Ein Mann tippt auf seinem Handy
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Tote Ärztin

Die Grenzen des „Hass im Netz“-Pakets

Nach dem Tod der Ärztin Lisa-Maria Kellermayr ist eine Diskussion über das erst seit 2021 gültige Maßnahmenpaket gegen Hass im Netz aufgekommen. Dieses sollte Abhilfe gegen Hetze und Herabwürdigung im Internet schaffen. Das Justizministerium sieht derzeit keinen Änderungsbedarf, sagt aber: Die Möglichkeiten für Opfer seien zu wenig bekannt.

Kellermayr war monatelang mit Hass- und Drohnachrichten aus der Impfgegnerszene konfrontiert gewesen. Wegen der Gewalt im Netz und der hohen Kosten für das Sicherheitspersonal musste sie ihre Praxis in Oberösterreich schließen. Vergangenen Freitag wurde die Medizinerin tot aufgefunden. Die ersten Ergebnisse der Obduktion bestätigten den anfänglichen Suizidverdacht. Der Fall erregte auch international Aufmerksamkeit.

In den letzten Tagen wurde insbesondere Kritik an den ermittelnden Behörden laut – aber auch am „Hass im Netz“-Paket. Die Maßnahmen wurden im Winter 2020 im Nationalrat beschlossen und sind seit 2021 in Kraft. Auf ORF.at-Anfrage betonte das Justizministerium, dass das Paket in erster Linie dazu gedacht ist, die von virtuellem Hass und Anfeindungen Betroffenen „schneller und kostengünstiger zu ihrem Recht zu verhelfen“. So sei beispielsweise der Opferschutz durch Prozessbegleitung gestärkt und das Strafrecht angepasst worden.

Hilfe im Krisenfall

Berichte über (mögliche) Suizide können bei Personen, die sich in einer Krise befinden, die Situation verschlimmern. Die Psychiatrische Soforthilfe bietet unter 01/313 30 rund um die Uhr Rat und Unterstützung im Krisenfall.

Die österreichweite Telefonseelsorge ist ebenfalls jederzeit unter 142 gratis zu erreichen. Hilfe für Jugendliche und junge Erwachsene bietet auch Rat auf Draht unter der Nummer 147.

Das Paket umfasst Maßnahmen auf mehreren Ebenen: Das Hass-im-Netz-Bekämpfungs-Gesetz zielt vor allem auf einen besseren Schutz der Opfer ab und enthält ein vereinfachtes Unterlassungsverfahren bei Hasspostings. Gemäß dem Kommunikationsplattformen-Gesetz müssen Plattformen wie Facebook und Twitter ein leicht zugängliches Beschwerdeverfahren anbieten und gemeldete rechtswidrige Inhalte grundsätzlich innerhalb von 24 Stunden löschen bzw. sperren. Die Justiz bietet auf ihrer Website eine ausführliche Information an.

„Teilweise noch nicht ausreichend bekannt“

Man sei sich der Tatsache bewusst, dass die Möglichkeiten wegen der „relativen Neuheit des Gesetzespakets“ in der breiten Gesellschaft „teilweise noch nicht ausreichend bekannt“ sind, teilt das Ministerium mit. Derzeit arbeite man intensiv daran, die Maßnahmen gegen Hass im Netz bekannter zu machen. Klar sei aber auch, dass Hass, Drohungen und Gewalt nicht nur dadurch verschwinden werden, dass man sie auf gesetzlicher Ebene verbietet.

Hass im Netz könne nur unter Einbindung aller Gesellschaftsbereiche und über alle „eventuellen Parteigrenzen“ hinweg bekämpft werden. Das Ministerium wies gleichzeitig darauf hin, dass die „Drohungen, welche im überaus tragischen Fall Kellermayr über das Internet ausgesprochen wurden, selbstverständlich bereits jetzt strafbar sind“.

Ermittlungen und Rechtsbehelfe brauchten allerdings „eine gewisse Zeit“, insbesondere wenn Tatverdächtige im Ausland ausgeforscht werden müssen bzw. gegen solche ermittelt wird. Bei einer akuten Bedrohungslage müssten die Sicherheitsbehörden den Betroffenen entsprechenden Schutz bieten.

Kritik am „Hass im Netz“-Paket

Fachleute wie der Professor für Technologierecht an der Universität Wien, Nikolaus Forgo, erachten das Maßnahmenpaket als zahnlos. In einem „Standard“-Gastkommentar schrieb er, dass Kellermayr trotz und wegen des Pakets „durch eine Mischung aus mutmaßlicher Inkompetenz und Wurschtigkeit der mit der Sache befassten Stellen“ belastet worden sei. Die Impfgegnerszene bekomme man nicht in den Griff, wenn ständig dafür plädiert werde, „innezuhalten und Gräben zuzuschütten“.

Jurist Forgo zur Causa Kellermayr

Nikolaus Forgo, Professor für Technologierecht an der Universität Wien, kommentiert die Rechtslage im Fall der oberösterreichischen Ärztin Lisa-Maria Kellermayr, die im Internet bedroht wurde und Suizid beging.

Am Donnerstag bekräftigte er seine Kritik in der ZIB2, insbesondere an dem Kommunikationsplattformengesetz, das im Maßnahmenpaket inkludiert ist. Dieses sieht vor, dass Onlineplattformen wie Facebook, Instagram und Twitter einfachere Möglichkeiten bieten müssen, rechtswidrige Inhalte zu löschen. Es gebe Plattformen, die man auf dem Weg in Europa gar nicht erreiche, meinte Experte Forgo. „Und auf der anderen Seite ist es so, dass jeder und jede, die sich mit diesem Gesetz im Vorfeld befasst hatte, wusste, dass es in diesem Gesetz diverse europarechtliche Fragestellungen geben würde.“

Der Jurist glaubt nicht, dass es bisher gelungen sei, die Plattformen einzubinden. „Man hat also behauptet und versucht, die großen Plattformen mit klassischem hartem Recht in den Griff zu bekommen, und genauso haben die dann auch reagiert, nämlich im Rahmen dessen, was halt im Rechtsstaat möglich ist, also mit Beschwerden, mit Klagen, mit Verzögerungen und so weiter.“

Grünen-Klubchefin Sigi Maurer, Justizministerin Alma Zadic (G), Verfassungs- und Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) und Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP)
APA/Roland Schlager
Im Herbst 2020 wurde das Gesetzespaket vorgestellt, wenig später im Nationalrat beschlossen

Expertin: Probleme bei praktischer Umsetzung

Im Gegensatz zu Forgo hält die Rechtsanwältin Maria Windhager scharfe Kritik am Gesetzespaket für überzogen. Sie billigte dem neu geschaffenen Regelwerk das Bemühen zu, in einer komplizierten Querschnittsmaterie die Rechtsschutzmöglichkeiten von vom Hass im Netz Betroffenen zu stärken. „Wir haben an sich gute Gesetze. Aber wir haben nach wie vor Probleme bei der praktischen Umsetzung“, sagte sie.

Melden Betroffene verbale Übergriffe, die bis hin zu Morddrohungen gehen, unterbleibe oftmals die behördliche Ausforschungs- und Verfolgungstätigkeit. Anträge auf Feststellung der Identität von Hasspostern bleiben laut Windhager oft wochenlang bei Polizei und Staatsanwaltschaften liegen, die Ermittlungen verlaufen meist ohne Erfolg. „Es bräuchte spezialisierte Einheiten. Leute, die mit dem Internet vertraut sind, die die Rechtslage kennen und ernst nehmen, Sachverhalte einschätzen und zuordnen können.“

Die Meinung, dass die Plattformen zu wenig eingebunden werden bzw. kaum Interesse zeigten, gegen Hasspostings vorzugehen, bestätigt Windhager indirekt. Während YouTube wie auch kleinere Plattformanbieter vorbildlich agieren, würden Twitter und Telegram auf Meldungen von Hasskommentaren oder strafrechtswidrige Inhalte „gar nicht oder nur selten“ reagieren, sagte Windhager. Auch Facebook verweigere sehr oft die Löschung, die dann auch nur österreichweit erfolge.

Mückstein berichtet Drohnachrichten

Der frühere Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne) sagte am Donnerstag gegenüber dem „profil“, dass es den Behörden am Bewusstsein für Hass im Netz mangle. „Das Bewusstsein entwickelt sich auch erst auf staatlicher Ebene, dass anonyme Drohungen ähnlich ernst genommen werden müssen wie konkrete Bedrohungen von Angesicht zu Angesicht. Es hätte wohl schon eine präventive Wirkung, wenn es mehr Verurteilungen gäbe.“

Während seiner Amtszeit war Mückstein vielen Hass- und Drohnachrichten ausgesetzt. „Die Bandbreite reichte von Vergleichen mit Auschwitz-Arzt Josef Mengele über Zuschriften wie ‚Ich wünsche Ihnen sieben Spritzen in den Schädel‘ bis hin zu konkreten Bedrohungen gegen mich und meine Familie.“ Vom Staatsschutz sei er in zwölf Fällen gefragt worden, ob er einer Strafverfolgung zustimme. „In zwei Fällen wurde ich über die Einstellung des Verfahrens informiert. Von den restlichen Fällen habe ich nichts mehr gehört.“

Der Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF) schloss sich am Donnerstag der Kritik an. „Viele Frauen werden in Österreich von Behörden völlig in Stich gelassen, nicht ernst genommen, abgewiesen, falsch informiert oder sogar angeschrien, wenn sie eine polizeiliche Anzeige erstatten wollen“, hieß es in einer Aussendung. Der Verein forderte mit Blick auf den Hass gegen Medizinerin Kellermayr, dass mehr Geld in die Opferschutzarbeit investiert wird.