Die britische Außenministerin Liz Truss und Ex-Finanzminister Rishi Sunak
Reuters/Jacob King
Rennen um Downing Street 10

Zwischen Fettnäpfchen und harter Linie

Außenministerin Liz Truss und Ex-Finanzminister Rishi Sunak liefern einander ein Duell um die Spitze der britischen Regierung. Bis zum 5. September sollen die Mitglieder der Torys entscheiden, wer von den beiden Boris Johnson in die Downing Street 10 als Premier nachfolgen wird. Truss und Sunak gelten als konservative Hardliner mit Hang zu Fettnäpfchen.

Truss liegt derzeit laut Umfrage mit einem Vorsprung von über 30 Prozent vor Sunak im Rennen um die Parteispitze der Konservativen Partei. In der Presse werden die beiden allerdings nicht gerade in den Himmel gelobt. Auch das Premiersamt wird ihnen nicht zugetraut, wie etwa die liberale britische Onlinezeitung Independent schreibt.

Die Zeitung beklagte nicht nur ein Vakuum an der Spitze der britischen Regierung und ging mit dem scheidenden Parteichef und Premier Johnson hart ins Gericht. Vielmehr schrieb die Zeitung am Donnerstag, weder Truss noch Sunak würden den hohen Anforderungen gerecht. Die Krise, die die Nation ergriffen habe, vertiefe sich. „Aber Liz Truss und Rishi Sunak haben sich vor allem auf die ideologischen Obsessionen der Parteimitglieder konzentriert“, schreibt der Idependent. Beide würden Sonnenschein ohne Regen versprechen, so der „Guardian“.

Downing Street 10 in London
AP/Frank Augstein
Larry the Cat darf in die Downing Street 10 – Truss und Sunak wollen auch dort einziehen

Rund 200.000 Mitglieder entscheiden

Wichtige Entscheidungen sollen unter dem scheidenden Premier Johnson nicht mehr getroffen werden. Der „Guardian“ warnte indes mit Hinweis auf eine Studie, dass angesichts der rasant steigenden Energiepreise zwei Drittel der Familien in Großbritannien die Verarmung droht, sollte politisch nicht gegen die Teuerungswelle vorgegangen werden – ein Problem, mit dem sich der Neueinzug in Downing Street 10 beschäftigen müssen wird.

Boris Johnson
AP/Matt Dunham
Der Abgang von Boris Johnson löste die Suche nach einer neuen Führungsperson bei den Torys aus

Truss und Sunak hatten bei der letzten Abstimmung der konservativen Abgeordneten genügend Stimmen erhalten, um in die Endrunde einzuziehen. Ursprünglich hatten sich elf Kandidaten um die Johnson-Nachfolge beworben. Nun sollen die rund 200.000 Mitglieder der Partei per Briefwahl zwischen Sunak und Truss als Parteichef oder -chefin entscheiden. Das Ergebnis wird am 5. September bekanntgegeben. Der bzw. die künftige Vorsitzende der Partei steht automatisch an der Spitze der Regierung, da die Torys die größte Partei im Unterhaus sind.

Sunak und sein Swimmingpool

Der ehemalige Goldman-Sachs-Banker Sunak galt lange als Favorit für eine Nachfolge Johnsons. Als Finanzminister war er aus Protest gegen Johnsons Amtsführung zurückgetreten und trug damit zu Johnsons Fall bei. Er verdiente sich in der CoV-Pandemie Meriten mit einem Rettungsprogramm für die Wirtschaft. Viele Briten hielten die Unterstützung seines Ministeriums angesichts der explodierenden Lebenshaltungskosten jedoch für zu gering und die Steuern für zu hoch. Sunak wurde wie Johnson für Verstöße gegen Lockdown-Auflagen bestraft.

Fragen zu seinem beträchtlichen Privatvermögen – es wird auf 700 Mio. Pfund geschätzt – und Steuertricks seiner Familie schadeten zuletzt seinem Ruf. Seine Beliebtheitswerte litten auch darunter, dass er trotz der stark steigenden Lebenshaltungskosten weitere Hilfen für die Bevölkerung zunächst ablehnte.

Großbritanniens Ex-Finanzminister Rishi Sunak
AP/UK Parliament/Jessica Taylor
Rishi Sunak bei einer Rede im britischen Parlament

Laut britischen Medien ließ Sunak mitten in dem aktuellen Aufruf, aufgrund der Trockenheit Wasser zu sparen, auf seinem Anwesen einen riesigen Swimmingpool bauen. Für Unmut sorgte auch ein Auftritt Sunaks für Investitionen in ärmeren Gegenden, um dort die Wirtschaft anzukurbeln: Die Pressekonferenz fand in Royal Tunbridge Wells statt – einem wohlhabenden Ort in der Nähe von London.

In den Fußstapfen der „Eisernen Lady“

Seine Gegnerin Truss gilt als Liebling der konservativen Parteibasis. In Johnsons Regierung war sie zunächst zwei Jahre lang Außenhandelsministerin, bevor die spätberufene Brexit-Befürworterin Außenministerin wurde. Seit vergangenem Jahr vertritt sie zudem als Chefunterhändlerin in Brüssel gegenüber der EU britische Positionen.

Truss und Sunak outeten sich auch als Fans von Margaret Thatcher, der „Eisernen Lady“, die Großbritannien mit harter Hand – Stichwort Bergarbeiterstreik – als erste Premierministerin zwischen 1979 und 1990 regiert hatte. Truss wird auch nachgesagt, sich teils wie Thatcher zu kleiden. Während des ersten Bewerberduells um Johnsons Nachfolge trug sie eine Bluse mit Schleife ganz in Thatchers 80er-Jahre-Stil, dann wieder posierte sie auf einem Panzer oder mit russischer Fellmütze und erinnerte damit an berühmte Fotos der ersten Frau an der Spitze der britischen Regierung.

Die britische Außenministerin Liz Truss
AP/Alastair Grant
Liz Truss trägt eine Bluse mit Schleife – ganz wie ihr Vorbild Margaret Thatcher

Brexit: Von Nein zu Ja

In britischen Medien macht man sich auch über Truss’ ungeschickte Auftritte lustig, auch ihre Rhetorik wird teils als skurril bezeichnet. Dass sie früher einmal gegen den Brexit war, bezeichnet Truss heute als Fehler. Zur Freude der ultrarechten Brexiteers tritt sie heute als glühende Verfechterin des britischen Austritts aus der EU auf.

Auch sonst übt sich Truss nicht in großen politischen Würfen oder versucht eine Konsenspolitik – sondern setzt auf altbekannte Themen der Konservativen. So wurden in letzte Zeit auch ältere Aussagen bekannt, die ihr Hardlinertum unterstreichen. Wer diese Informationen der britischen Presse zugespielt hat, ist nicht bekannt.

Kürzung von Ärztegehältern gefordert

Am Donnerstag wurde Truss von der Opposition beschuldigt, in einem Paper von 2009 „ihr wahres Gesicht“ gezeigt zu haben. In dem Papier, das TalkTV am Donnerstag enthüllte, ging es um Kürzungen der Regierungsausgaben einschließlich der Kürzung der Ärztegehälter.

Truss forderte in einem Bericht, den sie als stellvertretende Direktorin der konservativen Reformdenkfabrik mitverfasst hatte, eine Kostenerstattung für Patienten, um ihren Hausarzt aufzusuchen, und eine Kürzung der Ärztegehälter um zehn Prozent, so TalkTV. Labour sagte, der Bericht mit dem Titel „Back to Black“ enthülle, dass „ihre Agenda verheerende Kürzungen sind“.

Die britische Außenministerin Liz Truss und Ex-Finanzminister Rishi Sunak bei einer TV-Konfrontation
AP/PA/Dominic Lipinski
Rishi Sunak und Liz Truss in einem TV-Duell

Abschaffung des Kindergeldes

In dem Dokument empfahlen die sieben Autoren und Autorinnen, darunter Truss, eine Einsparung von 28 Mrd. Pfund in einem Jahr durch die Einführung von „Nutzungsgebühren für Hausärzte“ und eine Senkung der Gehälter nicht nur von Hausärzten, sondern auch von Beratern und Managern in staatlichen Institutionen um zehn Prozent.

Der Bericht forderte auch die Abschaffung des Kindergeldes für alle, die Abschaffung des Heizkostenzuschusses im Winter für Bedürftige und die Streichung mehrerer großer militärischer Beschaffungsprojekte, darunter die damals geplanten Flugzeugträger „HMS Queen Elizabeth“ und „HMS Prince of Wales“ der Royal Navy. Sie wurden als „unangemessene Verteidigungsprojekte“ tituliert. Ein Dokument mitzuverfassen bedeute nicht, dass jemand jeden vorgelegten Vorschlag unterstütze, rückte die Kampagne von Truss zur Verteidigung aus.

Pauschalkritik an britischer Arbeitsmoral

Truss geriet auch wegen einer älteren Äußerung zur Arbeitsmoral in Großbritannien ins Visier der Kritik. In einer Aufnahme, die dem „Guardian“ zugespielt wurde, ist zu hören, wie Truss die vergleichsweise niedrige Produktivität auch auf eine angeblich schlechte Arbeitsmoral ihrer Landsleute zurückführt.

„Es gibt ein fundamentales Problem mit der britischen Arbeitskultur“, sagte Truss demnach in dem Gespräch mit Regierungsmitarbeitern. Den „britischen Arbeitern“ fehle es an Kompetenz und Einsatz, besonders außerhalb Londons. Erforderlich sei „ein bisschen mehr harte Arbeit“.

Labour: Grob beleidigend

Der „Guardian“ ließ offen, von wann genau die Aufnahme stammt. Sie dürfte jedoch zwischen Mitte 2017 und Mitte 2019 entstanden sein, hieß es. Aus dem Umfeld von Truss hieß es nach Veröffentlichung der Tonaufnahme, die Bemerkungen seien „ein halbes Jahrzehnt alt“ und es fehle „Kontext“. Außer Frage stehe aber, dass Großbritannien seine Produktivität verbessern müsse.

Die oppositionelle Labour-Partei nannte die Äußerungen „grob beleidigend“. Ein Mitarbeiter aus Truss’ Team entgegnete, die Bemerkungen seien aus dem Zusammenhang gerissen. Die Äußerungen sind nicht der einzige verbale Fehltritt aus der Vergangenheit, der Truss inzwischen einholt. Zu Beginn ihrer Karriere hatte sie sich für die Abschaffung des Königshauses ausgesprochen.

Öffentlicher Dienst: Gehälter sollten gekürzt werden

Doch auch ihre aktuellen Ideen sorgen für Kopfschütteln. Nach scharfer Kritik aus den eigenen Reihen musste Truss ihre Sparpläne für den öffentlichen Dienst zurücknehmen. Eine Sprecherin ihrer Wahlkampagne beklagte Anfang August eine „vorsätzliche Falschdarstellung“, kündigte aber an, Gehälter und Arbeitsbedingungen würden so bleiben wie bisher.

Erst Stunden zuvor hatte die Außenministerin angekündigt, die Gehälter von Beschäftigten außerhalb der wohlhabenderen Gebiete Londons und Südenglands zu senken, damit sie die regionalen Lebensverhältnisse besser widerspiegeln. Außerdem wollte sie die Zahl der Urlaubstage von 27 auf 25 reduzieren und Freistellungen für Gewerkschaftsarbeit sowie Stellen für Diskriminierungsbeauftragte streichen. Insgesamt sollten elf Milliarden Pfund (13,1 Mrd. Euro) eingespart werden.

Sturgeon attackiert

Experten wiesen darauf hin, dass die Kürzungen vor allem Gruppen wie Pflegekräfte und Lehrer treffen dürften. Gewerkschaften kündigten harten Widerstand an. Als auch prominente Mitglieder ihrer Partei widersprachen, ruderte Truss zurück.

Die 47-Jährige legte sich auch mit der schottischen Regionalregierung an. Regierungschefin Nicola Sturgeon sei eine „Selbstdarstellerin“, sagte Truss bei einer Wahlkampfveranstaltung Anfang August und lehnte ein neues schottisches Unabhängigkeitsreferendum ab. „Das Beste, das man mit Nicola Sturgeon machen kann, ist, sie zu ignorieren“, sagte sie. Schottlands Vizeregierungschef John Swinney sagte der BBC, solche Kommentare gegen eine demokratisch gewählte Führungspersönlichkeit seien „völlig unangebracht“.