzusuchen. „Denn in der aktuellen Krisenlage schlägt die Stunde der Hausärztinnen und Hausärzte. Ihre Ordinationen in Wien wie auch in ganz Österreich bleiben selbstverständlich auch im Lockdown geöffnet, und wir Ärztinnen und Ärzte stehen allen Menschen jederzeit mit Rat und Tat zur Seite“, so Ärztekammer-Präsident Thomas Szekeres und Johannes Steinhart, Obmann der Kurie niedergelassen Ärzte und Vizepräsident der Ärztekammer für Wien.

„Die wichtigsten Ziele sind jetzt Leben retten, das Gesundheitssystem mittelfristig für alle funktional halten, das gesellschaftliche Miteinander nicht gefährden und einer weiteren Polarisierung entgegenwirken", so Rotkreuz-Präsident Gerald Schöpfer. Er forderte einen Bonus von 500 Euro für Sanitäterinnen und Sanitäter.

Opposition empört

Die Opposition sparte nicht mit Kritik. Für SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner hätte der neue Lockdown verhindert werden können. „Die Regierung hat die Warnungen der Experten zu lange nicht ernst genommen“, so Rendi-Wagner. Die Impfpflicht sei ein „heikles Thema“, entscheidend sei aber, dass eine Situation wie derzeit damit künftig jedenfalls verhindert werde.

NEOS ortete ein „Totalversagen" der Bundesregierung.
„So schaden ÖVP und Grüne mit ihrer Unfähigkeit dem letzten Funken Vertrauen in die Politik, der Gesundheit – physisch wie psychisch – der Menschen, besonders der Kinder, sie schaden der Wirtschaft und dem Wohlstand in unserem Land“, sagte NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger.

Es seien nun jene frustriert, „die sich monatelang an alles gehalten haben, sich zwei- oder sogar schon dreimal impfen haben lassen“. Bestraft würden auch jene Bundesländer, die sich vorbereitet hätten. „All das hätte sich Österreich erspart, wenn im Sommer und Frühherbst entschlossen gehandelt worden wäre“, so Meinl-Reisinger.

Reaktionen auf Ankündigung einer Impfpflicht

Die Bundesregierung hat am Freitag eine generelle Impfpflicht angekündigt. Eine Maßnahme, die bisher als tabu galt. Was sagen die Menschen in Österreich zu einer Impfpflicht?

Die FPÖ sieht Österreich „mit heutigem Tag“ als „Diktatur“ an. Mit einer generellen Impfpflicht überschreite man eine „dunkelrote Linie“ und werfe „die Basis unserer Bundesverfassung über Bord“, so FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl, der aktuell selbst an Covid-19 erkrankt ist, in einer Aussendung. Kickl erinnerte die „Regierung der Lügner und Versager“ an eine Reihe von Versprechen der Vergangenheit und sah bereits eine Vorstufe zu einer 1-G-Regel.

Die FPÖ reichte auch über den Anwalt Christoph Völk die Individualbeschwerde gegen den Lockdown für Ungeimpfte (der am Freitag ja noch galt) beim Verfassungsgerichtshof ein. Dieser sei nur ergriffen worden, um den Impfdruck zu verstärken. Aber ein Lockdown dürfe laut Gesetz nur verhängt werden, wenn es zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung nötig ist, wurde argumentiert.

Wirtschaft für neue Hilfen

Dass neue Hilfen fließen werden, war am Freitag bereits klar: Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) und ÖVP-Arbeitsminister Martin Kocher stellten der Wirtschaft für die Lockdown-Zeit eine Fortführung in Aussicht. Die Wirtschaft sprach sich am Freitag auch unisono für neue Hilfsmaßnahmen für Unternehmen aus.

Der Handel habe sich bereits auf das Weihnachtsgeschäft vorbereitet, das nun wegbreche. Die Lager seien voll, die Geschäfte aber bald zu, so der Sprecher des Handels in der Wirtschaftskammer (WKO), Rainer Trefelik.

Auch Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbands, machte auf die „wirtschaftliche Notlage“ vor Weihnachten aufmerksam. Die schon gefallene Zusage neuer Hilfen begrüßte Will. „Diese Maßnahmen allein werden aber nicht reichen, um die krisengebeutelte Handelsbranche ohne massive Kollateralschäden durch den vierten bundesweiten Lockdown mit kolportierten Umsatzverlusten von 2,7 Milliarden Euro zu führen“, hieß es.

Tourismus hofft, „dass noch was zu retten ist“

Ins gleiche Horn stieß die Spitze der Wirtschaftskammer. „Rasch wirkende Wirtschaftshilfen sind jetzt alternativlos. Diese haben sich bereits bewährt und müssen erneut zum Einsatz gebracht werden“, so WKO-Präsident Harald Mahrer und -Generalsekretär Karlheinz Kopf. „Die Impfung ist weiterhin das wirksamste Instrument im Werkzeugkoffer der Pandemiebekämpfung. Die Wirtschaft begrüßt daher jede Maßnahme, die wirksam zur Erhöhung der Impfquote beiträgt.“

Österreichs Tourismus sah bereits einen großen Imageschaden durch den neuen Lockdown: Das völlige Ausufern der Krise werfe ein schlechtes Licht auf das Land, sagte Susanne Kraus-Winkler vom Fachverband Hotellerie in der WKO. Die Gäste seien nicht nur wegen der schönen Landschaft gekommen, sondern auch wegen des Gefühls der Sicherheit. „Wir hoffen, dass noch was zu retten ist.“ Die Kurzarbeit solle jedenfalls bereits ab dem ersten Tag eines Beschäftigungsverhältnisses möglich sein, denn man müsse die Mitarbeiter jetzt oder in den nächsten Wochen einstellen, damit die Hotels nach dem Lockdown überhaupt öffnen können, so Kraus-Winkler.

Sorge um Lieferketten

Für den Tourismus in Wien ist der neuerliche Lockdown eine Hiobsbotschaft, wie Wiens Tourismusdirektor Norbert Kettner im APA-Gespräch befand: „Der vermeidbare, aber jetzt unausweichliche Lockdown bringt Wien, Österreichs zweitwichtigstes Tourismusbundesland, in der Phase schrittweiser Erholung erneut in eine frustrierende Situation.“ Erholungstendenzen in der Branche seien nun „zunichtegemacht“.

Auch der Gastronomieobmann in der Wirtschaftskammer, Mario Pulker, reagierte frustriert. „Leider ist nun das eingetreten, was viele Experten bereits seit Langem prophezeit haben. Wir alle müssen nun den Preis für die Versäumnisse der letzten Monate zahlen“, so Pulker am Freitag. Die Gastronomie werde durch diese neuerliche „Vollbremsung kurz vor Weihnachten“ wieder einmal in ganz besonderer Weise getroffen.

Die Industrie bewertete den neuen Lockdown als „bedauerlich, aber notwendig“. Gleichzeitig müsse aber dafür Sorge getragen werden, dass es „zu keinen wirtschaftlichen Verwerfungen in einem Ausmaß kommt, das die gegenwärtige Erholung und den Rückgang der Arbeitslosigkeit nachhaltig beeinträchtigt“, so Georg Knill, Präsident der Industriellenvereinigung (IV). Vor allem Produktion und Lieferketten müssten aufrechterhalten werden.

Sozialpartner pochen auf Unterstützung

Auch die Gewerkschaft zeigte sich am Freitag alarmiert. Die Entscheidung zu einem Lockdown sei „zu akzeptieren“, so ÖGB-Präsident Wolfgang  Katzian. „Neben der Entlastung der Intensivstationen und der Reduktion der Infektionszahlen ist es aber von höchster Wichtigkeit, gerade jetzt nicht auf vom Lockdown besonders betroffene Gruppen zu vergessen.“

Sowohl ÖGB als auch Arbeiterkammer appellierten zudem an Unternehmen und Beschäftigte, die Möglichkeit der Kurzarbeit zu nutzen. Das Modell habe sich bereits bewährt. Dass Kurzarbeit weiter möglich sei, hatte Kocher bereits bestätigt. Zur konkreten Ausgestaltung gebe es in den kommenden Tagen Gespräche mit den Sozialpartnern.