Frachtcontainer im Hafen von Odessa
Reuters/Valentyn Ogirenko
Ukraine-Krieg

Erneute Belastungsprobe für den Seehandel

Der Krieg in der Ukraine findet nicht nur an Land, sondern auch auf hoher See statt – und stellt damit auch eine Bedrohung für globale Lieferketten dar. Auf wichtigen Handelsrouten im Schwarzen Meer laufen Schiffe ständig Gefahr, zur Zielscheibe zu werden, weshalb Reeder die Region meiden. Als Folge werden vor allem Engpässe in der Getreideversorgung befürchtet.

Am ersten Tag der Invasion stellte die Ukraine den Betrieb in allen Häfen ein und leitete Frachtschiffe zu Häfen in der Türkei, Rumänien und Georgien um. Die russische Marine blockierte die Transitrouten entlang der Küste, der Schiffsverkehr kam daraufhin zum Stillstand.

Wegen der Pandemie hatte der internationale Handel bereits zwei Jahre lang mit Ausfällen zu kämpfen, doch der russische Angriff auf die Ukraine sorgt einmal mehr für Probleme in den Lieferketten und der damit verbundenen Logistik. 90 Prozent der globalen Gütertransporte werden per Schiff abgewickelt – diese stehen jedoch aktuell vor neuen Herausforderungen, da wichtige Exportrouten nicht mehr sicher befahren werden können.

Schwarzes Meer besonders betroffen

Am stärksten ist der Schiffsverkehr im Schwarzen Meer und im angrenzenden Asowschen Meer betroffen, da Handelsschiffe dort bereits beschossen und festgehalten wurden. Nach Angaben von Lloyd’s List Intelligence wurden bereits mehr als 200 Schiffe in der Straße von Ketsch angehalten, die die beiden Meere miteinander verbindet.

Es würden sich bereits 62 Prozent weniger Schüttgutfrachter im Schwarzen Meer befinden als vor Beginn des Krieges, berichtete Mark Nugent vom Londoner Makler Braemar ACM Shipbroking vergangene Woche. 22 dieser Schiffe seien leer ausgelaufen, da sie nicht in der Lage gewesen seien, Fracht zu laden, so das Portal Marketscreener. Die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) der UNO kündigte am Wochenende an, sie wolle versuchen, mit den Anrainerstaaten des Schwarzen Meeres einen sicheren Korridor für Handelsschiffe zu verhandeln.

Straße von Kertsch zwischen Asowschem und Schwarzem Meer

Am ersten Tag der Invasion wurde die „Yasa Jupiter“, ein türkischer Massengutfrachter, der Rohstoffe transportierte, vor der Küste der Hafenstadt Odessa von einer Bombe getroffen. Am folgenden Tag fing der Tanker „Millennial Spirit“, der unter moldawischer Flagge fuhr und 600 Tonnen Öl und Diesel geladen hatte, Feuer, nachdem er von einer Rakete getroffen worden war. Zwei der Besatzungsmitglieder wurden dabei schwer verletzt. Auch der japanische Getreidemassengutfrachter „Namura Queen“ wurde von einer Rakete getroffen.

Weil sich immer weniger Schiffe im Schwarzen Meer in Gefahr begeben wollen, sind die täglichen Frachtraten für Tankschiffe auf den höchsten Stand seit zwei Jahren gestiegen, berichteten Reedereien und Versicherer. So sind die Tagesraten jener Aframax-Tanker, die für den regionalen Ölhandel im Schwarzen Meer, in der Ostsee und im Mittelmeer zuständig sind, von 11.000 Dollar (rund 9.900 Euro) auf 68.000 US-Dollar gestiegen. Die Tagesraten mittelgroßer Suezmax-Tanker kosten inzwischen statt 4.000 rund 41.000 Dollar.

Brennendes Schiff „Millennial Spirit“ im Schwarzen Meer
AP/Planet Labs PBC
Das Frachtschiff „Millenial Spirit“, das unter moldawischer Flagge fuhr, wurde im Schwarzen Meer von einer Rakete getroffen

Belastungsprobe für Getreideversorgungsketten

Das Schwarze Meer gilt als eine der wichtigsten Handelsrouten für Lebensmittel und Öl weltweit. Für die globalen Versorgungsketten für Getreide stellt das nach pandemiebedingten Ausfällen eine weitere Belastungsprobe dar. Gerade ärmere Länder, die auf Importe angewiesen sind, könnten Versorgungsengpässe erleiden. In Ägypten, der Türkei und Syrien würden sich die Behörden bereits auf einen Preisanstieg vorbereiten, berichtete das „Wall Street Journal“.

2021 war die Ukraine weltweit Ausfuhrland Nummer eins für Sonnenblumenöl, dicht gefolgt von Russland auf Platz zwei. Die Ukraine gilt zudem als Kornkammer Europas: Auf sie entfallen 16 Prozent der weltweiten Maisausfuhren und zusammen mit Russland 30 Prozent der Weizenexporte. Die weltweiten Weizenpreise sind seit der Woche vor der Invasion bereits um mehr als die Hälfte gestiegen.

„Dieser Schock für die weltweite Getreideversorgung ist der größte Versorgungsschock seit den OPEC-Ölkürzungen (Organisation erdölexportierender Länder, Anm.) in den 1970er Jahren“, sagte Salvatore Mercogliano, Professor an der Campbell University in North Carolina und ehemaliger Handelsmarineur, im Gespräch mit dem „Wall Street Journal“. „Das wird zu Nahrungsmittelengpässen im Nahen Osten und in Afrika führen und die Inflation auf der ganzen Welt anheizen.“

Nach Angaben des Schifffahrtsverbands Intercargo handelt es sich bei den meisten der festsitzenden Schiffe um „Massengutfrachter, die wichtige Getreideladungen wie Weizen und Mais sowie strategische Kohleladungen zur Deckung des Energiebedarfs transportieren“.

Globale Auswirkungen auf Schiffsverkehr

Aber auch abseits des Schwarzen Meeres wirkt sich der Krieg in der Ukraine auf den Schiffsverkehr aus. Am Montag verhängte Großbritannien ein Einfahrtsverbot für russische Schiffe in seine Häfen. Auch Belgien, die Niederlande und Deutschland verkündeten Einschränkungen bei russischer Containerfracht.

„Alle diese Drehkreuze in Nordeuropa sind bereits ziemlich überlastet, und jede Kleinigkeit, die die Frachtströme verzögert, verschärft das Problem“, so Vincent Clerc von der weltweit größten Containerschiffsreederei Maersk gegenüber Marketscreener. Sein Unternehmen ließe keine Schiffe mehr in Odessa, dem größten Hafen der Ukraine, abfertigen, da dieser seinen Betrieb eingestellt hätte.

Neben Maersk haben auch die anderen beiden weltweit größten Reedereien, MSC aus der Schweiz und CMA CGM aus Frankreich, angekündigt, Frachtbuchungen von und nach Russland bis auf Weiteres auszusetzen. Davon ausgenommen seien Lieferungen von lebenswichtigen Gütern wie Lebensmitteln, medizinischer Ausrüstung und humanitären Gütern.

Tausende Seeleute stecken in Häfen fest

Zu den ohnehin schon überlasteten Lieferketten kommt hinzu, dass Tausende ukrainische und russische Seeleute in Häfen auf der ganzen Welt festsitzen, weshalb Schifffahrtsunternehmer kurzfristig Ersatz finden müssen. Weltweit stellen laut dem Verband Deutscher Reeder (VDR) russische und ukrainische Crewmitglieder insgesamt knapp 15 Prozent aller 1,89 Millionen Seeleute. 200.000 seien Russen, 76.000 Ukrainer, so der VDR.

Nach Angaben von Schifffahrtsverfolgern sind Dutzende Frachtschiffe im ukrainischen Hafen von Mykolajiw gestrandet, laut dem in London ansässigen Schiffsverfolger Windward Ltd. sitzen rund 3.500 Seeleute auf rund 200 Schiffen in ukrainischen Häfen fest. Die Internationale Transportarbeiterföderation hat die Gewässer vor der Ukraine zu einem „kriegsähnlichen Gebiet“ erklärt und weitere Schutzmaßnahmen für Seeleute gefordert.

„Die Seeleute stehen nun vor einer schweren Entscheidung“, so Munro Anderson, Partner bei der Londoner Schiffssicherheitsfirma Dryad Global, gegenüber der „Washington Post“. „Bleiben und riskieren, dass ihnen die Nahrung ausgeht und sie zu Kollateralschäden werden, oder versuchen, in die Freiheit zu segeln und riskieren, auf eine Seemine zu treffen.“ Schifffahrtshistorikern zufolge sind weltweit mehr Schiffe gestrandet als jemals zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg.

Güterhandel wird sich weiter reduzieren

Der russische Angriff auf die Ukraine hat laut Berechnungen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) bereits im Februar zu einem deutlichen Einbruch des Welthandels geführt. „In den kommenden Monaten dürfte sich der Güterhandel zwischen der EU und Russland aufgrund der Sanktionen, Unsicherheit, aber auch freiwilligen Einschränkungen durch Unternehmen und Bevölkerung deutlich reduzieren“, so der Leiter des Kiel Trade Indicator, Vincent Stamer, am Montag.

Der seit einigen Monaten anhaltende Erholungstrend in der Weltwirtschaft sei somit unterbrochen. Aus Unsicherheit über die Bezahlung könnten russische Exporteure künftig außerdem Waren zurückhalten. „Vermehrte Zollkontrollen, um die Einhaltung der Sanktionen gegen Russland zu überprüfen, können zusätzlich zu Verzögerungen im Seehandel führen“, so die Prognose Stamers.