Ein Mann verwendet ein Smartphone
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Hass im Netz

Grüne gegen eigene Staatsanwaltschaft

Zur Verfolgung von Hassnachrichten in sozialen Netzwerken hat die ÖVP die Einrichtung einer Sonderstaatsanwaltschaft gefordert. Der Koalitionspartner kann dem Vorstoß wenig abgewinnen. Die grüne Justizsprecherin Agnes Sirkka Prammer erinnerte am Montag gegenüber Ö1 auf die Rufe aus der ÖVP, die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) abzuschaffen, und ortete ein „Ablenken von Problemen auf anderer Seite“. Auch das Justizministerium, die Opposition und die Staatsanwälte-Vereinigung sprechen sich gegen eine eigene Behörde aus. Die ÖVP beharrte am Montag auf ihrer Forderung.

ÖVP-Generalsekretärin Laura Sachslehner hatte am Sonntag die Schaffung einer Sonderstaatsanwaltschaft zur Verfolgung von Hass im Netz gefordert und Justizministerin Alma Zadic (Grüne) in die Pflicht genommen. „Bloß salbungsvolle Worte auszusprechen ist zu wenig. Justizministerin Alma Zadic ist gefordert, endlich zu handeln. Es braucht aus meiner Sicht ein Bekenntnis zu einer eigenen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Hass im Netz“, so Sachslehner.

Ähnliche Töne kamen am Montag von Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP): Für Täterinnen und Täter dürfe der digitale Raum nicht straffrei sein, so Plakolm. Ein Weg in der Justiz sei es, das mit einer Staatsanwaltschaft zu garantieren. Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) hatte sich am Samstag gegen Denkverbote in diese Richtung ausgesprochen. Auslöser der Diskussion war der Tod der Ärztin Lisa-Maria Kellermayr, die in sozialen Netzwerken mit Hassnachrichten und Todesdrohungen überzogen worden war.

ÖVP-Generalsekretärin Laura Sachslehner
APA/Hans Punz
ÖVP-Generalsekretärin Sachslehner nahm in puncto Hass im Netz Justizministerin Zadic in die Pflicht

Grüne verweisen auf bestehende Strukturen

Die grüne Justizsprecherin Prammer verwies dazu am Montag gegenüber dem Ö1-Mittagsjournal auf bereits bestehende Kompetenzstellen bei den Staatsanwaltschaften in Wien und Graz. Dort ermitteln speziell gegen Cybercrime geschulte Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Dieses Angebot müsse flächendeckend ausgebaut werden, so Prammer.

„Wichtig ist auch, dass die Opfer sich ernst genommen fühlen, wenn sie die Anzeigen machen. Das heißt, die gleichen Schulungen und Sensibilisierungen, wie sie in der Justiz bereits vorgenommen wurden, müssen auch bei der Polizei weiter ausgebaut werden“, so die Abgeordnete. Die Polizei fällt in den Wirkungsbereich von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP).

„Ablenken von Problemen auf anderer Seite“

Auf wenig Gegenliebe stößt Sachslehners Vorstoß bei den Grünen offenbar auch in Zusammenhang mit der in der Vergangenheit geübten Kritik der ÖVP an der WKStA. „Wenn diese Forderung kommt von der gleichen Stelle, die die Auflösung einer gut funktionierenden Sonderstaatsanwaltschaft, nämlich der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, fordert, dann kann man sich schon vorstellen, was die Intention dahinter ist, nämlich nur das Ablenken von Problemen auf anderer Seite. Und das ist schade bei so einem wichtigen Thema“, sagte Prammer gegenüber Ö1.

Justizministerin Zadic erklärte, den Ruf nach einer Sonderstaatsanwaltschaft nachvollziehen zu können. Auch Zadic verwies auf die Kompetenzstellen bei den Staatsanwaltschaften Wien und Graz. „Jede Staatsanwaltschaft in Österreich hat mit Fällen von Hass im Netz und Cybercrime zu tun, daher ist es notwendig, entsprechende Kompetenzen flächendeckend aufzubauen. Ich möchte dieses Projekt daher rasch ausweiten, denn jede Ressource in diesem Bereich wird gebraucht, damit die Justiz den Menschen effektiv und schnell zu ihrem Recht verhelfen kann“, sagte sie.

Justizministerin Alma Zadic
Reuters/Lisa Leutner
Zadic spricht sich gegen die Einrichtung einer eigenen Behörde aus

Für Zadic liegt das Grundproblem bei der Verfolgung von Hass im Netz derzeit bei der Ausforschung von Täterinnen und Tätern. „Diese Ausforschung dauert oft zu lange, was für Betroffene natürlich extrem belastend ist. Gemeinsam mit dem Innenminister werde ich daran arbeiten, dass jede Polizeidienststelle und jede Staatsanwaltschaft die nötigen Ressourcen und Werkzeuge hat, die es braucht, damit Betroffene ernst genommen und Täter:innen zur Rechenschaft gezogen werden“, kündigte die Justizministerin in einer schriftlichen Stellungnahme an.

Sachslehner: Verantwortung nicht abschieben

ÖVP-Generalsekretärin Sachslehner beharrte auf der Forderung nach einer Sonderstaatsanwaltschaft. „Jede Verantwortung von der Justiz auf die Exekutive abzuschieben, ist zu wenig. Es ist notwendig, dass Zadic die ersten Schritte in die richtige Richtung macht, indem sie etwa einen runden Tisch mit Expertinnen und Experten einberuft“, so Sachslehner Montagnachmittag in einem Statement.

Die Sonderstaatsanwaltschaft solle sich neben Hass im Netz auch mit anderen Formen von Cyberkriminalität beschäftigen. „Ich wünsche mir, dass die Grünen nicht länger auf der Bremse stehen und nach Ausreden suchen“, sagte die Generalsekretärin.

Staatsanwälte-Vereinigung gegen neue Behörde

Gegen eine von der ÖVP vorgeschlagene eigene „Hass-im-Netz-Staatsanwaltschaft“ spricht sich die Präsidentin der Vereinigung Österreichischer Staatsanwältinnen und Staatsanwälte, Cornelia Koller, aus. Statt einer spezialisierten Cybercrimebehörde nach Vorbild der WKStA brauche es mehr Ressourcen für bestehende Einrichtungen von Polizei und Justiz, so Koller im „Standard“ (Montag-Ausgabe).

Bernhard Fink, Vizepräsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertags (ÖRAK), sah das ebenfalls so. „Der ÖRAK sieht die Einrichtung einer eigenen Staatsanwaltschaft für Hass im Netz als nicht zielführend oder gar notwendig an. Laut Staatsanwaltschaftsgesetz kann man bereits jetzt Zuständigkeiten über die Geschäftsverteilung lösen“, so Fink.

Daniela Grabovac von der steirischen Antidiskriminierungsstelle sprach sich für eine bessere Ausstattung bestehender Behörden aus. Die Problematik sei, dass jemand, der in der Öffentlichkeit steht, aufgrund seiner öffentlichen Meinung vermehrt im Netz angegriffen werde. Es brauche hier mehrere Schritte, sagte Grabovac: „Die Ermittlungsbehörden gehören aufgerüstet und personell besser besetzt. Insbesondere glaube ich, dass es ein guter Weg wäre, neben den Staatsanwaltschaften auch die Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN), die heuer neu aufgesetzt wurde, mit diesen Kompetenzen und Ressourcen mehr auszustatten“ – mehr dazu in steiermark.ORF.at.

Opposition gegen Sonderbehörde

Auch die Opposition sieht die Einrichtung einer Sonderbehörde kritisch. „Wir brauchen bei der Bekämpfung von Hass im Netz weder eine eigene Sonderstaatsanwaltschaft noch eine Kompetenzerweiterung der WKStA. Mit eigenen Referaten innerhalb der bestehenden Staatsanwaltschaften kann das sofort erledigt werden“, sagte SPÖ-Justizsprecherin Selma Yildirim. Der ÖVP warf Yildirim vor, eine „Verzögerungstaktik“ zu verfolgen, die Pläne für eine Onlinehassstaatsanwaltschaft seien „nur heiße Luft“.

Debatte über Sonderstaatsanwaltschaft

Die Vereinigung der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte spricht sich gegen eine eigene Behörde für Hass im Netz aus. Für eine solche, nach Vorbild der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, hat sich die ÖVP ausgesprochen.

FPÖ-Verfassungssprecherin Susanne Fürst lehnte eine eigene Staatsanwaltschaft gegen Hass im Netz ab. Ihrer Ansicht nach wäre es wichtiger, mehr Personal in die bestehenden Staatsanwaltschaften zu bringen, anstatt über eine neue Staatsanwaltschaft zu diskutieren. Fürst verwies darauf, dass es für Drohungen oder Beleidigungen eine entsprechende Handhabe im Strafrecht gebe.

„Anstatt eine neue Staatsanwaltschaft zu gründen, wäre es meiner Ansicht nach sinnvoller, die WKStA zu stärken und weiter auszubauen, sodass ihre Zuständigkeit um die ‚Hass im Netz‘-Delikte erweitert werden kann“, sagte NEOS-Justizsprecher Johannes Margreiter. „Gerade im Bereich der Wirtschaftskriminalität läuft schon jetzt sehr viel digital, und die WKStA konnte hier bereits eine gewisse Expertise sammeln, wiewohl es diese noch auszubauen gilt.“

Expertinnen für Staatsanwaltschaft

Für eine eigene, auf Hass im Netz spezialisierte Staatsanwaltschaft plädiert dagegen Social-Media-Expertin Ingrid Brodnig, die darin zwei Vorteile sähe. „Erstens ist die Chance hoch, dass sie dort Juristinnen und Juristen haben, die eine Ahnung von sozialen Medien, auch vom Internet haben, von der Logik und auch technischen Ideen. Wie man zum Beispiel herausfindet, wer steckt hinter einer E-Mail, wie komme ich da quasi an die Person heran, die so etwas Strafbares schreibt?“, sagte die Expertin gegenüber Ö1. Und zweitens könne man dann davon ausgehen, auf Menschen zu treffen, die solche Delikte sehr ernst nehmen.

Auch die Anwältin und Medienrechtsexpertin Maria Windhager begrüßt den Vorschlag. Ihrer Ansicht nach „zeigt sich, dass derzeit die Umsetzung und die Durchsetzung nicht gut funktionieren, und das liegt sicher auch am mangelnden ExpertInnenwissen, am mangelnden Interesse auch und Verständnis für die Problematik. Also alles, was hier an Spezialisierung kommt, ist absolut zu begrüßen.“ Die auf IT-Recht spezialisierte Anwältin Katharina Bisset würde mit der Spezialisierung noch früher ansetzen, nämlich in der Polizeidienststelle. Es sei wichtig, das Know-how schon bei den einzelnen Polizisten und Polizistinnen zu haben.

Justizministerium stellt sich hinter StA Wels

Das Justizministerium äußerte sich indes zur Kritik der Strafrechtsprofessorin Ingeborg Zerbes, nach deren Dafürhalten man viel früher um die von virtuellem Hass und Drohungen verfolgte Ärztin hätte ermitteln können. Für das Justizministerium war das Vorgehen der Staatsanwaltschaft (StA) Wels gedeckt, die erst seit vergangenem Donnerstag – sechs Tage nach dem Suizid Kellermayrs – wieder wegen gefährlicher Drohung mit Selbstmordfolge ermittelt.