Russiche Panzer in der Ostukraine
Reuters/Alexander Ermochenko
Ukraine-Krieg

Kiew erwartet „harte Schlacht“ im Osten

Nach dem Russland zugeschriebenen Raketenangriff auf einen Bahnhof im Osten der Ukraine mit Dutzenden Toten untermauern die Behörden ihre Warnung vor einem größer angelegten russischen Angriff in der Region. Die Einwohner und Einwohnerinnen von Luhansk wurden aufgefordert, ihre Heimat schnellstmöglich zu verlassen.

„Sie ziehen Truppen zusammen für eine Offensive, und der Beschuss hat in den vergangenen Tagen zugenommen“, sagte der Gouverneur von Luhansk, Serhij Hajdaj, in einer TV-Ansprache am Samstag. Noch immer hielten sich 30 Prozent der Bewohner und Bewohnerinnen in Städten und Dörfern in Luhansk auf, obwohl bereits zur Evakuierung aufgerufen worden sei. Laut russischen Angaben haben am Samstag 27.000 Menschen die umkämpften Regionen Richtung Russland verlassen – die Zahlen sind nicht unabhängig zu überprüfen.

Nach dem Rückzug russischer Soldaten aus den Gebieten bei der Hauptstadt Kiew scheint die Region im Osten der Ukraine zum Mittelpunkt der russischer Angriffe geworden zu sein. „Das wird eine harte Schlacht“, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Samstag bei einer Pressekonferenz mit Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP). „Wir glauben an diesen Kampf und unseren Sieg. Wir sind bereit, gleichzeitig zu kämpfen und nach diplomatischen Wegen Ausschau zu halten, um diesen Krieg zu beenden.“

Angriff im Osten des Landes

In zahlreichen Städten im Osten der Ukraine ertönte Luftalarm. Die russischen Truppen konzentrierten sich darauf, die Orte Rubischne, Nischne, Popasna und Nowobachmutiwka zu übernehmen und die Kontrolle über die Stadt Mariupol zu erlangen, berichtete die Agentur UNIAN.

Teil einer Rakete nach Beschuss von Bahnhof in Kramatorsk, Ukraine
AP/Andriy Andriyenko
Am Freitag wurde ein Bahnhof im Osten des Landes von einer Kurzstreckenrakete vom Typ Totschka-U getroffen

Bei Rubischne wurde offenbar ein Lager mit Salpetersäure durch Beschuss beschädigt. Hajdaj rief dazu auf, Fenster und Türen geschlossen zu halten. Er sprach von russischem Beschuss. Die prorussischen Separatisten von Luhansk machten dagegen ukrainische Kräfte dafür verantwortlich. Angaben zu Kämpfen und Angriffen beider Seiten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

Ukraine fordert Waffen

Bei dem Angriff auf den Bahnhof von Kramatorsk am Freitag wurden nach ukrainischen Angaben mindestens 52 Menschen getötet. Es waren demzufolge vor allem Frauen, Kinder und Ältere, die auf der Flucht vor der erwarteten russischen Offensive im Osten waren.

Selenskyj verurteilte den Angriff als ein weiteres Kriegsverbrechen. „Jede Verzögerung bei der Lieferung von Waffen an die Ukraine, jede Ablehnung können nur bedeuten, dass die betreffenden Politiker der russischen Führung mehr helfen wollen als uns.“

Der Bahnhof wurde nach Angaben des Regionalgouverneurs Pawlo Kyrylenko von einer ballistischen Kurzstreckenrakete vom Typ Totschka-U getroffen. Diese habe Streumunition enthalten. Diese enthält viele kleinere Bomben und entfaltet dadurch einen sehr großen Wirkungsradius. Sie ist besonders gefährlich, weil nicht zwischen zivilen und militärischen Zielen unterschieden wird. Streumunition ist gemäß einer Konvention von 2008 verboten. Russland hat diese Konvention nicht unterzeichnet und bestritten, dass solche Waffen in der Ukraine eingesetzt würden.

Flüchtlinge in der Ostukraine
AP
Die Zivilbevölkerung flüchtet aus der Ostukraine – auch nach Russland

Nehammer, Johnson und von der Leyen in Kiew

Der Außenbeauftragte der Europäischen Union, Josep Borrell, sagte am Samstag, Waffenlieferungen seien derzeit entscheidender als ein Gasembargo gegen Russland. „Sanktionen sind wichtig, aber Sanktionen werden das Problem der Schlacht im Donbas nicht lösen.“ Es sei klar: „Der Krieg wird in der Schlacht um den Donbas entschieden.“ Bei einem unangekündigten Besuch in Kiew sagte Großbritanniens Premier Boris Johnson weitere Waffenlieferungen zu.

Kanzler Nehammer in der Ukraine

Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) hat am Samstagvormittag im Rahmen eines Solidaritätsbesuchs in der Ukraine Präsidenten Selenskyj getroffen und ist dann in den Vorort Butscha gefahren, wo Massaker an der Zivilbevölkerung stattgefunden haben sollen. Der Krieg sei inakzeptabel, der Ukraine sicherte Nehammer Hilfen zu.

Mit Johnson, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Borrell und Kanzler Nehammer waren innerhalb weniger Tage vier westliche Spitzenpolitiker nach Kiew gereist. Von der Leyen hatte am Freitag in Kiew Selenskyj getroffen und sich ein Bild von der Lage in Butscha gemacht, wo derzeit Untersuchungen zu Kriegsverbrechen der russischen Armee laufen. Einen Tag später waren auch Nehammer und Johnson in Kiew, um mit dem ukrainischen Präsidenten zu sprechen.

In einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Selenskyj sagte Nehammer, dass der von Russland ausgelöste Krieg für Österreich „völlig inakzeptabel“ sei: „Wir sind militärisch neutral, aber nicht, wenn es darum geht, Verbrechen zu benennen, und wenn es darum geht, dort hinzugehen, wo tatsächlich Unrecht passiert.“