Iranische Zentrifugen
Reuters/Iranische Präsidentschaft
Wien-Gespräche im Fokus

Fakten und Mythen zu iranischer „Atombombe“

Aktuell laufen in Wien wieder Gespräche zur Rettung des Atomabkommens mit dem Iran, aufgekündigt von den USA vor drei Jahren. Insbesondere Washington wirft dem Iran vor, an der Entwicklung von Kernwaffen zu arbeiten. Teheran weist das zurück, hat die nuklearen Kapazitäten aber zuletzt hochgefahren. Für die Verhandlungen stellt sich die wesentliche Frage: Wie weit wäre der Iran tatsächlich auf dem Weg zur Atombombe?

Nach inzwischen sieben Gesprächsrunden und einer feiertagsbedingten Pause über Weihnachten war zuletzt von einer konstruktiven Atmosphäre die Rede gewesen, viel hat sich aber offensichtlich noch nicht bewegt. Die Gespräche liefen mit Blick auf die Fortschritte, die der Iran mit seinem Nuklearprogramm mache, zu langsam, hieß es mehrfach – mit dem Vorwurf im Hinterkopf, dass die Islamische Republik tatsächlich unter dem Deckmantel einer friedlichen Nutzung der Kernenergie Waffen entwickeln könnte.

Das US-Außenpolitikmagazin „Foreign Policy“ widmete sich nun kürzlich in einer ausführlichen Analyse der Frage, wie lange der Iran in diesem Fall tatsächlich brauchen könnte, um eine Atombombe zu bauen, und was ihm dazu noch fehlt. Kernaussage: Die Islamische Republik könne heute in kürzerer Zeit mehr Uran anreichern als vor wenigen Jahren. Allerdings blieben noch viele technologische Hürden.

Noch einige technische Hürden

„Foreign Policy“ verwies einleitend auf die Warnungen der US-Regierung unter US-Präsident Joe Biden, dass der Iran kurz davor stehe, genug spaltbares Material für eine Atombombe herstellen zu können. Auch Frankreich sah in den Wiener Atomgesprächen zuletzt zunehmende „Dringlichkeit“.

Staellitenbild einer unterirdischen ANlage in Qom, Iran
AP/Planet Labs
Satellitenbild der Atomanlage Fordo südlich von Teheran

Allerdings: Angereichertes Uran allein mache noch kein funktionierendes Waffensystem, hieß es sinngemäß in der Analyse des US-Magazins. Dafür brauchte der Iran auch Sprengköpfe, ein Raketensystem, das diese tragen kann, und schließlich müssten Tests durchgeführt werden.

Atomabkommen durch USA aufgekündigt

Die Frage, wie lange der Iran brauchen könnte, diese Hürden zu überwinden, sei mit den aktuellen Gesprächen in Wien, bei denen es darum geht, das Atomabkommen mit Teheran (Joint Comprehensive Plan of Action, JCPOA) wiederzubeleben, dringlicher geworden, schrieb „Foreign Policy“.

Screenshot einer Videokonferenz zu neuen iranischen Zentrifugen
APA/AFP/Iranische Präsidentschaft
Verhandeln und Kapazitäten ausbauen

Dieses Abkommen war am 14. Juli 2015 von den fünf ständigen Mitgliedern des UNO-Sicherheitsrats (China, Frankreich, Russland, Großbritannien, USA) und Deutschland sowie der EU geschlossen worden. Mit 8. Mai 2018 kündigten die USA das Abkommen, in dem der Iran eine friedliche Nutzung der Kernenergie, überwacht von der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA), zusicherte, unter dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump einseitig auf und verschärften ihre Sanktionspolitik gegenüber Teheran. Seit Ende des Vorjahres wird wieder verhandelt.

Unterschiedliche Einschätzungen

Die USA sähen dabei aktuell „einige Fortschritte“, zitierte „Foreign Policy“ einen namentlich nicht genannten Teilnehmer der Gespräche, alles in allem gingen ihnen diese aber zu langsam, auf jeden Fall für Verhandlungen mit offenem Ergebnis. Washington könnte sie möglicherweise platzen lassen.

Archivbild der Anreicherungsanlage bei Isfahan, Iran
www.picturedesk.com/EPA
Anreicherungsanlage bei Isfahan auf einem Archivbild (2005)

Für die Einschätzung der USA stehe weitgehend die Frage im Mittelpunkt, wie lange der Iran brauchen würde, um eine erste Atombombe zu bauen. Unter den Einschränkungen des Atomabkommens von 2015 sei Washington davon ausgegangen, dass es zwölf Monate dauern würde, bis das Land genug waffenfähiges nukleares Material für eine Bombe produzieren kann. Heute liege die Schätzung bei etwa einem Monat. Der Grund seien technische Fortschritte, die es erlaubten, Uran „von weitaus höherer Qualität als unter dem ursprünglichen Nuklearabkommen“ anzureichern. Außerdem wurden die Kontrollen durch die IAEA eingeschränkt.

Kapazitäten hochgefahren

Unter dem JCPOA sei es dem Iran etwa erlaubt gewesen, 300 Kilogramm schwach angereichertes Uran (3,67 Prozent Uran-235) zu lagern und 5.000 Zentrifugen zur Anreicherung in der Atomanlage Natanz zu betreiben, rechnete das US-Außenpolitikmagazin vor. Das reicht zwar zur Stromerzeugung, aber keineswegs für Atomwaffen.

Seit dem Rückzug der USA aus dem Abkommen habe Teheran den Anreicherungsgrad des nuklearen Materials kontinuierlich gesteigert, 2019 auf fünf Prozent, im Jänner 2021 auf 20, im April des Vorjahres auf 60 Prozent. Von dort sei „es ein relativ kleiner Schritt“ bis zur Herstellung von waffenfähigem Material. Dafür braucht es laut unterschiedlichen Angaben einen Anreicherungsgrad von um die 85 Prozent.

Monate oder Jahre?

Laut Einschätzung des Gründers des Militärforschungsinstituts Institute for Science and International Security (ISIS), David Albright, gegenüber „Foreign Policy“ könnte der Iran, so er das wollte, in relativ kurzer Zeit genug spaltbares Material für eine Atombombe herstellen, in einigen Monaten für zwei weitere. Innerhalb von sechs Monaten hielte Albright, früher Atomwaffeninspektor bei der UNO, einen ersten Test für möglich. Bei Albright, dessen Institut sich für nukleare Abrüstung einsetzt, lässt das die Alarmglocken läuten. Immerhin sei die Urananreicherung eine der schwierigsten technischen Aufgaben bei der Entwicklung von Atomwaffen.

Ausstellung einer Shahab3-Rakete Tehran
APA/AFP
Der Iran baut jedenfalls sein ballistisches Raketenarsenal aus

Allerdings komme immer wieder auch das Gegenargument, nukleares Material allein mache noch lange kein atomares Waffenarsenal. Die Entwicklung von Waffensystemen brauche viel mehr Zeit, sagte gegenüber dem US-Magazin etwa Salih Shah vom European Leadership Network (ELN), einer Organisation, die sich ebenfalls für eine atomwaffenfreie Zukunft einsetzt. Der Fokus auf die Urananreicherung lasse komplett außer Acht, wie lange es dauere, eine funktionierende nukleare Waffe zu entwickeln.

Lehrbeispiel Irak und der Krieg

Ähnlich äußerte sich Michail Uljanow, russischer Atomverhandler in Wien, den „Foreign Policy“ aus einem Interview zitierte. Selbst wenn der Iran eine größere Menge spaltbaren Materials produziere – „was dann?“: Ohne Sprengköpfe könne das nicht eingesetzt werden „und die Iraner haben keine Sprengköpfe und werden die dafür relevanten Technologie lange nicht bekommen“. Andere Experten wie Daryl Kimbal, Direktor der Arms Control Association, einer weiteren US-Organisation, die sich für Rüstungskontrolle einsetzt, glaubt, dass der Iran Jahre von der Atombombe entfernt ist.

Wiederum anderen Experten, hieß es in der Analyse, mache etwas ganz anderes Sorgen. Sie fürchteten, dass, sollte der Iran einmal wirklich waffenfähiges Material besitzen, politisch Verantwortliche ihre Einschätzungen über das mutmaßliche Arsenal des Landes „im Dunkeln“ treffen könnten. Das könne in einen militärischen Konflikt münden. Diese Befürchtung lässt die eine oder andere Erinnerung an die irakischen Massenvernichtungswaffen als Kriegsgrund wach werden. Sie wurden nie gefunden.

„Immer noch Zeit für Diplomatie“

Die nächste Voraussetzung für den Einsatz von Nuklearwaffen sind Raketen, die sie tragen können. Die Islamische Republik verfügt tatsächlich über mehrere Typen ballistischer Mittelstreckenraketen, einige gebaut nach nordkoreanischem Vorbild mit Reichweiten von bis zu 1.900 Kilometer. Aber wiederum: Ballistische Raketen seien nicht dasselbe wie ballistische Raketen, die tatsächlich Atomsprengköpfe an ihr Ziel bringen können. Es sei völlig unklar, wie weit der Iran in diesem Punkt sei.

Wenn nun Gespräche in Wien laufen, herrsche eine gewisse Dringlichkeit, so Mark Fitzpatrick vom International Institute for Strategic Studies (IISS) in London. Wenn aber in den nächsten Wochen keine Einigung erzielt werde, heiße das nicht, dass man „zu Option B“ übergehen und zu militärischen Mitteln greifen würde. Es bliebe immer noch Zeit für Diplomatie.