Ein LNG-Tankerschiff an einem Hafen
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Knapp und begehrt

Rekordpreise locken Gastanker nach Europa

Der Gaspreis in Europa ist im Verlauf eines Jahres extrem in die Höhe geschnellt – der heimische Gaspreisindex liegt etwa bei 515,1 Prozent. Die aktuellen Rekordpreise locken nun auch Flüssiggastanker nach Europa. Einige, die nach Asien unterwegs waren, ändern mitten während der Fahrt den Kurs und kehren teils sogar um.

Die längste Zeit haben heuer China, Japan und Südkorea europäische Länder bei Lieferungen von Flüssiggas überboten, um damit ihre Gaskraftwerke zu versorgen. Mittlerweile sind die Lager in diesen asiatischen Staaten aber voll, und Tanker, die von den USA kommend in Richtung Asien unterwegs sind, drehen nun um, um Kurs auf Europa zu nehmen.

Am Dienstag sprangen europäische Gaspreise um 23 Prozent auf den Rekordpreis von 182 Euro pro Megawattstunde. Zuvor war bekanntgeworden, dass Russland die Belieferung über die „Jamal-Europa“-Pipeline gestoppt hat.

Preisunterschiede so hoch wie nie zuvor

Die Preisunterschiede zwischen Europa und Asien in Sachen Flüssiggas waren laut „Financial Times“ noch nie so groß wie jetzt. Alex Froley, Experte des Beratungsunternehmens ICIS, sprach von „sehr seltenen Bewegungen“. Nicht nur, dass US-Gastanker, die auf dem Weg nach Asien bereits das Mittelmeer und den Sueskanal passiert hatten, jetzt umkehren und einen europäischen Hafen ansteuern; sondern erstmals seit mehr als zehn Jahren wird auch australisches Flüssiggas nach Europa geliefert.

„Minerva Chios“, ein US-amerikanischer LNG-Tanker, befand sich bereits nahe Indien, als er am 15. Dezember von der Reederei angewiesen wurde, umzudrehen und zum Sueskanal zurückzufahren. Ein weiterer US-Gastanker machte vergangene Woche in der Straße von Malakka kehrt, ein australischer Tanker wird am 24. Dezember seine verbliebene Teilladung in Barcelona abliefern.

„Lagerbestände ungewöhnlich niedrig“

Torbjörn Tornqvist vom LNG-Handelshaus Gunvor erwartet für Dezember bis zu 20 zusätzliche Gastanker und im Jänner eine ähnliche Anzahl. Europa brauche das zusätzliche Flüssiggas. Ohne es „könnte die Situation wirklich sehr ernst werden, je nach Wetterlage. Die Lagerbestände sind schon sehr niedrig und werden am Ende des Winters ungewöhnlich niedrig sein.“

Ähnlich dramatisch wie in Kontinentaleuropa ist die Lage in Großbritannien, das 40 Prozent der Elektrizität aus Gas gewinnt. Auch geheizt wird überwiegend mit Gas. Shell schickte sieben LNG-Tanker von Peru nach Großbritannien. Die Gaspreise stiegen seit Jahresbeginn um rund 650 Prozent – Preise, die mehrere Energieversorger in den Bankrott trieben.

Furcht vor Engpass im Winter

Die Furcht vor Angebotsengpässen treibt den Preis für Erdgas in Europa in immer lichtere Höhen und zieht den Strompreis mit. Gas wird zum Heizen genutzt, aber auch zur Stromerzeugung – der fossile Brennstoff hat somit auch Einfluss darauf, wie viel Strom kostet. Am Dienstag zog der Preis für eine Megawattstunde Strom zur Lieferung am darauffolgenden Tag um gut drei Prozent an und war mit 428 Euro so hoch wie noch nie.