Eine Frau surft auf ihrem Smartphone im Internet
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„Digitale Welt neu ordnen“

EU-Gesetz soll Internet saubermachen

Mitte der Woche stimmt das EU-Parlament in Straßburg über das Gesetz über digitale Dienste, den Digital Services Act (DSA), ab. Ein Gesetzesvorhaben, das die digitale Zukunft prägen könnte, hat es sich als Ziel doch vorgenommen, das Internet sauberzumachen. So sollen in Zukunft etwa illegale Inhalte leichter gelöscht, personalisierte Werbung einfacher geändert, manipulative Anzeigen verboten und auf wichtige Daten besser zugegriffen werden.

Der DSA ist Teil eines großen Digitalpakets, in dem auch das Gesetz über digitale Märkte (DMA) enthalten ist. Während beim DMA vor allem wettbewerbsrechtliche Aspekte im Mittelpunkt stehen, beschäftigt sich der DSA mit gesellschaftlichen Belangen. Die Grundsatzregel dabei: Alles, was offline verboten ist, soll auch online verboten sein.

Netzpolitik-Journalist Alexander Fanta spricht gegenüber ORF.at beim DSA von einem umfassenden Versuch der EU, die digitale Welt neu zu ordnen. „Klar im Fokus stehen die großen Plattformen und die Art, wie sie mit Inhalten umgehen. Auf dem Spiel stehen Fragen wie die Ausübung der freien Meinungsäußerung, der Umgang mit Hass im Netz und die Rechte von Nutzerinnen und Nutzern.“

Firmengebäude im Silicon Valley (US-Bundesstaat Kalifornien)
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Besondere Risiken, besondere Verpflichtungen – so das „Motto“ des neuen Gesetzes für Onlineplattformen, das sich vor allem an jene im Silicon Valley richtet

„Große Plattformen spielen nach ihren eigenen Regeln“

Seitens der EU heißt es: „Sehr große Onlineplattformen sollen aufgrund der besonderen Risiken, die sie bei der Verbreitung von illegalen und schädlichen Inhalten darstellen, besonderen Verpflichtungen unterliegen.“ Sie müssten mehr Verantwortung übernehmen und stärker zur Rechenschaft gezogen werden können.

Fanta zufolge würden Plattformen wie Facebook und YouTube noch „vielfach nach ihren eigenen Regeln“ spielen. Das betreffe etwa die Moderation von Inhalten und die Transparenz ihrer Algorithmen. Genau das soll mit dem Gesetz nun geändert werden.

Auch „Die Zeit“ schreibt, das Ziel des DSA sei „nichts Geringeres als ein besseres Internet“: indem Nutzerinnen und Nutzer vor allzu übergriffiger Datensammelei geschützt würden, es sinnvolle Mittel gegen Hass und Hetze gebe und alle die Freiheit hätten, selbst zu entscheiden, ob Nachrichten von einem Algorithmus sortiert werden sollten oder nicht.

Meta-CEO Mark Zuckerberg
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Was macht Facebook und warum? Zugang zu Daten großer Plattformen soll das Internet zu einem besseren Ort machen.

Änderung bei Tracking und personalisierter Werbung

Konkret bedeutet das etwa ein Verbot des Trackings von Minderjährigen zu Werbezwecken. Erwachsenen Nutzerinnen und Nutzern dürfte zwar weiterhin personalisierte Werbung angezeigt werden, doch auch hier soll es Einschränkungen geben.

So müsste der Adressat zumindest Informationen darüber erhalten, wie die Anzeige zustande gekommen sei sowie die Möglichkeit, gewisse Parameter selbst zu ändern. Für manche Fachleute greift das nicht weit genug. Persönliche Daten dürften kein Geschäftsmodell sein, so der Tenor der Kritiker und Kritikerinnen – Stichwort „Überwachungskapitalismus“.

Ein generelles Verbot soll es hingegen für „Dark Patterns“ geben. Nutzerinnen und Nutzer dürften in Zukunft also nicht mehr von irreführenden Designs zu Handlungen verleitet werden. Zum Beispiel eine Anmeldung zu einem bestimmten Dienst oder den Kauf eines Produkts, das sie eigentlich gar nicht wollten. Der Grundgedanke dahinter: Etwas abzulehnen müsse in Zukunft genauso einfach sein, wie einer Sache zuzustimmen.

Eine Frau blickt auf ein Tablet mit einer in Kacheln aufgeteilten Internetseite
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Personalisierte Werbung soll verboten werden – allerdings nur bei Minderjährigen

Selbst bestimmen, was angezeigt wird

Ähnlich wie auch beim Werbetracking soll Nutzerinnen und Nutzern ermöglicht werden, selbst zu bestimmen, was ihnen online auf den Startseiten der jeweiligen Plattformen angezeigt wird – sei es auf YouTube, Facebook oder Instagram. „Wenn solche Plattformen Inhalte empfehlen, werden die Nutzer in der Lage sein, die verwendeten Kriterien zu ändern und zu verlangen, dass sie keine personalisierten Empfehlungen erhalten“, wie auf der Website der EU-Kommission zu lesen ist.

Zudem müssten die Unternehmen transparenter darlegen, nach welchen Mechanismen die verwendeten Algorithmen funktionieren. Dadurch könnten Forschende „die Dynamiken auf Plattformen besser nachvollziehen und zum Beispiel besser verstehen, wie sich Menschen dort radikalisieren – und wie man dagegen vorgehen könnte“, so die „Zeit“.

Daten, nicht zuletzt eben für die Forschung, transparent zu machen ist wohl ganz generell eines der großen Ziele des DSA. So werden „sehr große Plattformen dazu verpflichtet, die von ihren Systemen ausgehenden Risiken zu bewerten und zu mindern, auch im Hinblick auf den Schutz der Grundrechte, der öffentlichen Interessen, der öffentlichen Gesundheit und der Sicherheit“, wie es seitens der EU heißt. Zudem seien die Unternehmen aufgefordert, ihre Bewertungen und Maßnahmen unabhängig prüfen zu lassen.

Screenshot der Youtube-Startseite
Screenshot www.youtube.com
Musik, Tiere oder Sport? Plattformen könnten ihre Algorithmen in Zukunft transparent machen müssen. Nutzer dürften dann selbst auswählen, was ihnen angezeigt wird.

Löschen, löschen, löschen rückgängig machen

Änderungen soll es auch geben, was das Löschen von Inhalten betrifft. So soll es einerseits möglich sein, Inhalte leichter zu melden, anderseits deren Löschung auch anzufechten. Dadurch gebe es erstmals ein Einspruchsrecht für Nutzerinnen und Nutzer gegen Moderationsentscheidungen. Das betreffe beispielsweise ungerechtfertigte Löschungen von Inhalten, so Fanta, der hier von einem „starken“ Punkt spricht.

„Beachtenswert ist auch, dass erstmals eine europaweite Möglichkeit für Löschanordnungen von Behörden an Plattformen bei illegalen Inhalten geschaffen wird.“ Offen sei aber noch, wie die Löschanordnungen genau ausgestaltet werden sollten, schließlich berühre der DSA hier „grundrechtlich heikle Abwägungen“, so Fanta.

Entscheidend sei die Frage, inwiefern der Prozess eine Kontrolle durch die unabhängige Justiz zulasse. „Problematisch wäre, wenn das neue EU-Gesetz dazu führt, die Rechtsdurchsetzung noch stärker in die Hand der Plattformen zu legen, als das bereits der Fall ist.“

Beispiel für „Dark Patterns“
ORF.at
Schöne neue Onlinewelt? Mit dem DSA können irreführende und manipulative Anzeigen wie diese verboten werden.

Potenzial für „weitreichende und positive Veränderung“

Die Strafen bei Nichteinhaltung der neuen Regelungen sind hoch und reichen von 20 Prozent des weltweiten Jahresumsatzes bis hin zur Aufspaltung und Zerschlagung von Plattformen. Nach der Abstimmung im Parlament kommt es, wie auch schon beim DMA, nun zu den Trilog-Verhandlungen. Diese sollen noch in der ersten Jahreshälfte abgeschlossen werden. Die EU hofft auf ein Inkrafttreten der verschärften Regeln Anfang 2023.

„Schafft die EU hier ein starkes Rahmenwerk, dann kann diese Regelung für die kommenden Jahre und Jahrzehnte prägend sein“, konstatiert Fanta. Auch dem DSA stellt er ein gutes Zeugnis aus, werfe er doch in den „entscheidenden Punkten die richtigen Fragen“ auf.

„Der Versuch, umfassend zu regulieren, hat das Potenzial für eine weitreichende und positive Veränderung in der Art, wie wir das Internet nutzen.“ Zusammengefasst bedeute das: Die Nutzung großer Plattform würde nicht nur berechenbarer werden, es gebe auch insgesamt mehr Transparenz und Mitsprache für den Einzelnen.

Milliarden für Lobbyarbeit

Wie sehr sich der DMA und der DSA tatsächlich auf die großen Digitalkonzerne auswirken könnte, muss sich erst zeigen. Wie aus Medienberichten, aber auch aus den Reden der EU-Abgeordneten und Hintergrundgesprächen mit Politikern hervorging, steht eines aber schon jetzt fest: Selten zuvor wurde so stark gegen Gesetzesvorschläge lobbyiert. Auch „Politico“ schreibt: Beide Vorhaben zusammen stünden im Begriff, die „am stärksten lobbyierten EU-Gesetze“ zu werden. Onlinekonzerne wie Facebook und Google hätten im Vorfeld Milliarden für Lobbyarbeit ausgegeben.