Joseph Binder

Der Erfinder des heimischen Selbstbilds

Wenige Menschen haben das Selbstbild Österreichs schon in der Ersten Republik so geprägt wie der Wiener Joseph Binder. Die Wahrnehmung bestimmter Marken geht auf Binder zurück. Ganz im Geist der Wiener Werkstätten dachte er Design bis ins letzte Werkstück einer Firma – und wurde mit seinen Designgesetzen auch zum Grafikpapst in den USA. Vor 50 Jahren starb der Emigrant Binder ausgerechnet bei einer Ausstellungsvorbereitung am Museum für angewandte Kunst (MAK) in Wien.

Als „bekannte Unbekannte“ bezeichnet man die österreichischen Grafikdesigner des 20. Jahrhunderts gerne. Dabei haben sie zentral die Identität der gerade jungen Republik, insgesamt aber das Selbstbild des Landes bis in den Gegenwart geprägt. „Österreichische Grafikdesigner der Zwischenkriegszeit waren international anerkannt und wurden zu Vorbildern und Lehrern für europäische und amerikanische Designer“, erinnert etwa die Expertin für Designgeschichte, Anita Kern, in ihrem Standardwerk zur heimischen Designgeschichte im 20. Jahrhundert. Julius Klinger, Herbert Bayer, Robert Haas und eben auch Joseph Binder stehen hier ganz vorne in der Aufzählung.

Ihr Hintergrund: die Herkunft im Umfeld der Wiener Kunstgewerbeschule, die Tradition wie die der Wiener Werkstätten, Design bis zum letzten Gegenstand zu denken, und, wie man im Wiener MAK erinnert, die Plakatkunst und die Kunst der Lithografie. „Die Lithografie und das Lithografenhandwerk hat Personen wie Joseph Binder erst letztlich auf den Kurs der Reduktion gebracht“, erzählt die Leiterin der MAK-Bibliothek und Plakatsammlung Kathrin Pokorny-Nagel beim Aufblättern des großen Joseph-Binder-Nachlasses, der von Binders Frau Carla dem Museum überlassen wurde.

Visitenkarte Joseph Binder
MAK-Bibliothek
Binders New Yorker Visitkarte mit Adresse am Central Park

Ein Nachlass mit Wirkungen

Aus den Finanzmitteln der Binders werden heute noch Designpublikationen und auch der jährlich vergebene Joseph Binder Award der Design Austria finanziert. Binder ist in der Szene ein Begriff. Einer breiten Öffentlichkeit ist er aber in der Erinnerung abhanden gekommen. Dabei designte er den (heute überarbeiteten) Meinl-Kopf, „brandete“ Marken wie Persil, Kaiser-Borax, Semperit oder Arabia-Kaffee – und schuf gerade über seine Plakatentwürfe im Bereich Fremdenverkehr eine Form des Österreich-Bildes, das gerade in den 1920ern und 1930ern nach einem positiven Selbstbild nach den Jahren der Identitätsfindung suchte.

Fotostrecke mit 5 Bildern

Kathrin Pokorny-Nagel mit einem Binder-Plakat
ORF/MAK
MAK-Grafikexpertin Kathrin Pokorny-Nagel mit einem der legendärsten Binder-Plakate zur New York World’s Fair 1939
Binderplakat für Skimode
ORF/MAK
Binder und die Lieblingsgestaltungsfarbe Blau, hier im Entwurf für Skimode zwischen den Kriegen
Blick von oben auf ein Binder-Plakat
ORF/MAK
Binder und das Bild der Semmering-Region in der Ersten Republik
Joseph Binder mit seiner Ehefrau Carla Binder, die die Karriere seines Büros stark vorantrieb
ORF/MAK
Carla Binder, die treibende Kraft hinter ihrem Mann
Seite mit Gestaltungsprinzipien von Joseph Binder
ORF/MAK
Binders Designprinzipien in seinem Buch „Colour in Advertising“, 1934

Eigentlich, so erinnert sich einer der Grafiker der ersten Stunde in der Ersten Republik, Alfred Proksch, sei die Stimmung nach 1918 „optimistischer als beim Aufbau nach dem Zweiten Weltkrieg“ gewesen. Bis zum Börsenkrach erlebte man ab Mitte der 1920er Jahre einen teils rasanten Aufstieg von Marken. Und es galt ein Land zu positionieren, das sich davor in ganz anderen Größenverhältnissen wahrnahm. Joseph Binder, eigentlich aus ärmlichen Verhältnissen kommend, habe sehr rasch, auch angetrieben von seiner Frau Carla, international gedacht. Die Binders lernten früh Englisch. Und blickt man auf die Binder-Plakate, dann sieht man neben dem Werbesujet auch das Urheberbüro deutlich dargestellt.

Foto von Joseph Binder
ORF/MAK
Joseph Binder, 1898–1972. Foto aus dem umfassenden Bestand zu Joseph Binder im MAK.

Die USA als Sehnsuchtsort

Die USA wurden gerade in den frühen 1930er Jahren zum Anziehungsort für Grafikdesigner, da sich dort eine komplett neue Konsumgesellschaft aufgestellt hatte, die über Sehnsuchtsprodukte bedient werden wollte. Und Binder war, gerade auch über den Konkurrenzkampf mit Figuren wie Julius Klinger, sehr rasch in die Position gekommen, seine Prämissen definieren zu können. Klare Farbsprache, klare Konturen, starke Kontraste und immer auch eine sorgfältig erarbeitete Typografie, die, wie bei der Marke Arabia, wie man gerade bei einer sehenswerten Schau im Museum auf dem Judenplatz sehen kann, aus dem Gegenstand des Designs herausgeschnitten wird. Die durchaus stereotype Figur des Kaffeebohnenträgers wird zum Grundriss des „A“ bei Arabia – und zum Wiedererkennungsmerkmal auf allen Produkten, bis hin zum Zuckerpäckchen.

Der „Binder-Code“

„Werbedesign muss voll und ganz dem Produkt entspringen, die Aufmerksamkeit fesseln und den Verwendungszweck suggerieren.“ (Joseph Binder)

Binder, so erinnert MAK-Chefin Lilli Hollein im Gespräch mit ORF.at, habe die Standards bei der Ausbildung von Gebrauchsgrafik geprägt, „weil es diese zu seiner Zeit so noch nicht gegeben hat“. Binder und seine Zeitgenossen bedienten sich letztlich des Wissens der Wiener Entwicklungen der Jahrhundertwende und trugen sie erfolgreich in eine neue Zeit. Binder erhielt 1934 erst Lehraufträge in den USA und emigrierte 1936 dauerhaft nach New York, wo er sich am Rande des Central Parks mit einem Büro etablieren konnte.

„Design in Advertising“

Sein Buch „Design in Advertising“ wurde Mitte der 1930er Jahre für den amerikanischen Markt gleich auf Englisch konzipiert. Und Binders Handschrift sollte sich noch in vielen US-Produkten, vor allem Plakaten, niederschlagen. Sogwirkung und Versprechen gingen von Binder-Plakaten aus. Da sah sogar die Einladung, zur Navy zu kommen, wie eine Reise in die Ferien aus.

Den Aspekt der durch den Einmarsch der Nazis in Österreich erzwungenen Emigration dürfe man bei Binder nicht vergessen, erinnert Hollein an die Biografie Binders. Nach dem Krieg nahm Binder Aufträge in Österreich an, wie etwa die Weiterentwicklung der Marke Arabia, die sich der einstige Eigentümer Alfred Weiss ja nach seiner Emigration zurückgeholt hatte. Dauerhaft nach Österreich wollte Binder nicht zurückkehren, wie wohl er sich enge persönliche Kontakte erhielt.

Zwischen Wunschbild und Stereotyp

Für Lilli Hollein, selbst jahrelang Organisatorin heimischer Designschwerpunkte, hatte Binder die Fähigkeit zu einem Innen- wie Außenblick. Und, so hält sie fest: „Unser Österreich-Blick ist von typischen Binder-Brands, auch dem Rückgriff auf Stereotype geprägt.“ Gleichzeitig müsse man natürlich heute erkennen, dass es ein gewisser „kolonialer Blick“ gewesen sei, weswegen man Binder-Ikonen wie den „Meinl-Mohren“ für die Gegenwart zu überarbeiten hatte.

Fotostrecke mit 7 Bildern

Historisches Werbesujet aus der Joseph-Binder-Ausstellung im Wiener MAK
MAK
Typische Binder-Plakate aus der Zwischenkriegszeit
Historisches Werbesujet aus der Joseph-Binder-Ausstellung im Wiener MAK
MAK
Historisches Werbesujet aus der Joseph-Binder-Ausstellung im Wiener MAK
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Historisches Werbesujet aus der Joseph-Binder-Ausstellung im Wiener MAK
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Historisches Werbesujet aus der Joseph-Binder-Ausstellung im Wiener MAK
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Historisches Werbesujet aus der Joseph-Binder-Ausstellung im Wiener MAK
MAK
Historisches Werbesujet aus der Joseph-Binder-Ausstellung im Wiener MAK
MAK

„Dass für uns in Österreich bestimmte Marken ganz klar eine bestimmte Farbe haben, das geht auf Joseph Binder zurück“, so Hollein. Hollein selbst hat ja gerade die Corporate Identity ihres Hauses überarbeiten lassen und die Kernfarbe des MAK aus dem Rot der Ziegelmauern des Museums abgeleitet. „Binder hat die formale Kraft der Farbe erkannt“, so die Museumschefin, die die internationale Ausstrahlung seiner Arbeiten betont.

Und, so erinnert sie an ein Moment bei Binder, das ihn als einen frühen McLuhan bei der Schaffung von Werbe- und Kommunikationsbotschaften ausweist: „Binder entwickelte gegenüber den Kunden das Gefühl, alles für die Kunden zu machen.“ Deshalb habe er alles bis ins letzte Detail „durchdekliniert“. „Er transportiert beim Tourismus Gefühle, er transportiert beim Kaffee bis ins Letzte und hin zum Löfferl das Ein- und Umhüllen einer Marke.“ Der Effekt des Binder-Designs: „Ich begreife die Marke und ich will wieder dieses Erlebnis haben.“