Bub schreibt in einem Heft
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CoV-Ausfälle

Sonderschulen an der Belastungsgrenze

Hohe Coronavirus-Infektionszahlen, zig Personalausfälle und der stete Versuch, trotzdem Normalität zu vermitteln: Gerade in heimischen Schulen ist dieser Spagat in den letzten Wochen und Monaten immer schwieriger geworden – auch in Sonderschulen. Die Auswirkungen der Omikron-Welle bringen viele an ihre Belastungsgrenzen.

Mit den weitgehenden Öffnungen Anfang März stieg die Fallzahl rapide an. Immer mehr Menschen befinden sich in Quarantäne. Dass die ÖVP-Grünen-Bundesregierung wieder auf die Maskenpflicht in Innenräumen zurückgreift und gleichzeitig die Quarantäneregeln gelockert hat, ist sowohl ein politischer Kompromiss als auch eine Folge der derzeitigen Situation in den Krankenhäusern und Schulen. Denn dort muss der Betrieb mit einem Rumpfpersonal aufrechterhalten werden.

In den Spitälern werden Schichten getauscht, in den Klassenzimmern Schulstunden suppliert. Besonders herausfordernd ist die Situation derzeit auch für Sonderschulen. „Bei uns ist Nähe ein wichtiges Element. Unsere Kinder bauen eine Vertrauensbeziehung zum Personal auf. Wenn eine Lehrerin wegen einer Infektion ausfällt, brechen uns einige Kinder weg“, erzählt Elisabeth Erker, Direktorin der Allgemeinen Sonderschule in Dornbirn. Am Tag des Gesprächs mit ORF.at fehlten ihr von 36 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen sieben, die Woche davor zwölf.

„Die letzten vier Wochen waren die dramatischsten“

Seit Pandemiebeginn stehen Schulen im Mittelpunkt der Krise. Einmal wird alles geschlossen, beim nächsten Mal gelten Teilöffnungen mit Betreuungspflichten oder Distance-Learning, und nun sollte die Schule trotz der grassierenden Omikron-Welle in den Normalbetrieb schalten. Die derzeit geltenden Regeln bleiben bis zu den Osterferien, betonte ÖVP-Bildungsminister Martin Polaschek mehrmals: In den Schulen wird noch getestet, eine Maskenpflicht gilt für das Lehrpersonal, für Schüler und Schülerinnen nur außerhalb des Klassenzimmers.

Kleinkinder spielen
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Für einige Kinder in Sonderschulen sind Vertrauenspersonen besonders wichtig

„Die Sonderschulen haben großartiges geleistet, die Kinder und das Personal mit dem Testen und Maskentragen“, betont Erker. Jeden Tag werde bei den Kindern noch die Temperatur gemessen – nicht, weil es vorgeschrieben ist, sondern weil die Kinder dieses „Ritual“ in der Früh mögen. Doch je mehr Personal fehlt, desto schwieriger werde es, die Kontinuität und Qualität zu gewährleisten. „Irgendwann geht einem die Luft aus. Die letzten zwei Jahre waren schon herausfordernd, die letzten vier Wochen bestimmt die dramatischsten. Das hier ist jetzt der Peak von allem“, so die Sonderschulleiterin.

Da sich derzeit jeder überall anstecken kann und in Quarantäne muss, wechselt das Team zu oft. Für die Kinder sei das irritierend, und nicht alle kommen damit zurecht. „Das Verständnis für unsere Notsituation ist da, aber dieses Verständnis hilft uns effektiv einfach nicht“, sagt Erker und betont gleichzeitig, dass die Coronavirus-Situation alle Schulen in Österreich vor Herausforderungen stellt. Täglich bekomme sie Nachrichten über positive Fälle im Team. „Als Schulleiterin muss ich mir die Frage stellen: Wer soll und kann diese Klasse supplieren? Hat er oder sie ein Naheverhältnis zu den Kindern?“

Verordnungen passen nicht immer

Eine Vertrauenslehrerin einer Sonderschule in Wien sagt gegenüber ORF.at, dass von allen versucht werde, Normalität „zu spielen“. Es fehle aber schlichtweg die Perspektive, um dieses „Spiel“ auf Dauer zu ertragen. Wegen der Personalausfälle würde über Extras wie Projekte und Ausflüge, die für die Schüler und Schülerinnen eine Abwechslung zur Pandemie bedeuten, zweimal nachgedacht. Nach Ansicht der Lehrerin fehlt es in der Politik an der notwendigen Sensibilität für die Herausforderungen im sonderpädagogischen Bereich.

Ähnlich sieht es Thomas Urschitz. Er leitet die Salzburger Schule am Glanbogen für körper- und mehrfachbehinderte Kinder. „Auf der einen Seite gehören unsere Kinder wegen vieler Vorerkrankungen zur vulnerablen Gruppe, andererseits passen Verordnungen und Erlässe nicht immer für unseren Bereich“, so der Direktor im ORF.at-Gespräch. Als Beispiel nennt er etwa die PCR-Gurgeltests: „80 Prozent unserer Schüler und Schülerinnen können nicht 60 Sekunden lang gurgeln.“

In erster Linie seien die PCR-Tests nun für das Personal gedacht, „was für uns und für die Kinder wichtig ist, weil wir sehr körpernah mit ihnen arbeiten“, sagt Urschitz. Die Kinder teste man mit Antigen-Tests. In Sachen Maskenpflicht könne er als Schulleiter nur appellieren, diese so lange wie möglich beizubehalten, um eine Infektion oder einen Cluster in der Schule zu vermeiden.

Erschöpft, aber Pandemie noch nicht vorbei

Derzeit gebe es in der Salzburger Sonderschule auch „viele Ausfälle, so viele wie noch nie“. In den meisten Fällen betreffe es die Erwachsenen, nicht die Kinder, so der Sonderpädagoge. Wegen der vielen Absonderungen müsse einiges umstrukturiert und neu geplant werden. Das betrifft nicht nur die Supplierstunden, sondern auch die Frage, wer den Kindern bei der Nahrungsaufnahme hilft oder für die Inkontinenzversorgung zuständig ist.

Kinder in Klasse
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Wie Sonderschulen oder inklusive Klassen mit der CoV-Situation umgehen, wird kaum thematisiert

Für das Personal sei das nicht immer einfach. „Erschöpfung ist ein ständiger Begleiter, besonders in den vergangenen Wochen, als viele Kollegen und Kolleginnen ausfielen“, so der Sonderpädagoge. Für die Schüler und Schülerinnen hingegen seien die Veränderungen kein großes Problem. Inmitten der Pandemie sei es sogar eine schöne Abwechslung, wenn „mal andere Gesichter in die Klasse schauen“.

Dennoch kann man von einem „Frühlingserwachen“, wie es Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) im Februar noch genannt hatte, nicht sprechen. Menschen von jung bis alt sind nach mittlerweile zwei Jahren Pandemie, Regeln und Ungewissheiten erschöpft. Doch für Sonderschulen und Eltern von Kindern mit Vorerkrankungen ist die Pandemie noch lange nicht vorbei – und Omikron keine „milde“ Variante. Weiterhin herrscht die Sorge, dass eine Infektion Schlimmeres nach sich ziehen könnte, so Sonderschulleiterin Erker, die sich mehr Solidarität mit allen Schulen und vulnerablen Gruppen wünscht.

„Bewusst ignoriert“

Petra Bauer, Leiterin des Zentrums inklusiver Schulen in Wien-Hernals, berichtet gegenüber von ORF.at von verzweifelten Eltern, die ihre Kinder, die ebenfalls Vorerkrankungen haben, lieber zu Hause lassen würden. Zu hoch sei die Infektionsgefahr, sagt Bauer und verweist auf die seit Ende Februar wieder geltende Präsenzpflicht an heimischen Schulen. Ausnahmen gibt es freilich: Gehören Schülerinnen und Schüler einer Risikogruppe an, können sie sich das ärztlich attestieren lassen. „Diese Info erhalten viele Eltern erst von mir“, so die Schuldirektorin.

Es ärgert sie, dass von einer „milden Variante“ gesprochen werde, nur weil die Intensivstationen nicht voll sind. „Uns fällt das Personal aus, einige Kollegen und Kolleginnen fehlen wochenlang. Wenn sie dann zurückkommen, sind sie erschöpft“, erzählt die Schulleiterin. Seit zwei Jahren würden die Sonderschulen das Bestmögliche aus ihrem „unsichtbaren Dasein“ machen. „Wir waren immer offen, weil wir die Betreuungsnot der Eltern kennen. Es macht Spaß, mit den Kindern zu arbeiten“, erzählt sie.

Doch die Pandemie und die Frage, wie es künftig weitergehen soll, raube Tag für Tag mehr Kraft. Mit den Lockerungen Anfang März geht die Direktorin hart ins Gericht. Die Politik habe die Konsequenzen der „viel zu frühen“ Öffnung nicht nur verschlafen, sondern „ganz bewusst ignoriert“, um andere Interessen befriedigen zu können. „So hart wie jetzt hat uns die Pandemie noch nie getroffen.“