Documenta

Afrika schickt Kleiderspenden zurück

Gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut – dieses Sprichwort trifft im Fall von Kleiderspenden zu, die in großen Bündeln tonnenweise nach Afrika verschifft werden. Damit und mit dem harten Leben in den Slums setzen sich pointiert und in aller gebotenen Härte zwei Projekte aus der kenianischen Hauptstadt Nairobi beim Kunstfestival documenta im deutschen Kassel auseinander.

Die Kleiderbündel, die vom Westen nach Afrika verschifft werden, sind eigentlich gepresste Ballen, zusammengehalten von straff gespannten Plastikbändern. Aus solchen Ballen hat die Künstlergruppe nest collective in einem Kasseler Park eine Halle aufgebaut. Davor sind neben weiteren Kleiderbündeln auch gepresste Blöcke von Elektroschrott ausgestellt, der in afrikanischen Ländern gegen Geld endgelagert wird, jedoch ohne entsprechend entsorgt zu werden.

Für beide Fälle geben die Künstler das Motto aus: „Return to sender“. Wer näher hingeht und genau schaut, was da aus Afrika zurück nach Europa verschifft wurde, wird sich beim Elektronikmüll ertappt fühlen, nach dem Motto: „Das könnte von mir sein.“ Eine Logitech-Maus, ein Netgear-Modem, ein Philips-Gerät, TV-Bildschirme. Platinen werden ausgebaut, einzelne Elemente und Rohstoffe wiederverwertet, der Rest, ob giftig oder nicht, landet auf viele Quadratkilometer große Deponien, auf denen wiederum Menschen nach doch noch Verwertbarem suchen.

Kunstwerk der Künstlergruooe nest collective bei der documenta 15 Gruppe



Simon Hadler
  vor < 1 Minute
Gruppe
Simon Hadler/ORF.at
Aus Kleiderbündeln, wie sie nach Afrika geliefert werden, hat das nest collective eine Halle gebaut; davor ein Block Elektroschrott

Was trendy ist, bleibt im Westen

Mit den Kleiderspenden verhält es sich anders. Diverse Organisationen sammeln in Containern im Westen die Kleiderspenden. Die gehen an ein Sortierwerk. Alles, was sich potenziell in Second-Hand-Shops im Westen verkaufen lässt, wird auch im Westen möglichst gewinnbringend verkauft. Der Erlös wird dann zum Teil in Projekte investiert, die in Ländern des globalen Südens helfen sollen. Das, was vom Sortierwerk als nicht potenziell trendy erachtet wird, kommt entweder zum Rohstoffrecycling – oder wird in Ballen gepresst nach Afrika verschifft.

Die Ballen sind sortenrein – einmal Hosen, einmal T-Shirts, einmal Hemden. Jene, die später mit ihren Ständen auf Märkten ihre Ware feilbieten, kaufen einen der riesigen Ballen, wissen aber außer der Kleidungssorte nicht, was drinnen ist, wie Sunny Dolat vom nest collective berichtet. Der Kauf ist jedes Mal mit einem großen Risiko verbunden. Manchmal sind bis zu 90 Prozent der Kleidungsstücke so kaputt, dass sie nicht mehr repariert werden können. Zwischen 40 und 60 Prozent sind es immer. Die müssen dann entsorgt werden.

Selfie-Tauglichkeit als Kriterium

Vom Rest ist ein Großteil gerade noch so gut, dass er gewaschen und repariert werden kann. Die wenigsten Stücke können 1:1 weiterverkauft werden – wer von Second-Hand-Verkauf lebt, kann gerade einmal überleben. Und für die wenigen Fälle, in denen etwas Cooles durchgerutscht ist, gibt es in Kenia sogar ein eigenes Adjektiv: Sie sind „camera“ – also so lässig, dass man sie anziehen und mit der Smartphone-Kamera ein Selfie machen kann. Es gibt auch Händler, die „camera“-Mode aufkaufen und dann etwas teurer weiterverkaufen – die sind dann der Hit etwa bei Hipstern.

Für den großen Teil der Bevölkerung aber bleibt Ausschussware, die selten mehr als einen Dollar kostet. Und mit diesen Preisen kann wiederum die einst florierende Textilindustrie nicht konkurrieren. Zahlreiche Fabriken mussten zusperren, Hunderttausende gute Arbeitsplätze gingen verloren. Dass auf der anderen Seite prekäre Jobs auf dem Second-Hand-Markt entstanden sind, wiegt das bei weitem nicht auf, so Dolat. Außerdem hätten ja auch die Produkte der Textilindustrie Kenias dann auf dem Second-Hand-Markt landen können.

Shabu Mwangi erzählt vom harten Leben junger Menschen in den Slums von Nairobi: Tötungen durch die Polizei, Kriminalität, Perspektivlosigkiet. Kunst ist ein möglicher Weg raus.

Kunst aus dem berüchtigten Slum-Viertel Lunga Lunga

Ein ganz anderes Projekt hat die Künstlergruppe Wajukuu umgesetzt. Sie stammt auch aus Nairobi, aus dem gigantischen Slum Viwandini und dort aus dem berüchtigten Viertel Lunga Lunga. Shabu Mwangi ist selbst in Lunga Lunga aufgewachsen und hat dort Anfang der Nullerjahre ein Team gegründet, das sich um Jugendliche kümmert. Es gibt Bildungsmaßnahmen, es gibt Workshops und es gab auch eine Bibliothek – die erst unlängst ohne Vorwarnung abgerissen wurde, weil sie einem Highway weichen musste und ja außerdem nicht auf gekauftem, eingetragenen Grund stand.

Das sind nicht die einzigen Probleme, die das Wajukuu-Projekt hat, sagt Mwangi im Interview mit ORF.at. Viele der jungen Leute aus den Workshops und sogar ein Teil der Gründungsmitglieder seien abgesprungen, man habe sie an die Kriminalität verloren oder an die Drogen. Der Enthusiasmus der ersten Tage sei verflogen. Doch noch immer gibt Kunst den Jungen, die zu Wajukuu finden, zumindest zeitweise eine Perspektive für die Zukunft.

Joseph Waweru führt durch die Ausstellung des Wajukuu Kollektivs im Rahmen der documenta in Kassel. Kunst, die sich mit dem Leben im Slum – aber auch dem Leben an sich beschäftigt.

Einladung ins Wellblechzuhause

In Kassel hat die Künstlergruppe fast so etwas wie das Hauptwerk geliefert, mit ihrer Umgestaltung des gesamten Eingangsbereichs der zentralen documenta-Halle. Bei dem Kunstfestival geht es diesmal ja darum, dass Kollektive aus aller Welt Projekte vor Ort umsetzen und sich untereinander und mit Initiativen aus Deutschland vernetzen. Das, was sich viele, die wegen „Kunst“ angereist sind, erwartet haben, wird kaum angeboten.

Das Wajukuu-Kollektiv jedoch hat Schauwert geschaffen, eine Slum-Umgebung mit rostigen Wellblechen – man wolle das Publikum der documenta hier zu sich nach Hause, nach Lunga-Lunga einladen, sagt Joseph Waweru. In verschiedenen Positionen wird das Leben im Slum, das Leben in Kenia – aber auch ganz einfach das Leben an sich kommentiert, es gibt Bilder, Installationen und Skulpturen mit jeweils ganz spezieller Erklärung; im Video über der Zwischenüberschrift führt Waweru durch den Wajukuu-Bereich der documenta.