Feuerwehrleute vor einer Gebäuderuine in Borodyanka (Ukraine)
AP/Efrem Lukatsky
Russland soll zahlen

Ein Wunsch und die harte Realität

Die Ukraine fordert es, und aus Sicht ihrer Alliierten EU und USA wäre es nur logisch und moralisch gerechtfertigt: Russland soll für die Zerstörungen des Krieges in der Ukraine und den Wiederaufbau danach richtig zur Kasse gebeten werden. So verständlich der Wunsch sein mag, so gering sind die Chancen auf eine Umsetzung. Denn das hätte wohl langfristig schwerwiegende Konsequenzen.

Seit der russischen Invasion sind vor allem die in der EU und den USA gelagerten rund 300 Mrd. Dollar (284 Mrd. Euro) Devisenreserven der russischen Nationalbank eingefroren – Gleiches passiert, soweit die Behörden es finden, mit Vermögen russischer Oligarchen – also jenen Personen, die in engem Kontakt mit der russischen Führung um Präsident Wladimir Putin stehen und davon enorm profitieren.

Der nächste Schritt, über den seit Wochen immer wieder laut nachgedacht wird, wäre, die Vermögenswerte auch zu konfiszieren und entweder direkt an die Ukraine zu überweisen oder für den Wiederaufbau zweckzuwidmen. Das forderte schon vor Längerem der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell, und auch der deutsche Finanzminister Christian Lindner (FDP) zeigte sich zuletzt von der Idee angetan.

Yellen bremst

Die G-7-Finanzminister berieten diese Woche in Deutschland über mögliche Wege, kamen aber auf keinen grünen Zweig. US-Finanzministerin Janet Yellen gab sich skeptisch und betonte, derzeit hätten die USA nicht den rechtlichen Rahmen für solche Beschlagnahmungen. Und auch in den letzten Wochen äußerte sich Yellen bei diesem Thema immer sehr vorsichtig. Aus gutem Grund: Mit der Umsetzung sind große Probleme und Risiken verbunden.

Als Präzedenzfall wird meist auf die Konfiskation von Vermögen der afghanischen Nationalbank durch die USA nach der Machtübernahme der Taliban im Vorjahr verwiesen. Zudem wurden unter dem damaligen Präsidenten Donald Trump Gelder Venezuelas an einen von den USA als legitimen Regierungschef anerkannten Oppositionellen überwiesen. Doch die Überweisung an ein drittes Land sei jedenfalls ungewöhnlich, so die „Washington Post“.

Schon die Entscheidung, russisches Vermögen einzufrieren, sorgte in anderen Ländern, die angespannte Beziehungen mit den USA und der EU haben, für große Unruhe, allen voran China, das riesige Mengen an US-Staatsanleihen hält.

Gefahr für eigene Dominanz

Fachleute warnen davor, dass das die derzeitige Vorherrschaft des Westens über das internationale Finanzsystem beschädigen, ja beenden könnte. Überlegungen Russlands und Chinas, einen internationalen Zahlungsverkehr und Institutionen abseits des nach dem Zweiten Weltkriegs aufgebauten Systems rund um Internationalen Währungsfonds und Weltbank zu schaffen, würden wohl an Fahrt gewinnen. Und der Dollar als Weltwährung und sicherer Hafen könnte stark an Bedeutung verlieren, mit allen damit verknüpften Folgen.

Die Beschlagnahmung der russischen Vermögenswerte in den USA und der EU „würde de facto das internationale politisch-wirtschaftliche System, das wir in den vergangenen Jahrzehnten aufgebaut haben, beenden“, so Simon Hinrichsen von der London School of Economics gegenüber der „Financial Times“.

„Verführerisch, aber unklug“

Auch zwei Experten des EU-Thinktanks Bruegel warnten diese Woche, dass die Beschlagnahmung von Vermögen „verführerisch“ sei, aber auch „unnötig und unklug“. Glaubwürdig für eine Gesetzen und festgelegten Regeln folgende Ordnung zu stehen, sei „mehr wert als die Milliarden, die durch die Beschlagnahmung russischen Geldes gewonnen“ würden, so Nicolas Veron and Joshua Kirschenbaum. Länder deponierten ihre Reserven in anderen Ländern, „weil sie darauf vertrauen, nicht enteignet zu werden, es sei denn, sie befinden sich mit diesem Land im Krieg“.

Nicht zuletzt würde es Kiew einer „starken Trumpfkarte“ in Verhandlungen mit Moskau berauben. Denn nur bei einer Einigung kann Moskau mit dem „Wiederauftauen“ der Vermögenswerte rechnen.

Eine Beschlagnahmung bei verurteilten Kriegsverbrechern wäre juristisch wohl eher gangbar, würde aber jedenfalls Jahre dauern und nur deren Vermögen betreffen, nicht die staatlichen Reserven.

Flüchtiges Oligarchenvermögen

Das Vermögen der Oligarchen wiederum, das zeigen die Bemühungen nationaler Behörden und der speziell eingerichteten Taskforces auf EU-Ebene und in den USA, ist weniger leicht zu finden, als man annehmen würde. Erst ein Bruchteil der vermuteten Oligarchenvermögen ist daher eingefroren. Denn die Besitzverhältnisse juristisch hinreichend zu klären ist die nächste Herausforderung. Und selbst wenn die Behörden viel erfolgreicher bei der Sicherstellung wären, wären die theoretisch eintreibbaren Summen angesichts des Ausmaßes der Zerstörung in der Ukraine eher der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein.

Zugleich ist nicht nur die Suche enorm aufwendig – wirklich kompliziert wird es bei einer rechtlichen Durchsetzung der Enteignung: Dafür müssen oder müssten zuerst eigene Gesetze beschlossen werden. In den USA gibt es hierfür zumindest eine erste Vorlage und die grundsätzliche Unterstützung der Regierung von US-Präsident Joe Biden dafür. In der EU wäre der einzig gangbare Weg wohl eine EU-weite Verordnung.

Oligarchen als Mafiosi behandeln

Als Vorlage könnte dabei die Anti-Mafia-Gesetzgebung in Italien dienen. Dort gibt es die Möglichkeit der Enteignung von Vermögenswerten von Personen, die Verbindungen zum organisierten Verbrechen haben und als „soziale Gefahr“ eingestuft werden – mehr dazu in Pläne für Enteignung von Oligarchen (28.4.2022).

Aber selbst wenn die EU sich auf eine solche Verordnung im Expresstempo einigen würde, wäre die Umsetzung die nächste Hürde: Es müssten Dutzende bis Hunderte Gerichtsverfahren eingeleitet werden – viele von ihnen würden wohl durch sämtliche Instanzen gehen, sprich: Das Geld stünde erst nach einigen Jahren zur Verfügung.