Atomkraftwerk Saporischschja
AP/Olexander Prokopenko
1.000 Kilometer von Österreich

Experten zur Gefahrenlage

Sechs Reaktoren der Baureihe WWER-1000/320 zählt das rund 1.000 Kilometer von Österreichs Grenze entfernte AKW Saporischschja im Südosten der Ukraine, in dem ein Trainingsgebäude bei Kämpfen zwischen ukrainischen und russischen Truppen in Brand geraten ist. Der Risikoforscher Nikolaus Müllner betont, dass die Anlage nicht mit Tschernobyl vergleichbar ist. Unmittelbare Gefahr für Österreich bestehe nicht.

„Das ist nicht der gleiche Reaktortyp, wie er in Temelin verwendet wird“, so der Wissenschaftler vom Institut für Sicherheits- und Risikowissenschaften der Universität für Bodenkultur (BOKU) Wien. Es handle sich um einen Druckwasserreaktor, der mit Systemen westlicher Bauart vergleichbar und in vielen Kraftwerken im Einsatz ist.

Der Reaktortyp sei jedenfalls „ganz anders als der Typ ‚Tschernobyl‘“, so Müllner. So hätten diese Systeme „eine Eindämmung um den Reaktor herum, um jegliche radioaktive Freisetzung zu stoppen. Im Gegensatz zu Fukushima haben diese WWER-Reaktoren getrennte Wasserkreisläufe, um den Reaktor zu kühlen und Dampf zu erzeugen“, so der Kernkraftexperte Tony Irwin von der Australian National University gegenüber dem deutschen Science Media Center (SMC).

Keine Vorsorge für Krieg

Ein Kampf um ein AKW sei deshalb so beunruhigend, weil die Kraftwerke nicht auf einen militärischen Konflikt ausgelegt sind. Bei der Risikoeinschätzung etwa hinsichtlich allerlei Naturgefahren werde eine lange Liste abgearbeitet – eine kriegerische Auseinandersetzung sei nicht darunter, so Müllner.

Fünf der sechs Blöcke fahren derzeit herunter

„Bleibt das Kraftwerk intakt, hat es Sicherheitssysteme, die auch automatisch anspringen und agieren.“ Einige Zeit könne die Anlage also auch ohne die Interventionen von Operateuren auch mit etwaigen Unfallfolgen umgehen. Ein solcher dürfte nicht eingetreten sein, da laut Berichten bisher nur Nebengebäude beschossen wurden.

Sollte das Werk vom Netz getrennt werden, würde das AKW jedenfalls automatisch heruntergefahren. Das ist laut Angaben der Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) bei fünf der sechs Blöcke auch bereits passiert. Der Atomexperte der Umweltschutzorganisation Greenpeace, Heinz Smital, geht in einem Tweet davon aus, dass nur noch Block 4 läuft. Die Gefahr einer Kernschmelze bestehe nicht unmittelbar.

„Tschernobyl hatte einen Graphitkern, brachte Radioaktivität in große Höhen und weite Verteilung bis Europa, das ist hier nicht der Fall.“ Die Situation sei aber trotzdem kritisch, berichtet die dpa.

Sicherheitssystem dürfen nicht beschädigt werden

Laut Müllner übernehmen in Saporischschja nun vermutlich die Notstromaggregate die Nachkühlung der Reaktoren. Müllner: „Dass läuft alles bis zu einem gewissen Grad automatisch. Dazu müssen aber die Sicherheitssysteme weitgehend funktionsfähig bleiben. Es darf bei einem Reaktor nicht passieren, dass diese Systeme bei Kämpfen beschädigt werden und nicht zur Verfügung stehen.“ Verliert man den Netzanschluss und den Notstrom, „habe ich eine Situation wie in Fukushima“.

Müllner: Betriebsmannschaft wird wohl bleiben

Für den weiteren Betrieb der Anlage brauche es rund 30 speziell ausgebildete Mitarbeiter, schätzt Müllner. Er geht davon aus, dass die Betriebsmannschaft nach der Übernahme dort bleiben wird. Dass hier ein komplett neues Team aus Russland herangeführt wird, glaubt Müllner nicht. Jedes Kraftwerk habe auch „seine Eigenheiten“, daher könne man die Operateure nicht so einfach austauschen.

Würde der Fall eintreten, dass dort Radioaktivität austritt, müsste man es schon mit einem „unwahrscheinlichen“ großen Unfall zu tun haben, dass in Österreich gesundheitsschädliche Auswirkungen zu befürchten sind. Wird Strahlung freigesetzt, könne man es mit den hierzulande „extrem feinen“ Messgeräten detektieren, „auch wenn wir noch weit weg von einer gesundheitlichen Gefährdung sind“. Käme das Kraftwerk aber selbst unter Beschuss, und der Kern der Anlage würde gezielt vernichtet, könnte es natürlich auch zu größeren Freisetzungen kommen.

Eines von vier AKWs im Land

Bei einem Ausfall des Kraftwerks wäre das vor allem für die Energieversorgung der Ukraine ein großes Problem, so Müllner: „Für das europäische Netz spielt es eher eine untergeordnete Rolle.“ Mit einer elektrischen Leistung von sechsmal fast 1.000 Megawatt bestehe die Gefahr, dass etwa die Industrie in der Ukraine heruntergefahren werden muss. Man dürfe aber nicht vergessen, dass das Land noch über drei weitere AKWs verfügt.

Prinzipiell sind Kernkraftwerke in Kriegsgebieten ein großes Problem, weil sie verletzbare wichtige Objekte sind. In einem solchen Fall könnten auch die IAEA und die internationale Gemeinschaft nicht viel mehr tun, als zu appellieren, solche Kraftwerke nicht zu beschädigen, sagte Müllner: „Nach den Berichten bis jetzt ist zum Glück nichts unmittelbar passiert.“