Wolodymyr Selenskyj hält Rede
APA/AFP/Dimitar Dilkoff
Unabhängigkeitstag

Selenskyj warnt Moskau vor Angriffen

Die Ukraine hat sich im Vorfeld des Unabhängigkeitstages, den das Land am Mittwoch begeht, besorgt gezeigt. Befürchtet werden verstärkte russische Angriffe rund um den Tag, an dem zugleich seit sechs Monaten der Krieg tobt. Derartige Angriffe hätten eine entschlossene Reaktion zur Folge, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Dienstag in Richtung Moskau.

Auf die Frage, wie die Ukraine auf einen möglichen russischen Raketenangriff auf Kiew reagieren werde, verwies Selenskyj auf die Gleichberechtigung aller Städte und Regionen. Auf einen Angriff auf die Hauptstadt werde genauso reagiert wie auf aktuelle Angriffe andernorts. „Für mich als Präsident und für jeden Ukrainer sind Kiew, Tschernihiw, der Donbas alles dasselbe.“ Dort lebten überall Ukrainer, sagte Selenskyj und nannte darüber hinaus auch die zuletzt stark umkämpften Städte Charkiw und Saporischschja.

„Sie werden eine Antwort erhalten, eine starke Antwort“, sagte er. „Ich möchte das jeden Tag sagen … diese Antwort wird zunehmen, sie wird stärker und stärker werden.“ Und: „Wir wissen, dass sie (Russland, Anm.) in erster Linie auf Infrastruktur oder Regierungsgebäude abzielen“, sagte er zudem.

Am Dienstag warnten auch die USA vor verstärkten russischen Angriffen auf zivile Infrastruktur und Regierungsgebäude in den nächsten Tagen in der Ukraine. Die US-Botschaft in Kiew rief deshalb alle US-Bürgerinnen und -Bürger auf, „die Ukraine umgehend zu verlassen“ – unter Nutzung der zur Verfügung stehenden Landverbindungen. Die USA würden weiterhin alle Verstöße gegen das Völkerrecht verfolgen, sagte der stellvertretende amerikanische UNO-Botschafter Richard Mills am Dienstag vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.

Ukrainische Flagge in Charkiw, Vogelperspektive
Reuters
In Charkiw wurde rund um den Unabhängigkeitstag eine Ausgangssperre verhängt

Großevents rund um Unabhängigkeitstag verboten

Aus Furcht vor russischen Raketenangriffen haben die Behörden in Kiew alle Großveranstaltungen rund um den Unabhängigkeitstag verboten, in der zweitgrößten Stadt Charkiw im Nordosten wurde eine Ausgangssperre verhängt. Die Ukraine feiert am 24. August traditionell die Unabhängigkeit von der Sowjetunion im Jahr 1991.

Geschürt wurde die Furcht vor vermehrten russischen Angriffen auch durch die Ermordung der Tochter eines führenden russischen Nationalisten. Die Politikjournalistin Darja Dugina, Tochter des Ideologen Alexander Dugin, war am Samstag bei einem Sprengstoffanschlag getötet worden. Der russische Inlandsgeheimdienst (FSB) macht ukrainische Geheimdienste für den Anschlag verantwortlich. Die Ukraine weist das zurück.

Leute auf der Straße in Kiew betrachten zerstörte russische Panzer
APA/AFP/Dimitar Dilkoff
Bei einer Veranstaltung vor dem Unabhängigkeitstag versammelten sich Menschenmassen rund um eroberte russische Pazer

Selenskyj bekräftigt Anspruch auf Krim

Selenskyj bekräftigte am Dienstag auch das Ziel, die von Russland 2014 annektierte Halbinsel Krim zurückzuerobern. „Um den Terror zu überwinden, ist es notwendig, einen Sieg im Kampf gegen die russische Aggression zu erringen. Es ist notwendig, die Krim zu befreien“, sagte der Präsident zur Eröffnung der internationalen Krim-Konferenz. Dadurch würde Recht und Ordnung in der Welt wieder hergestellt.

Ukraine rechnet mit Großoffensive

Die Sorge in der Ukraine ist groß, dass Russland am Mittwoch, am Tag der Unabhängigkeit der Ukraine von den Sowjets, neue, intensive Angriffe starten könnte. Mittlerweile dauert der Krieg sechs Monate.

Sechs Monate nach Kriegsbeginn hielt die Ukraine am Dienstag einen Onlinegipfel zur Rückholung der bereits 2014 von Russland annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim ab. Österreich wurde bei der Krim-Plattform, die nach 2021 schon zum zweiten Mal stattfindet, durch Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) vertreten. Insgesamt sind mehr als 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Europa, Asien, Amerika und Afrika angekündigt, darunter unter anderen Deutschlands Kanzler Olaf Scholz, Kanadas Premier Justin Trudeau, Japans Ministerpräsident Fumio Kishida und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg.

Scholz sicherte Ukraine bei Gipfel Unterstützung zu

Scholz sicherte der Ukraine anhaltende Unterstützung im Krieg gegen Russland zu. „Die internationale Gemeinschaft wird Russlands illegale, imperialistische Annexion ukrainischen Territoriums niemals akzeptieren“, sagte der Politiker, der per Video aus Kanada zugeschaltet war. Die Partner der Ukraine seien vereint wie nie. „Ich kann Ihnen versichern: Deutschland steht fest an der Seite der Ukraine, solange die Ukraine unsere Unterstützung braucht.“

Weiter sagte Scholz, Deutschland werde mit seinen Partnern die Sanktionen gegen Russland aufrechterhalten, finanziell helfen, Waffen liefern und sich auch am Wiederaufbau beteiligen. Unter anderem soll Kiew drei weitere Flugabwehrsysteme des Typs IRIS-T und ein Dutzend Bergepanzer erhalten, wie ein Regierungssprecher während der Kanada-Reise des Kanzlers auf Anfrage mitteilte. Insgesamt geht es demnach um Rüstungsgüter im Wert von deutlich mehr als 500 Millionen Euro.

Weitere drei Mrd. Dollar US-Militärhilfe geplant

Die USA wollen einem Insider zufolge der Ukraine weitere Militärhilfe im Umfang von drei Milliarden Dollar zukommen lassen. Möglicherweise werde das bereits am Mittwoch mitgeteilt, verlautete es aus Regierungskreisen. Es wäre das größte derartige Paket der USA seit der russischen Invasion vor sechs Monaten.

Sechs Monate Krieg: Eine Analyse

ORF-Korrespondenten Paul Krisai und Christian Wehrschütz analysieren aus Moskau und Kiew die Lage in der Ukraine.

Schallenberg: Annexion ist „Erbsünde“

Auch Außenminister Schallenberg (ÖVP) sagte der Ukraine weitere Unterstützung Österreichs zu. „Die illegale Annexion der Krim und der Stadt Sewastopol ist die Erbsünde von Russlands Krieg gegen die Ukraine. Sie liegt im Kern von Russlands Abkehr von der Rechtsstaatlichkeit hin zum Gesetz des Dschungels“, sagte Schallenberg laut Redetext.

Der mittlerweile sechs Monate dauernde Krieg Russlands gegen die Ukraine sei „etwas, was wir in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gesehen haben“. Für Gräueltaten und Kriegsverbrechen dürfe es keine Straffreiheit geben, forderte der Außenminister. „181 Tage lang hat Russland das Völkerrecht und unsere Sicherheitsordnung verhöhnt“, so Schallenberg in seiner Rede.

Kiew würdigt Unterstützung durch Österreich

Der Sprecher des ukrainischen Außenministeriums, Oleg Nikolenko, würdigte die Unterstützung Österreichs. „Obwohl Österreich wie Irland, Malta und Ungarn keine Waffen an die Ukraine liefert, unternimmt die österreichische Regierung erhebliche Anstrengungen, um die negativen Folgen der russischen Aggression gegen die Ukraine zu minimieren.“ Außerdem schätzt Nikolenko die Unterstützung Wiens bei der Umsetzung der EU-Sanktionspolitik sowie bei der EU-Integration der Ukraine.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg warnte indes in einem Interview mit dem Nachrichtenportal ZDFheute.de vor einem Nachlassen der militärischen und finanziellen Unterstützung für die Ukraine.