Der ungarische Premierminister Viktor Orban umgeben von EU-Flaggen
APA/AFP/Ludovic Marin
FIDESZ-Wahlsieg

Kein Aufatmen für Brüssel

Mit einer deutlichen Kampfansage an die Europäische Union hat am Sonntag der ungarische Premierminister Viktor Orban den Wahlsieg seiner Partei FIDESZ gefeiert. Dieser sei ein Triumph, den man „sogar vom Mond sieht, aber von Brüssel aus ganz gewiss“, so Orban. Ein Ende des schlechten Verhältnisses zwischen Ungarn und der EU rückt damit in weite Ferne – und der Konflikt wird durch den Ukraine-Krieg heikler.

Brüssel und Budapest liegen bekanntlich wegen Ungarns Umgang mit der Justiz, Medien, Minderheiten, der Opposition, EU-Geldern und rechtsstaatlichen Mechanismen schon seit Jahren im Clinch. Die Verlängerung dieses Konflikts ist mit dem Wahlsieg von Sonntag ausgemachte Sache – und erster Zankapfel dürften dabei wohl die Coronavirus-Hilfsgelder für Ungarn werden, die von der EU wegen rechtsstaatlicher Bedenken eingefroren wurden.

Orban dürfte sich bei kommenden Verhandlungen in der EU gestärkt fühlen: Einerseits hat der 58-Jährige eine Zweidrittelmehrheit im Rücken, andererseits ist er der längstdienende Staatschef am Tisch der EU-Staatsspitzen. Deren Abstimmung wird dadurch gewiss nicht einfacher – auch nicht in der Ukraine-Politik. Denn die EU-Außenpolitik erfordert Einstimmigkeit, und Ungarn könnte hier aufgrund seines Balanceakts zwischen Ost und West zum Unsicherheitsfaktor werden.

Deutlicher Wahlsieg für Viktor Orban

In Ungarn hat sich das Wahlbündnis der Opposition nicht durchsetzen können. Ministerpräsident Viktor Orban setzte sich mit seiner FIDESZ-Partei durch und erreichte offenbar eine Zweidrittelmehrheit.

Orbans Bande mit Putin

In der EU-Politik grassiert diese Befürchtung trotz Ungarns EU- und NATO-Mitgliedschaft schon länger. Denn Orban und Russlands Präsident Wladimir Putin haben trotz historischer russlandkritischer Strömungen in Ungarn eine freundschaftliche Beziehung aufgebaut. Diese wurzelt nicht nur in der Ähnlichkeit ihrer „Politik des starken Mannes“, ihrer ideologischen Ausrichtung und der Ablehnung eines liberalen westlichen Weltbildes – auch die wirtschaftlichen und energiepolitischen Verflechtungen zwischen Ungarn und Russland sind in den vergangenen Jahren enger geworden.

Wie viele EU-Staaten ist Ungarn abhängig von russischem Gas, dazu kommen bedeutende Investitionen Russlands in das ungarische Atomkraftwerk Paks II. Orban hat stets betont, Ungarn werde sich zum Schutz der eigenen Wirtschaft gegen einen Gas- und Ölboykott aus Russland stellen. Damit ist das Land allerdings nicht allein, auch Österreich und Deutschland gehören zu den Gegnern einer solchen Strafmaßnahme.

Breitseite gegen Selenskyj

De facto ist die EU im Ukraine-Krieg bisher durchaus geeint aufgetreten, Befürchtungen von Gegenstimmen aus Ungarn haben sich bisher nicht bestätigt. Budapest hat die harten EU-Sanktionen gegen Russland mitgetragen und den Krieg verurteilt – wenngleich ohne Putin direkt dafür verantwortlich zu machen.

Doch am Rande orten Beobachter gleichzeitig alarmierende Signale, etwa in den weitgehend FIDESZ-freundlichen Medien. Ihnen wird vorgeworfen, zum Ukraine-Krieg russische Narrative bis hin zu Verschwörungstheorien zu verbreiten. Zudem griff Orban am Sonntag in seiner Wahlsiegesrede den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj direkt an, indem er ihn unter seinen vermeintlichen Gegnern einreihte – nebst viel bedienten Feindbildern wie der „Brüsseler Bürokratie“, der „internationalen Linken“ und dem US-Milliardär George Soros, gegen den Orban bereits seit Jahren eine intensive und oftmals als antisemitisch kritisierte Kampagne fährt.

Betonte Distanz, keine Waffenlieferungen

Im Wahlkampf selbst hatte sich Orban schließlich auf die größtmögliche Distanz zum Kriegsgeschehen zurückgezogen. Er positionierte sich als Friedensgarant für Ungarn – der Opposition wurde hingegen vorgeworfen, sie wolle Ungarn in einen Krieg hineinziehen. Diese Haltung hatte bereits praktische Auswirkungen. Waffenlieferungen lehnte Ungarn strikt ab, untersagt wurden auch Rüstungstransporte über Ungarns Territorium.

Die Zurückhaltung hat auch Auswirkungen auf Ungarns Verhältnis mit engen Verbündeten, namentlich den Visegrad-Staaten. Diese heißen Ungarns Ukraine-Politik nicht gut. Vor allem Polen – das ebenfalls regelmäßig in der Kritik der EU steht – zählt zu den wichtigsten Unterstützern der Ukraine.

Vergangene Woche war sogar ein Verteidigungsministertreffen zwischen Ungarn, Polen, Tschechien und der Slowakei wegen der ungarischen Haltung geplatzt. „Ich habe die Visegrad-Vier stets unterstützt, aber es tut mir sehr leid, dass für die ungarischen Politiker das billige russische Öl wichtiger ist als das Blut der Ukrainer“, so Tschechiens Verteidigungsministerin Jana Cernochova.

Gratulation von Putin statt von der Leyen

Bände spricht auch, dass es zwar keine Gratulation von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, dafür aber von Putin gab. Auch ansonsten fielen die Glückwünsche spärlich aus. Der tschechische Premier Petr Fiala gratulierte Orban zwar. Er verband das allerdings mit einer Aufforderung, er möge sich für eine Lösung des Konflikts einsetzen.

Zu den übrigen Gratulanten gehörten der Chef von Italiens rechter Regierungspartei Lega, Matteo Salvini, die französische Rechte Marine Le Pen und der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders. Aus Österreich gab es eine Gratulation von FPÖ-Chef Herbert Kickl. Der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) bezeichnete Orban als „verlässlichen Partner für das Burgenland“.

„Erste Stimme in dem Chor“

Das Tauziehen innerhalb der EU wird sich jedenfalls fortsetzen, glaubt Politikwissenschaftler Peter Kreko vom Thinktank CEPA in einem Artikel für „Foreign Policy“: Orban könnte dann zunehmend seine Stimme in der EU-Außenpolitik als Druckmittel in eigener Sache einsetzen – etwa bei den Coronavirus-Hilfsgeldern für Ungarn.

Orbans Unterstützung für die erste Sanktionswelle zeige „die Macht des westlichen Bündnisses. Aber je mehr Zeit vergeht und je eher sich Europa an den Krieg gewöhnt, desto mehr Stimmen werden sich über die Kosten der Sanktionen beschweren und für eine Koexistenz mit Russland argumentieren. Orban will die erste Stimme in diesem Chor sein.“