Raffinerie in Chalmette, Louisiana
AP/The New Orleans Advocate/David Grunfeld
Etappensieg für US-Demokraten

Klimapaket schürt Hoffnung auf Kehrtwende

Der US-Senat hat eineinhalb Jahre nach dem Amtsantritt von Präsident Joe Biden mit dünner Mehrheit am Sonntag sein milliardenschweres Klima- und Sozialpaket verabschiedet. Steuerschlupflöcher sollen geschlossen, medizinische Versorgung für Einkommensschwächere und Ältere erleichtert und Investitionen in Erneuerbare unterstützt werden. Der Entwurf gilt als Etappensieg Bidens – und könnte, sofern er umgesetzt wird, eine historische Kehrtwende in puncto Klimaziele darstellen.

Obwohl die Verabschiedung des Pakets als wichtiger Erfolg für Biden gilt, ist das Paket nur noch ein Bruchteil dessen, was der US-Präsident für Klima und Soziales eigentlich durchsetzen wollte. Vor allem der demokratische Senator Joe Manchin torpedierte seine Pläne immer wieder. Schumer handelte mit Manchin dann vor wenigen Tagen Änderungen aus und präsentierte überraschend eine Einigung. Auch für die Unterstützung der demokratischen Senatorin Kyrsten Sinema musste ihre Partei Zugeständnisse machen.

Der Mehrheitsführer der Demokraten, Chuck Schumer, betonte jedoch, die wichtigsten Bestandteile des „Inflationsbekämpfungsgesetzes“ blieben erhalten – etwa die Senkung der Kosten für verschreibungspflichtige Medikamente, die Bekämpfung des Klimawandels und die Schließung von Steuerschlupflöchern sowie 300 Milliarden US-Dollar (293,17 Mrd. Euro) für den Schuldenabbau. Der nun verabschiedete Entwurf beinhaltet Ausgaben in Höhe von 430 Milliarden Dollar und neue Steuereinnahmen von rund 740 Milliarden Dollar und soll in den nächsten zehn Jahren umgesetzt werden – ein „Meilenstein nach einer turbulenten Reise“, wie die „Washington Post“ („WP“) schreibt.

Das für Klima- und Energieprogramme veranschlagte Budget von mehr als 370 Milliarden Dollar ist etwa viermal so groß wie die Anreize, die in dem American Recovery and Reinvestment Act unter Ex-US-Präsident Barack Obama enthalten waren, und stellt laut der US-amerikanischen Tageszeitung „Politico“ die „größten Investitionen in saubere Energiequellen in der Geschichte der USA“ dar.

Förderungen für erneuerbare Energie

Das Gesetzespaket soll in den Vereinigten Staaten eine deutliche Senkung der Treibhausgasemissionen bis zum Ende des Jahrzehnts ermöglichen. Im Gegenzug werde die Mindeststeuer für große Unternehmen auf 15 Prozent angehoben. 1,5 Milliarden Dollar werden veranschlagt, um Ölfirmen bei der Senkung ihrer Treibhausgasemissionen zu unterstützen oder sie zu bestrafen, wenn sie die Anforderungen nicht erfüllen.

Kohlekraftwerk in Thomspsons, Texas
Reuters/Ernest Scheyder
Technologien zur Abscheidung von Kohlendioxidemissionen sollen unterstützt werden. In dieser Anlage in Texas wird der abgeschiedene Kohlenstoff zur Förderung von Rohöl aus einem nahe gelegenen Ölfeld verwendet.

Zudem sollen 60 Milliarden Dollar für die Herstellung sauberer Energie und knapp 30 Milliarden Dollar für die Produktion von Wind- und Solarenergie veranschlagt werden. Auch bei Technologien zur Kohlenstoffabscheidung soll es Unterstützung geben. Die Förderungen für CO2-arme Technologien würden zehn Jahre lang gelten und den Entwicklern sauberer Energien, die regelmäßig mit dem Wegfall der Anreize konfrontiert waren, Sicherheit bieten, so „Politico“.

Das sei auch erforderlich, um die USA bis 2050 auf Netto-null-Emissionen zu bringen und somit eine Klimakatastrophe zu verhindern. Vier Milliarden Dollar sollen in Maßnahmen im Südwesten der USA fließen, in dem Dürre bereits die Strom- und Wasserversorgung von 40 Millionen Menschen entlang des Colorado River gefährdet.

Finanzielle Unterstützung für die „Working Class“

Und auch für Verbraucher soll es Anreize geben, auf nachhaltige Energien umzusteigen – etwa eine zehnjährige Steuergutschrift für Investitionen in erneuerbare Energien wie Wind- und Solarenergie. Wer gebrauchte Elektrofahrzeuge kauft, wird beispielsweise mit einer Steuergutschrift von 4.000 Dollar belohnt, bei neuen Elektrofahrzeugen gibt es 7.500 Dollar. Vorgesehen sind auch Steuergutschriften und Zuschüsse für Autobauer, die ihre Fabriken auf die Fertigung umweltfreundlicherer Fahrzeuge umrüsten.

Neben Herstellern von Elektroautos sollen auch ältere und einkommensschwache US-Bürgerinnen und -Bürger profitieren – war doch Biden sein Amt unter anderem mit dem Versprechen angetreten, „bahnbrechende Veränderungen“ für arbeitende Familien zu bringen. Im Bereich des Gesundheitswesens sieht der Gesetzesentwurf vor, dass das staatliche Medicare-Programm zum ersten Mal die Preise für verschreibungspflichtige Medikamente mit den Pharmaunternehmen aushandeln kann.

Ein Tesla Auto
Reuters/Stephen Lam
Im Rahmen des Gesetzespakets soll der Kauf von E-Fahrzeugen künftig finanziell unterstützt werden

Bei Medikamenten soll es eine Obergrenze von 2.000 Dollar für ältere Erwachsene geben. Außerdem sollen auslaufende Subventionen verlängert werden, auf die rund 13 Millionen Menschen in den USA angewiesen sind, die sich ohne Unterstützung keine Krankenversicherung leisten können.

„Auf dem besten Weg, Klimaziele zu erreichen“

Die Gesetzesvorhaben sollen nach Aussage der Demokraten in den USA bis 2030 zu einer Reduzierung von CO2-Emissionen um 40 Prozent führen. Ein Ziel, das laut Analyse des Energie- und Klimaanalyseunternehmens Rhodium Group tatsächlich in Reichweite scheint: Schätzungen des Unternehmens zufolge könnten die Maßnahmen, sofern sie wie geplant umgesetzt werden, die Netto-Treibhausgas-Emissionen der USA im Jahr 2030 um 31 bis 44 Prozent unter das Niveau von 2005 senken.

„Mit der Verabschiedung dieses Gesetzes können wir definitiv sagen, dass wir auf dem besten Weg sind, diese Ziele zu erreichen“, zitiert „Politico“ Kate Larsen, Leiterin der internationalen Energie- und Klimaforschung von Rhodium. Laut einer Analyse der American Clean Power Association könnten bis zu 550 Gigawatt Strom aus Wind, Sonne und anderen sauberen Energiequellen zusätzlich erzeugt werden – genug, um 110 Millionen Haushalte mit Strom zu versorgen, so „Politico“.

Gregory Wetsone, Präsident des American Council on Renewable Energy, spricht gegenüber Al Jazeera von einer „bahnbrechenden Errungenschaft“. „Wir hatten in den Vereinigten Staaten noch nie eine Politik, die tatsächlich darauf ausgerichtet war, den Übergang zu sauberer Energie voranzutreiben und die Klimakrise zu bewältigen. Und jetzt sehen wir eine Maßnahme, die dieser Aufgabe gewachsen ist.“ Bisher führten die USA die Treibhausgasemissionen pro Kopf global an.

Republikaner stimmten geschlossen dagegen

Am meisten Gegenwind erfuhr der Entwurf von den Republikanern, die geschlossen gegen das Inflationsbekämpfungsgesetz stimmten. Mit Änderungsanträgen hatten sie über fast 16 Stunden hinweg die Verabschiedung verzögert. Der Minderheitsführer im Senat, der Republikaner Mitch McConnell, warf den Demokraten vor, sich nicht um die „Prioritäten von Familien der Mittelschicht“ zu scheren. Der Entwurf werde nach Ansicht von Experten die ausufernde Inflation nicht nennenswert senken. Die Teuerungsrate in den USA war zuletzt mit 9,1 Prozent so hoch wie seit rund vier Jahrzehnten nicht mehr.

Kritik kommt aber auch aus den eigenen Reihen – so kritisierte etwa der Vorsitzende des Haushaltsausschusses des Senats, Bernie Sanders, die Zugeständnisse im Bereich fossiler Energie, die etwa Manchin gemacht wurden, um dem Paket zuzustimmen. „Nach diesem Gesetz müssen jedes Jahr bis zu 60 Millionen Hektar öffentlicher Gewässer der Öl- und Gasindustrie zum Kauf angeboten werden, bevor die Bundesregierung neue Offshore-Windparks genehmigen kann“, so Sanders. Manchin verteidigte den Entwurf jedoch als „ausgeglichen“.

Biden: Gesetz mit vielen Kompromissen

Schumer sagte nach der Abstimmung, der Gesetzesentwurf mindere die Inflation, schaffe Millionen Arbeitsplätze und erhöhe die Energiesicherheit. „Der Senat hat jetzt das bedeutendste Gesetz zur Bekämpfung der Klimakrise aller Zeiten verabschiedet. Und es wird für meine Enkelkinder einen Unterschied machen.“ Biden gab zu, dass das Gesetz „viele Kompromisse“ erfordert habe. „Das ist bei wichtigen Dingen fast immer der Fall“, fügte er hinzu.

US-Präsident Joe Biden
Reuters/Evan Vucci
Mit der Umsetzung der neuen Maßnahmen könnte Biden wichtige Wahlversprechen einlösen

Bevor das Gesetzespaket in Kraft tritt, muss noch das Repräsentantenhaus zustimmen. Dort soll die Entscheidung am Freitag stattfinden. In dieser Kammer des Kongresses gilt eine Mehrheit für die Gesetzespläne als gesichert. Wenige Monate vor den Kongresszwischenwahlen im November wäre eine Verabschiedung des Gesetzes auch in seiner abgespeckten Variante ein großer Erfolg für den Präsidenten und seine Partei.