Impfzentrum in Austria Center in Wien
Reuters/Lisi Niesner
Mit Februar

Tabu Impfpflicht ist gefallen

"Lange Zeit war es politischer Konsens, dass wir in diesem Land keine Impfpflicht wollen. Wir müssen aber der Realität ins Auge schauen.“ Mit diesen Worten kündigte Bundeskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) am Freitag einen Paradigmenwechsel an: Mit Februar 2022 wird die Impfpflicht Realität. Bei Verstößen dagegen drohen Verwaltungsstrafen.

So einhellig eine Impfpflicht bis vor wenigen Wochen noch abgelehnt wurde, so einig zeigten sich zuletzt Fachleute und politisch Verantwortliche, dass diese inzwischen das einzige probate Mittel sei, um sich für künftige CoV-Wellen zu rüsten. Schallenberg: „Die Impfquote nachhaltig zu erhöhen – ich glaube, da sind wir uns alle einig – ist unser einziger Weg, um aus diesem Teufelskreis von Viruswellen und Lockdown-Diskussionen endgültig rauszukommen. Wir wollen keine fünfte Welle, keine sechste und siebente.“

Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) sagte, man werde die Impfpflicht „in den nächsten Wochen gemeinsam mit den Sozialpartnern, mit der Zivilgesellschaft und den betroffenen Gruppen“ erarbeiten. Wichtig sei dabei ein „ordentliches Begutachtungsverfahren“. Verfassungsjuristinnen und -juristen hätten aber bereits wiederholt signalisiert, dass es in der derzeitigen Situation keine rechtlichen Bedenken dagegen gebe.

„Schwelle der Verhältnismäßigkeit erreicht“

Die Maßnahme könnte „rechtlich einwandfrei“ eingeführt werden, sagte etwa Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk gegenüber ORF.at. Voraussetzung sei, dass Fachleute plausibel darlegen würden, dass diese „wirksam und geeignet“ sei, die Pandemie zu bekämpfen, und dass es „keine gleichwertige Möglichkeit“ gebe. Am Donnerstag fügte er im Ö1-Mittagsjournal hinzu: „So wie die Entwicklung ist, kann man annehmen, dass nun die Schwelle der Verhältnismäßigkeit erreicht ist“.

Dass man auch dann nicht alle Bevölkerungsteile erreichen wird, spreche nicht gegen eine solche Maßnahme, sagte Medizinrechtsexperte Karl Stöger von der Universität Wien ebenfalls am Donnerstag im Mittagsjournal. Es gehe aber darum, dass ausreichend Menschen geimpft werden, um den Druck auf das Gesundheitssystem zu verringern. „Ich würde auch angesichts der jüngsten Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bei einer gut gemachten und begründeten Impfpflicht gute Chancen sehen, dass das vor dem Verfassungsgerichtshof hält“, sagte Stöger.

Änderungen auch bei „Grünem Pass“

Bei Verstößen gegen die Impfpflicht sind Verwaltungsstrafen geplant, Details stehen noch nicht fest. Für den Verfassungsexperten Peter Bußjäger von der Universität Innsbruck müssten Geldstrafen jedenfalls gemäß der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) verhältnismäßig sein. „Das dürften vielleicht ein paar hundert Euro sein.“

Auch er sieht rechtlich kaum Bedenken: „Man muss beachten, dass die Impfpflicht für die gegenwärtige Welle schon ziemlich spät kommt. Daher scheint es mir, als ob man sozusagen mit einer Impfpflicht bereits für eine kommende Welle Vorsorge trifft. Aber auch in diesem Fall scheint mir die Maßnahme verhältnismäßig“, sagte Bußjäger.

Im Zuge der geplanten Impfpflicht sind ab Februar 2022 auch Änderungen beim „Grünen Pass“ vorgesehen. Ab dann verliert dieser seine Gültigkeit für Zutritte in 2-G-Bereiche, sobald sieben Monate nach dem Zweitstich verstrichen sind (die derzeitige Frist beträgt neun Monate). Damit soll die Bevölkerung zur dritten Dosis motiviert werden.

Ab welchem Alter die Impfpflicht schlagend wird, ist noch nicht geklärt: Eine diesbezügliche Anfrage beantwortet das Gesundheitsministerium gegenüber ORF.at folgendermaßen: „Es handelt sich hierbei um den Startschuss für einen umfassenden Prozess, dem nicht vorgegriffen werden soll, und an dessen Ende Details zu Organisation, Kommunikation, Sanktionierung, Ausnahmen etc. stehen werden.“

Am heftigsten auf die neuen Maßnahmen – insbesondere die Impfpflicht – reagierte erwartungsgemäß die FPÖ. Der gerade selbst infizierte Parteichef Herbert Kickl wähnt sich endgültig in einer „Diktatur“. Er rief den Verfassungsgerichtshof (VfGH) auf, von selbst tätig zu werden. SPÖ-Obfrau Pamela Rendi-Wagner begrüßte die Maßnahmen, auch wenn diese durch rascheres Handeln hätten verhindert werden können. Für NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger ist der erneute komplette Lockdown in Österreich das Ergebnis eines Totalversagens der Bundesregierung.

Ärztekammer: „Es geht nur so“

Die Ärztekammer (ÖÄK) begrüßte dagegen den Plan und betonte, dass dieser nur mit einem klaren Schulterschluss umsetzbar sei. Er sei sehr froh, dass „sich die Landeshauptleute mit Vertretern der Bundesregierung dazu durchgerungen haben“, sagte Rudolf Schmitzberger, Leiter des ÖÄK-Impfreferats. „Es geht nur so, wenn sie das gemeinsam beschließen und gemeinsam tragen“, sagte der Mediziner.

Eine Grafik zeigt die Maßnahmen gegen Covid in europäischen Ländern
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: ourworldindata.org

International keine vergleichbaren Beispiele

Auch international dürfte der Schritt Österreichs viel Beachtung finden: Eine allgemeine CoV-Impfpflicht herrscht derzeit kaum wo – Ausnahmen sind der Vatikan sowie wenige asiatische Staaten. In einigen Ländern gibt es aber eine Impfpflicht für bestimmte Bevölkerungs- oder Berufsgruppen. In Italien etwa ist das gesamte medizinische Personal bereits seit dem 25. Mai zur Immunisierung verpflichtet.

Eine Grafik zeigt die Anzahl der CoV-Fälle nach europäischen Ländern
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: ourworldindata.org

Frankreich wiederum verlangte von allen Beschäftigten im Gesundheitswesen und in Pflegeheimen sowie von Haushaltshilfen und Technikern in der Notfallversorgung, dass sie bis zum 15. September mindestens ihre erste Impfung absolviert haben. Rund 3.000 Beschäftigte wurden suspendiert, weil sie der Aufforderung nicht nachgekommen waren.

Offen ist auch, ob nicht andere Länder nachziehen könnten. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sagte am Freitag: „Ich glaube, dass wir am Ende um eine allgemeine Impfpflicht nicht herumkommen werden. Sonst haben wir da eine Endlosschleife mit diesem Mist-Corona.“