Die Leere gilt als eine der größte Herausforderung in der Konsumgesellschaft der Gegenwart. Wenn plötzlich durch einen Lockdown Konsum nicht mehr funktioniert wie gewohnt, wirkt die Welt vielleicht nicht wie still gestellt; aber zumindest scheinen Gewohnheiten von einem auf den anderen Tag wie abgehackt. „Nothingtoseeness“, die „Nichtszusehenheit“ – mit dieser Wortschöpfung bezeichnete der Künstler John Cage jenen Bereich, in dem nichts passiert, sich nichts zuträgt und nichts zu sehen ist. „Ich habe nichts zu sagen, und ich sage es“, brachte Cage diese Herausforderung auf den Punkt, mit Kunst Leere zu schaffen und sie wie im Fall des Stücks „4 Minutes and 33 Seconds“ auch auszudrücken, und sei es, weil die Leere von einem Anfang und einem Ende gerahmt war.
„Void“, der leere Raum, ist im Englischen ein stehender Begriff. Gerade in der zeitgenössischen Kunst, aber auch in Gedenkräumen, man denke etwa an Daniel Libeskinds Zubau beim Jüdischen Museum in Berlin, ist der leere Raum zentrales Kompositionsstück, weil er tatsächlich einen Freiraum umreißt, in dem keine Bedeutungen mehr generiert werden müssen. Der Lockdown, er könnte ja für die Gesellschaft neben der Bekämpfung der Pandemie, wenn, dann einen kathartischen Sinn haben.
Eine Schau zur Neujustierung der Sinne
Das Sehen und Erleben wieder frei zu machen für die Neujustierung unserer Sinne hat sich jedenfalls die Berliner Akademie der Künste in ihrem Standort West in ihrem Landmarkbau von Werner Düttmann im Hansa-Viertel vorgenommen. Bis Mitte Dezember ist noch die Schau „Nothingtoseeness – Leere/Weiß/Stille“ zu sehen, die aus der Erfahrungen von Lockdowns geboren wurde, wie die Ausstellungsmacher betonen. Die Leere und das Nichts will man zum Gegenstand einer Schau machen und stellt damit ja quasi einen Widerspruch in sich aus. Tatsächlich geht es hier aber nicht um eine Provokation, sondern um die Konfrontation mit unseren Sehgewohnheiten.
Hinweis
Die Schau „Nothingtoseeness – Leere/Weiß/Stille“ ist in der Berliner Akademie der Bildenden Künste (West) noch bis 12. Dezember zu sehen.
Im konkreten Fall gehen die Gestalter in den White Cube, den nüchternen weißen Raum des Museums – und bespielen ihn mit weißen Exponaten und Kunstwerken, in dem die Farbe Weiß im Kontext der weißen Umgebung eine zentrale Rolle spielt. Man darf dabei selbst an die Zoten eines Otto Waalkes denken, der mit seiner Ostfriesenflagge, „weißer Adler auf weißem Grund“, ja in der Persiflage jeden Akt der Bedeutungssuche aufs Korn genommen hat. Und ganz so weit wäre Waalkes gar nicht entfernt von Yoko Onos Installation „Invisible White Flags“, die ebenso in der Schau zu sehen ist.
Das Anhäufen weißer Alben
„We Buy White Albums“ heißt eine Arbeit von Rutherford Chang, begonnen im Jahr 2013, die eine sich laufend erweiternde Sammlung weißer Albumcovers präsentiert und die sich wie eine Beschreibung aller Lockdown-Gefühle dieser Konsumgesellschaft lesen lässt.
Wenn wir vom Nichts umgeben, ja ins Nichts gestrandet sind, wirkt alles surreal. In der Arbeit „Shining“ des deutschen Konzeptkünstlers Stephan Huber, die erstmals im Wiener mumok zu sehen war, ist ein Haus in einem Eismeer im Stil Caspar David Friedrichs gestrandet. Die Installation (zugleich Aufmacherbild dieses Artikels) zeigt ein Modell des Familienhauses des Künstlers, das in einem Meer von Eisbergen gestrandet ist. Was als Reproduktionsbild überzeugend funktioniert, erweist sich am Ende als eine Installation aus Styropor, Lack und einem Modellhaus – und einer über weißen Tüchern abgehängten Welt.
Das Nichts, es ist, so könnte man diese Arbeit auch lesen, entscheidender Freiraum für die Welterzeugung, die ohne einen Raum der Leerstellen nicht auskommt. Gerade aus österreichischer Perspektive, wo für drei Wochen wieder einmal nichts geht, erscheint diese Ausstellung mit Ablaufdatum und über 70 Exponaten (von Künstlerinnen und Künstlern wie Yves Klein, Günther Uecker, Trisha Brown, Nam June Paik und vielen anderen) wie ein Auftrag, auch die Auseinandersetzung mit der Leere zu nutzen, bevor es retour in die Welt intensiver Taktung geht.